Zum "Internationalen Tag des Friedens" am Samstag, 21. September, spricht der ehemalige Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Josef Fell in Bad Kissingen über den Zusammenhang zwischen Ökologie und Frieden. Der 67-jährige Hammelburger gilt als einer der Väter des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Wir haben mit ihm über die Umfrage-Hochs der Grünen, den aktuellen Klimaschutz und Greta Thunberg gesprochen.
Herr Fell, Sie sind 1992 den Grünen beigetreten: Hätten Sie sich damals träumen lassen, dass Ihre Partei mal darüber diskutiert, einen Kanzlerkandidaten zu stellen?
Hans-Josef Fell : Geträumt haben wir davon schon. Schon die Regierungsbeteiligung 1998 unter Rot-Grün war ja ein großer Erfolg, der dazu führte, dass mit dem EEG die Null-Emissions-Klimaschutztechniken der erneuerbaren Energien weltweit den wirtschaftlichen Durchbruch schafften.
Wie sehen Sie den aktuellen Höhenflug der Grünen: Ist das ein Strohfeuer, das halt zum Zeitgeist passt, oder ist es eine Zeitenwende?
Nein, das wird kein Strohfeuer sein. Der größte Teil der Deutschen hat erkannt, dass der Klimaschutz das zentrale Thema ist, um das Überleben der Menschheit zu sichern. Gleichzeitig sehen immer mehr, dass nur die Grünen konsequente Klimaschutzvorschläge haben und sie sehen, dass die etablierten Parteien unter der Führung von Kanzlerin Merkel den großen Erfolg der bürgerlichen Erneuerbare-Energien-Bewegung faktisch zum Erliegen gebracht hat. Deshalb haben wir in Deutschland und der EU fast nur noch Misserfolge im Klimaschutz . Das genau will ein wachsender Teil der Wählerschaft wieder ändern und wählt Grün.
Die Grünen haben sowohl Wurzeln in der Friedensbewegung als auch in der Sorge um die Natur: Wann wurde Ihnen klar, dass beides untrennbar zusammenhängt?
Seit mein politischer Geist als Jugendlicher in der 68er-Bewegung erwachte. Zunächst zeigte mir die Ölkrise 1992, dass die Abhängigkeit von Energie-Rohstoffen machtpolitisch missbraucht wird. Viele weltweiten Spannungen, Krisen und Kriege haben ihre tiefere Ursache in der scheinbar alternativlosen Nutzung fossiler und atomarer Energierohstoffe. Zugleich wurde mir klar, dass die treibende Kraft hinter der Atomenergie der Wunsch nach der Atombombe ist. Im kommenden Jahrzehnt wollen die Atommächte eine Billion US-Dollar in die atomare Aufrüstung stecken, was nur mit neuem Atomwaffenmaterial aus existierenden und neuen Atomreaktoren gelingen wird, 100 Prozent erneuerbare Energien ist alleine schon deswegen ein entscheidender und unverzichtbarer Beitrag zum Weltfrieden.
Bislang drehen sich die meisten Konflikte auf der Welt um Öl und Gas. Um welche Ressourcen werden aus Ihrer Sicht in Zukunft Kriege geführt?
Wenn die Erdgemeinschaft nicht sehr schnell auf erneuerbare Energien umstellt, werden die heute schon nicht wenigen Kriege um die immer knapper werdenden Energierohstoffe Erdöl, Erdgas, Kohle, Uran sich noch enorm ausweiten. Der Krieg in der Ukraine, wo die wichtigste europäische Erdgaspipeline verläuft und wo im Kriegsgebiet im Osten große unerschlossene Erdgaslager liegen, oder das Säbelrasseln von Iran und USA um die Öltanker in der Straße von Hormus sind nur zwei Schlaglichter. Gleichzeitig verursachen Erdöl, Erdgas und Kohle über 60 Prozent der gesamten Klimagasemissionen und entfachen darüber neue Spannungen und Kriege.
Aber es gibt ja auch viele neue Herausforderungen...
Heute schon gibt es etwa 20 Millionen Klimaflüchtlinge, die immer mehr Staaten durch Abschottung fernhalten wollen. Sehen wir nur auf die unmenschlichen Tragödien im Mittelmeer oder die Trump-Mauer in Mexiko. In einigen Jahrzehnten werden wir - wenn die Menschheit weitermacht wie bisher - 100 Millionen Klimaflüchtlinge haben, weil viele Menschen in ihrer Heimat einfach nicht mehr leben können, zum Beispiel in vom steigenden Meeresspiegel überschwemmten Städten, wie Shanghai, New York, Amsterdam oder Hamburg. Gleichzeitig werden in der Klimakatastrophe die Wasserressourcen und Lebensmittel knapp, weshalb auch darüber Kriege entstehen werden. 100 Prozent erneuerbare Energien stehen im Zentrum der Bekämpfung der Erdüberhitzung, weshalb die erneuerbaren Energien nicht nur als Ursachenbekämpfung der Ressourcenkriege die entscheidende Friedensstrategie sind.
Ist "Fridays for Future" also auch eine Friedensbewegung?
Ja, da sie die Umstellung auf 100 Prozent erneuerbare Energien bis 2035 fordern.
Was können Greta Thunberg und ihre Mitstreiter vielleicht bewirken, woran Sie sich vergeblich die Zähne ausgebissen haben?
Sie haben als Jugendliche den Finger in die Wunden des fatalen jahrzehntelangen Fehlverhaltens der meisten Erwachsenen gelegt. Durch ihre jugendliche Stimme und klare Ansage ist es ihnen gelungen, den Klimaschutz und damit die erneuerbaren Energien wieder in das Zentrum der öffentlichen Debatte zu bringen.
Was halten Sie von der Klima-, Umwelt- und Energiepolitik der aktuellen Bundesregierung?
Sie ist von komplettem Anti-Klimaschutzhandeln geprägt. Nicht einmal die vollkommen unzulänglichen nationalen Klimaschutzziele wollen sie einhalten, noch die in Paris selbst mitbeschlossenen internationalen Ziele. Der Hauptgrund liegt im seit 2007 unter den verschiedenen Merkelregierungen konsequent organisierten Niedergang der einst blühenden bürgerlichen Energiewende hin zu mehr erneuerbaren Energien.
Sie selbst sind viel unterwegs in der Welt, das geht vermutlich nur mit dem Flugzeug: Wie lösen Sie das Dilemma und wie wägen Sie ab, ob ein Flug notwendig ist?
Ich nutze sehr viel die modernen Medien, wie Internetkonferenzen. Aber auf hohem Niveau von Regierungen und Parlamenten kann keine Skypekonferenz das persönliche Gespräch ersetzen. Daher muss ich zu wichtigen Gesprächen und Konferenzen oft persönlich anwesend sein, um dem Klimaschutz in der Welt ein etwas stärkeres Gewicht zu geben.
Im Herbst haben Sie den mit 2,2 Millionen Euro dotierten Lui-Che-Woo-Preis in der Kategorie "Nachhaltigkeit" erhalten: Ist das Geld schon da? Und was werden Sie damit machen?
Mit dem Preisgeld konnte ich schon zusätzliches Personal in der Energy Watch Group einstellen. Sie verstärken zum Beispiel über wissenschaftliche Zuarbeit meine globale Arbeit für Klimaschutz und erneuerbare Energien.
Das Gespräch führte Ralf Ruppert.
Veranstalter Nach einer Lichterkette im Advent 2018 haben sich die katholische und die evangelische Kirche sowie der Integrationsbeirat der Stadt Bad Kissingen für dieses Jahr eine Friedensaktion im Rahmen der Interkulturellen Woche vorgenommen. Zum Vorbereitungsteam zählen der katholische Pfarrvikar Matthias Karwath, der evangelische Pfarrer Steffen Lübke, Kur- und Rehaseelsorger Rainer Ziegler sowie Ana-Maria Benevides-Werner vom Integrationsbeirat.
Termin Am Internationalen Tag des Friedens, Samstag, 21. September, ist ein Schweigemarsch in Bad Kissingen geplant. Nach dem Beginn in der Erlöserkirche um 16 Uhr erläutert Hans-Josef Fell im Kurgarten den Zusammenhang zwischen Ökologie und Frieden. Der Vortrag wird von internationaler Musik und Tanz umrahmt. Unter anderem spielt Reza Rezaye die afghanische Rubab, und der Chor "Slawjanka" singt traditionelle russische Weisen. Die Teilnehmer bilden zum Abschluss ein Friedensband und ziehen gemeinsam in den Luitpoldpark zum Picknick, zu dem Essen und Getränke selbst mitgenommen werden sollen.
Person Hans-Josef Fell wurde am 7. Januar 1952 geboren. Sein Vater Karl Fell war von 1966 bis 1984 CSU-Bürgermeister der Stadt Hammelburg . Fell arbeitete als Sport- und Physik-Lehrer in Schweinfurt, bevor er 1998 für die Grünen in den Bundestag einzog. Der Energieexperte schrieb das EEG mit und engagiert sich in vielen Organisationen wie Eurosolar und Energy Watch Group. Obwohl er energiepolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen war, reichte sein Listenplatz 2013 nicht mehr zum Einzug in den Bundestag. Fell gehörte zudem dem Hammelburger Stadtrat und dem Kreistag an. Er ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder. Die Familie lebt in einem ökologisch und baubiologisch optimierten Holzhaus. Im Oktober 2018 erhielt er den mit 2,2 Millionen Euro dotierten Lui-Che-Woo-Preis in der Kategorie "Nachhaltigkeit" für seinen Einsatz für erneuerbare Energien. rr