
Freitagnachmittag, Fußballplatz Münnerstadt, der TSV gegen SV DJK Oberschwarzach. Der TSV gewinnt 4:2, die Mannschaft feiert den zweiten Platz in der Liga. Die Tribüne ist voll, aus dem Pulk schält sich eine sympathische Frau mit kurzen blonden Haaren und breitem Lächeln. Die hat hier noch nie jemand gesehen, der TSV und seine Fans sind ja überschaubar. Sie sucht einen Vorsitzenden des Vereins und bittet um eine Vereins-Anstecknadel. Warum das denn?
Ganz einfach: Susanne Kettlitz, 50 Jahre alt und aus Nürnberg, ist Groundhopper. Das sind Menschen, die Besuche in Fußballstadien sammeln. Susanne Kettlitz war bereits in 620 Stadien, hat 969 Spiele besucht.
Hallo Frau Kettlitz, warum machen Sie das?
Weil es mir Spaß macht, es ist mein Hobby. Angefixt wurde ich durch einen Kumpel, der mich mal zu einem Kreisligaspiel mitgenommen hat. Ich komme aus Nürnberg, bin als Fan natürlich oft im dortigen Stadion. Aber: Was ich in der Kreisliga sah und erlebte, war viel schöner als im Morlock-Stadion. Es ist so viel gemütlicher, nahbarer. Bei den kleinen Ligen kriegt man mit, was der Schiri sagt, was die Spieler sagen – und es ist weit ab vom Kommerz in den hohen Ligen.
Wo waren Sie denn schon überall?
Ich war in 32 verschiedenen Ländern, darunter habe ich in Israel in Haifa und Be’er Sheva Spiele besucht. Ebenso war ich bei Dynamo Moskau. Da bin ich mit der Transsibirischen Eisenbahn hingefahren. Moskau war da gerade aufgestiegen, das war super.
Mit der Eisenbahn? Haben Sie denn dafür die Zeit?
Die Eisenbahn ist nicht nur mein bevorzugtes Transportmittel, sie ist auch mein Arbeitsplatz. Ich bin Zug-Chefin, ich bin die, die dem Lokführer sagt, dass er jetzt losfahren darf.
Ich bin jetzt ein bisschen beruhigt, denn ich glaube, das Hobby kann ganz schön ins Geld gehen.
Stimmt. Ich habe aber zum einen die sogenannt Freifahrt für Mitarbeiter oder ein Deutschlandticket. Damit ist es machbar.
Kritiker sagen, Groundhopper seien alle Singles und wüssten mit ihrer Zeit nichts anzufangen.
Was für ein Unsinn. Ich kenne Ehepaare, die unterwegs sind. Und es gibt Menschen, die nehmen sich beim Groundhopping einfach mal ne Auszeit von der Familie. Die sind dann so drei, vier Tage in Stadien unterwegs, genießen das Alleinsein und kommen gut erholt wieder zurück.
Braucht man als Frau Mut, alleine in Stadien unterwegs zu sein?
Das weiß ich nicht, weil ich keine Angst habe. Ich halte mich an die Regeln, vor allem im Ausland, dort möchte ich ja auch akzeptiert werden – und das geschieht, wenn ich die Menschen und deren Regeln dort respektiere.
Erkennt man andere Groundhopper?
Ich schon. Das sind die, die viele Fotos machen und dann den Vereinsvorsitzenden fragen, ob man eine Anstecknadel erhalten könnte. Und wenn ich erkannt werde, dann finde ich das auch schön, denn so finde ich Freunde. Wir tauschen uns dann aus.
Gibt es ein unvergessliches Spiel für Sie?
Da fällt mir ehrlichgesagt keines konkret ein. Was ich mag, sind Pyroshows in den niedrigen Klassen. In Nürnberg hat mal Serbia gegen FC Bosna gespielt – die hatten eine schöne Pyro!
Welche Stadien wollen Sie noch sehen?
Viele, ich bin mit meinen 620 ja ein kleines Licht, andere haben über 1000.
Wo ist das denn dokumentiert?
In der App Futbology. Aber ich möchte sehr gerne noch Südamerika und Afrika machen. Die baltischen Staaten habe ich schon. War toll! Wenn ich nur mit Handgepäck fliege, kostet der Flug rund 70 Euro. Da schau ich mir vormittags die Stadt und nachmittags das Spiel an.
Groundhopping bildet also?
Absolut! Ich befasse mich ja schon vorher mit dem Land und den Städten und lese dazu viel. Nach der Kultur sitze ich mit meinem Bierchen auf der Tribüne, habe meine Ruhe, brauche mich mit niemandem abzusprechen und genieße die Freiheit. Das ist einfach schön.
Und wie war Münnerstadt nun für Sie?
Sehr schön. Wirklich.
Woran lag das?
Zum einem am abwechslungsreichen Catering mit Bratwürsten und diversen Kuchen. Dann hat mir die alte Steintribüne sehr gut gefallen. Und dass die Toranzeigetafel nicht digital ist, sondern dass händisch Zahltafeln reingehängt werden, finde ich fast ein bisschen romantisch. Aber genau darum geht es den Hoppern ja: Wir mögen das Feeling der Vergangenheit, wo es auf Engagement des kleinen Vereins ankommt, wo die Zeit ein bisschen stehengeblieben ist. Allerdings habe ich gedacht, dass in Münnerstadt mehr die Post abgehen würde, aber…
…Sie haben gehört, was mit der Relegation passiert ist?
Ja. Mir tut es so leid, dass Münnerstadt wegen eines Formfehlers nun nicht in die Relegation darf. Da sollte der DFB mal die Regeln ändern.
Kommen Sie nochmal nach Münnerstadt?
Nein, ich war ja einmal dort. Aber ich werde mir andere Spiele in anderen Stadien dieser Liga ansehen.
Dann wünsche ich Ihnen viele gute Spiele und allzeit gute Reise.
Vielen Dank!
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