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Bad Kissingen
Goethes Stella entstaubt und vergnüglich
Ein Klassikstück, runderneuert und in unsere Zeit übertragen, bietet das Ensemble der Hamburger Kammerspiele beim Theaterring.
Goethes 'Stella' in einer ausgezeichneten entstaubten Fassung der Hamburger Kammerspiele, die beim Theaterring Bad Kissingen im Kurtheater gastierte.       -  Goethes 'Stella' in einer ausgezeichneten entstaubten Fassung der Hamburger Kammerspiele, die beim Theaterring Bad Kissingen im Kurtheater gastierte.
Foto: Gerhild Ahnert | Goethes "Stella" in einer ausgezeichneten entstaubten Fassung der Hamburger Kammerspiele, die beim Theaterring Bad Kissingen im Kurtheater gastierte.
Gerhild Ahnert
 |  aktualisiert: 27.11.2022 02:42 Uhr

Nur selten gab es im Kurtheater so viel Schauspielpower und Inszenierungswitz wie bei der zweiten Aufführung im laufenden 38. Theaterring. Das Ensemble der Hamburger Kammerspiele kam mit einem Stück, das sich eigentlich immer etwas schwertut auf den Bühnen, Johann Wolfgang von Goethes "Stella", das er selbst "Ein Schauspiel für Liebende" nannte.

Er hatte sich als Mittzwanziger 1775 von der Geschichte des Ritters von Gleichen inspirieren lassen und die Darstellung auf dessen Grabstein im Erfurter Dom benutzt, um zu zeigen, wie ein Mann zwei Frauen gleichzeitig lieben kann. Zudem konnte Goethe auch selbst mitreden. Schließlich hatte er als junger Mann auch zwei Liebschaften am Laufen: mit Friederike Brion und Lily Schönemann.

Ein Spagat zwischen zwei Fassungen

Beim Grafen hatte der Papst die Menage à trois erlaubt, aber Goethe bekam Skrupel und arbeitete den degoutanten Stoff 1806 in ein Trauerspiel um, an dessen Ende zwei der drei Liebenden, Stella und Fernando, Selbstmord begehen. Seitdem versuchen Regisseure immer den Spagat zwischen beiden Fassungen.

Für die Hamburger Kammerspiele nahm sich die Regisseurin und Autorin Amina Gusner 2022 der Geschichte an. Sie konnte das ohne Goethes Skrupel tun und mit den Themen und Problemen im Stück spielen, runderneuerte so das Klassikerstück insgesamt und gründlich und holte es in unsere Zeit. Dafür sorgte als Einstieg die Darstellung der Lucie, die mit ihrer Mutter Cäcilie im Gasthof abgestiegen ist und diese mit ihrer Respektlosigkeit und dicken Kopfhörern gehörig nervt. Dabei soll sie versuchen, im Haus der betuchten Stella eine gute Stellung zu bekommen, denn Mutter und Tochter sind mittellos. Beide Frauen haben ein Kind von einem früheren Liebhaber, der sie im Stich gelassen hat. Stella trauert um ihr gestorbenes Kind und ist in einem Idealbild erstarrt, das reglos an der Wand hängt.

Spannendes Ende eines Dramas

Beide Kinder hat Fernando gezeugt und dann beide Frauen verlassen. Als der als romantischer Liebhaber ausgestattete Ex plötzlich zurückkehrt, kommt Bewegung in die Verlassenen: Stella steigt aus ihrem Bilderrahmen und wirft sich ihm zu Füßen, Ex-Frau Cäcilie versucht ihn von der Tochter fernzuhalten und plant halbherzig die Flucht. Doch alle drei bleiben und umkreisen einander, während ihre Wirtin für die nötige Koffeinzufuhr für solch brenzlige Situationen sorgt.

Mit großem Tempo lässt die Regisseurin sie die Goetheschen Dramenschlüsse durchprobieren: Abreise von Mutter und Tochter, Drohen mit Selbstmord oder Mord durch Fernandos Pistole werden angespielt, bleiben aber ungenutzt. Ein Schuss fällt, aber Fernando überlebt. Am Schluss leben alle und die Möglichkeit der Dreisamkeit wird in Erwägung gezogen. Goethe nannte die Fassung mit dem tödlichen Ausgang "Tragödie", aber bei diesem Theaterabend überwiegt eher die Darstellung der Absurdität und Lächerlichkeit der Situation, auch wenn der Ausgang am Schluss noch einmal richtig spannend wird.

Kurzweiliig und vergnüglich

So war die Aufführung keineswegs eine Übung in Klassikerpflege. Die Regisseurin nutzte vielmehr alle Gelegenheiten, um sie kurzweilig und vergnüglich zu machen. Kristina Peters als Lucie kam völlig plausibel als mal muffig-trotzig brütende, exaltierte, nur versteckt an Liebesdingen interessierte Jugendliche mit einigen Ressentiments gegenüber der Mutter rüber und spielte das komische Potenzial ihrer Rolle überzeugend aus.

Barbara Krabbe brauchte keine großen Gesten für ihre Rolle als Wirtin. Isabell Fischer spielte die stille Verzweiflung und Anklage der verlassenen Ehefrau und überforderten Mutter sehr überzeugend. Mario Ramos war als zwischen propagiertem Schuldbewusstsein und auftrumpfendem Machotum changierender Fernando eine gelungene Mischung aus Karikatur und in seiner Selbstherrlichkeit gebeuteltem Mannsbild. Bei Anna Schäfers Stella erkannte man sehr deutlich, dass auch ihr Auftrumpfen das einer modernen Frau war, einschließlich der Angst vor dem immer drohenden Alleinsein.

Im sparsam möblierten grünen Salon hatte Ausstatterin Inken Gusner einen Raum geschaffen, der exakt da angesiedelt war, wohin ihre Schwester Amina auch die Handlung verlegt hatte: in die Unbestimmtheit des Raumes der Liebe im 18. Jahrhundert wie heute.

 
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