Frage: Die Stadt Bad Kissingen hatte zunächst zu Ihnen Kontakt aufgenommen, weil sie ursprünglich die Körperwelten hier im „Schlachthof“ ausstellen wollte. Warum kamen die Exponate dann doch nicht in die Kurstadt?
Gunther von Hagens: Herr Roßmann kontaktierte uns Anfang dieses Jahres mit dem Anliegen, die „Körperwelten“-Ausstellung nach Bad Kissingen zu bringen. Diesem Wunsch konnten wir nicht entsprechen – wohl zur großen Enttäuschung von Herrn Roßmann. Denn wir haben derzeit Verpflichtungen in Nordamerika. Zudem entschieden wir uns schon 2004, Deutschland zu verlassen, weil uns Stadtverwaltungen, wie die in Stuttgart und München, zensierten und wir dort einige Plastinate nicht zeigen durften. Inzwischen wurde diese museale Sehzensur jedoch vom Oberverwaltungsgerichtshof Mannheim verworfen und wir haben im November 2006 in Guben das „Plastinarium“ mit Schauwerkstatt und Schauraum eröffnet. Auch die „Körperwelten“ wollen wir in zwei bis drei Jahren wieder in Deutschland zeigen.
Seit 1. September dieses Jahres stellt ein „Institut of Prof. Dr. Williams“ die so genannten „Echten Körper“ in der Kurstadt aus – Darstellungen, die auch ein Jahr lang in Leipzig zu sehen waren. Kennen Sie die Exponate? Vermutlich schaut man sich so etwas inoffiziell an?
Von Hagens: Ich selbst war nicht dort, aber Fachkollegen und Mitarbeiter erzählten mir davon. Eduard Borsiak, ein Professor meines Instituts, kam zum Schluss, dass die Präparate nicht professionell hergestellt wurden. Ich habe Bilder der Ausstellung gesehen und Presseberichte gelesen, wie den über „Gammelfleisch im Felsenkeller“ (Kreutzer, Leipziger Stadtmagazin). Außerdem trug man mir zu, dass mich Leute in Leipzig kritisiert hätten, weil die Qualität der Exponate von „Echte Körper“ so schlecht sei. Offenbar hatten einige Besucher diese Ausstellung in der Annahme besucht, dass es sich um die „Körperwelten“ handle. Vermutlich weil lange Zeit ein Plakat in der Leipziger Ausstellung hing, auf dem von „8 Millionen Besuchern in ähnlichen Ausstellungen“ die Rede war.
Ja, dieses große Banner wehte auch über dem Eingang zum „Schlachthof“, als die Ausstellung „Echte Körper“ in Bad Kissingen am 1. September eröffnet wurde. Kurze Zeit später wurde es aber dann abgenommen.
Von Hagens: Unser Institut für Plastination hat damals durchgesetzt, dass dieser Werbehinweis nicht mehr verwendet werden darf.
Und solche Aussagen ärgern Sie?
Von Hagens: Es ist doch eine Frechheit, dass in einem Pressetext der Ausstellungsmacher behauptet wird: „Bisher haben mehr als 22 Millionen Besucher anatomische Wanderausstellungen in Asien, Amerika und Europa gesehen“, womit eindeutig Bezug auf die „Körperwelten“ genommen wird.
Was halten Sie von den „Echten Körpern“? Ist die Ausstellung nicht eine Kopie Ihrer Idee?
Von Hagens: Meiner Meinung nach stecken anonyme Trittbrettfahrer dahinter. Zweifellos ist die Ausstellungsidee von den „Körperwelten“ kopiert. Weltweit gibt es inzwischen 18 weitere Nachahmungen dieser Art. In allen mir bekannten Ausstellungen werden tote Körper von Chinesen gezeigt, die vor ihrem Tod ihr Einverständnis für eine öffentliche Schau sicher nicht gegeben haben.
Und was ist mit den Exponaten der Kissinger Ausstellung?
Von Hagens: Woher die Körper der Kissinger Ausstellung stammen, ist schwer zu sagen, weil man nicht weiß, wer hinter diesem ominösen Prof. Williams steckt. Gegen die vom Pressesprecher der Ausstellung genannte Herkunft aller Plastinate aus den USA spricht jedenfalls, dass Einzelpräparate präparatorische Merkmale aufweisen, die typisch für Plastinate sind, die in chinesischen Anatomie-Ausstellungen gezeigt werden. Übrigens werden Präparate chinesischer Herkunft in den USA im Internet angeboten (Corcoran Laboratories: http://cor-labs.com). Angeblich aus den USA stammende Präparate müssen also nicht notwendigerweise tatsächlich von dort kommen. Das können auch herrenlose chinesische Leichen sein.
Die Bad Kissinger Ausstellung beansprucht, den Schwerpunkt auf die „medizinischen“ Aspekte zu legen. Ist das nicht auch Ihr Anliegen? Was muss in Ihren Augen erfüllt sein, um diesem Anspruch zu genügen?
Von Hagens: Öffentliche Anatomie-Ausstellungen müssen die Besucher begeistern. Sie sollten gleichermaßen Wissen vermitteln und emotional anrühren. Ich erreiche dies durch den Vergleich gesunder mit erkrankten Organen, mit der lebensnahen Pose der Plastinate, durch agierende Paar-Plastinate (Eiskunstläufer, Fußball-Szene), durch authentische Präparate und durch nie zuvor gesehene Darstellungen und vor allem durch hohe präparatorische und ästhetische Qualität. Und schließlich kopiere ich mich auch nie selbst, denn kein Ganzkörper-Plastinat gleicht dem andern.
Wie Sie sagten, haben Sie weltweit zahlreiche Nachahmer. Kann das eigentlich jeder machen oder haben Sie so etwas wie ein Patent auf die Art, wie Sie plastinieren und ausstellen?
Von Hagens: Meine Plastinations-Patente sind inzwischen ausgelaufen und ich habe keine Anschluss-Patente beantragt.
Wie können die Besucher von Ausstellungen qualitativ hochwertige von schlechten Plastinaten unterscheiden?
Von Hagens: Es wird noch lange dauern, bis sich beim Publikum ein Qualitätsstandard für anatomische Ausstellungen entwickelt hat. Dies hat in Malerei und Bildhauer-Kunst Jahrhunderte gedauert. Warum sollte es auf dem Gebiet der Anatomie-Kunst anders sein? Anatomiekunst als ästhetisch-didaktische Darstellung des Körperinneren, die leider bisher nur in der Renaissance eine kurze Blüte hatte.