
Angst? Verspürte Aribert Martin keine, als er, die Waffe im Anschlag, am 18. Oktober 1977, kurz nach 2 Uhr Ortszeit, in die "Landshut" eindrang. Dabei lauerte drinnen der Tod. Vier palästinensische Terroristen , zu allem bereit, hatten 91 Menschen in ihrer Gewalt, darunter 23 Deutsche. Eine Geisel , Flugkapitän Jürgen Schumann, hatten sie bereits erschossen.
Doch es war ein Job, den Aribert Martin und seine Sondereinheit GSG9 tun mussten. "Und wir erledigten ihn gut". Nach sieben Minuten waren alle vier Terroristen , zwei Männer und zwei Frauen, "ausgeschaltet". Drei waren tot, eine Entführerin, von den Geiseln als besonders gnadenlos beschrieben, überlebte schwer verletzt. Verletzt wurden auch ein GSG9-Mann und eine Flugbegleiterin. Aber alle Geiseln überlebten.
Dimension erst später klargeworden
Erst später, auf dem Rückflug mit den Befreiten in einer anderen Maschine, wurde dem damals 21-Jährigen Martin bewusst, was da gerade geschehen war. Wie traumatisierend es für den dreijährigen Steffen, der bei ihm saß, gewesen sein muss, als ein Terrorist direkt neben ihm Flugkapitän Schumann per Kopfschuss hinrichtete. Wie unendlich lang und angstbeladen die Geiseln die fünf Tage unter dem Joch ihrer Entführer empfunden haben mussten.
Es war ein politisch dunkles Jahr, dieses 1977. Die linksextremistische Rote Armee Fraktion ( RAF ) hatte am 5. September den Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie , Hanns-Martin Schleyer , entführt. Ihr Ziel: elf Gefangene der sogenannten ersten RAF-Generation wie Andreas Baader , Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe freizupressen.
Mehr Druck auf Regierung aufbauen
Als das nicht gelang, die Sache sich über drei Wochen hinzog, wollte die RAF den Druck auf die bis dahin unnachgiebige Bundesregierung erhöhen. Dazu nutzten die deutschen Terroristen ihre hervorragenden Kontakte zu ähnlichen Organisationen in Palästina.
Der Plan: Ein palästinensisches Kommando sollte eine Lufthansa-Maschine auf dem Weg von der spanischen Urlaubsinsel Mallorca nach Frankfurt entführen. Was am 13. Oktober 1977 über französischem Luftraum geschah. So sollte die Freipressung der Gefangenen doch noch gelingen.
Aribert Martin erinnert sich, wie fieberhaft er und seine GSG9-Kameraden im September und Oktober in Kölner Hochäusern nach Hanns-Martin Schleyer gesucht hatten.
Er selbst war zu der Sondereinheit der Polizei 1975 gestoßen. Der heute 66-Jährige wurde am Kreuzberg geboren, wuchs dort auf. In Oberwildflecken besuchte er die Schule, später ein Internat in Bad Neustadt. Nach dem Realschulabschluss trat er dem Bundesgrenzschutz bei; mit 19 Jahren lockte ihn ein buntes Faltblatt der GSG9. Die bis dahin weitgehend unbekannte Spezialeinheit war nach der blutig beendeten Geiselnahme im Münchner Olympiadorf bei den Spielen 1972 aufgebaut worden.
Knallhartes Aussieben
Die Aufnahme und die Ausbildung in St. Augustin-Hangelar bei Bonn waren hart. "Wir haben mit 21 Anwärtern angefangen. Nach fast zweijähriger Ausbildung waren nur noch acht dabei", erinnert sich der Rhöner. Geübt wurden extreme Dinge, wie zum Beispiel beim Hubschrauber außen auf den Kufen mitfliegen. Oder das Abseilen aus 50 Metern Höhe.
Was aber noch Wichtiger war: Es wurde intensiv am Zusammenhalt gearbeitet, an der Selbstdisziplin, am Vertrauen, dass man nur in der Gruppe sein Ziel erreichen kann. "In der GSG9 waren wir eine zusammengewachsene Einheit mit der gleichen Gesinnung. Wir waren gut ausgebildet, hatten solche Situationen wie bei der 'Landshut' seit Jahren geübt. Jetzt mussten wir schauen, dass wir es umsetzen", sagt Aribert Martin.
Vertrauen in die Kameraden
Und so vertraute der damals 21-Jährige auf sich und seine Kameraden, dass alles gutgehen möge, als sie sich in der Nacht von Mogadischu am 18. Oktober von hinten an die Landshut anschlichen. "Operation Feuerzauber" zur Befreiung der Geiseln hatte begonnen.
Die "Landshut" war im doppelten Sinne in der somalischen Hauptstadt "gelandet", weil sie vorher kein Land haben wollte. In Rom, Dubai und Aden im Südjemen durfte sie lediglich auftanken, musste wieder abheben. Nun stand sie seit dem 17. Oktober, 4:30 Uhr, auf dem Rollfeld, mehr als einen Kilometer von den nächsten Gebäuden entfernt. Jürgen Schumann war da bereits tot; Copilot Jürgen Vietor lenkte das Flugzeug.
GSG9-Leute schleichen sich unbemerkt an
Die Entführer bemerkten die 30 GSG9-Polizisten, die sich in sechs Teams zu je fünf Mann im toten Winkel der "Landshut" näherten, offensichtlich nicht. Die Befreier trugen Aluleitern bei sich; je einer sollte die Tür aufhebeln, ein weiterer hineinstürmen und die Terroristen unschädlich machen.
Aribert Martin war dieser zweite Mann und mit seinem Team für die rechte hintere Tür eingeteilt.
Bei ihn herrschte "gespannte Erwartung", sagte er heute. Kurz schoss ihm in den Kopf, wie es wohl wäre, wenn die Terroristen jetzt das Flugzeug in die Luft sprengen würden (was sie angedroht hatten). Dann ging es mit einem Ablenkungsmanöver aus Blendgranaten vor dem Cockpit los; Martin musste fortan funktionieren. "Ich wusste, wer den anderen zuerst sieht, gewinnt. Du kannst mit Terroristen nicht reden oder verhandeln."
Die Tür sprang auf, er stürmte hinein - und sah nur Geiseln , keine Geiselnehmer . Die befanden sich anscheinend im Vorderteil des Flugzeugs. Aribert Martin hörte von dort Schüsse. Seine Kollegen erledigten ihren Job.
Noch einmal ging der Puls hoch, als ihm ein anderes GSG9-Kommando quasi entgegenkam. Man erkannte sich rechtzeitig. "Wir haben uns 'gerochen' von der Ausbildung her." Ein Terrorist lag da, von neun Schüssen getroffen, in den letzten Zügen. "Er war in etwa so alt wie ich. Wenn man das sieht, berührt es einen."
Großes Glück gehabt
Schlaflose Nächte plagten Aribert Martin nach der Befreiungsaktion nicht. Er ist überzeugt, "einen tollen Job getan" zu haben. Und auch, dass er, seine Kameraden und die Geiseln unverschämtes Glück hatten. Nur einer, Werner Losert, erhielt einen Halsdurchschuss, der sich aber als nicht so schlimm erwies. Aber noch heute spürt Martin den beißenden Geruch von Schweiß und Fäkalien in der Nase, der ihm beim Betreten der Landshut entgegenschlug.
1980 verließ der Rhöner die GSG9, baute sich in der Finanzbranche eine eigene Existenz auf. "Ich wollte etwas Eigenes machen, nicht mehr Befehlsempfänger sein." Einsätze wie den in Mogadischu erlebte er nie wieder. Heute bietet der 66-jährige Wahl-Fuldaer Ballonfahrten, auch über der Rhön, an. Und er berichtet vor allem in Schulen mit anderen Beteiligten darüber, wie es war in Mogadischu, vor 45 Jahren. "Die jungen Leute sind sehr interessiert an lebenden Zeitzeugen, die sagen: Ich war nicht viel älter als ihr." Vor allem die Mädchen würden fragen, wie er sich bei der Erstürmung der "Landshut" gefühlt habe. Und ob er schießen musste.
Aribert Martin ist überzeugt, dass seine GSG9-Nachfolger ebenfalls einen guten Job machen, dass sie vielleicht noch fokussierter, entschlossener, professioneller sind. Und dass sie fest zusammenhalten. "Wir haben ja nur Pionierarbeit geleistet."