"Gipfeltreffen" ist eine Ankündigung, die an die Wolken greift, da wo die Erde endet und der Himmel beginnt. Höher geht's nicht - mal abgesehen von den Göttern, die bei den alten Griechen auf dem Olymp wohnten. Wobei man sich nicht in die Irre führen lassen darf. Nicht auf jedem Olymp wohnen Götter. Auch nicht auf dem Kissinger Klavier-Olymp.
Die, die da die Spitzenposition besetzen, sind zum Glück keine Götter, sondern reale Menschen - an die man natürlich auch glauben kann. Und deshalb war der Konzerttitel auch nicht falsch oder übertrieben. Denn zwei dieser erfolgreichen Olympioniken trafen sich jetzt zum Konzert : Elisabeth Brauß , die 2016 den 1. Platz belegte, und Emre Yavuz, der 2017 den Wettbewerb für sich entschied. Sie kamen, um nachträglich einem Komponisten zum 250. Geburtstag zu gratulieren, den schon seine Zeitgenossen zum Olympier gemacht hatten: Ludwig van Beethoven .
Eigentlich sollte er schon im vergangenen Jahr beim Kissinger Sommer gebührend gefeiert werden, aber das musste ausfallen. Deshalb geschah das jetzt, natürlich in kleinerem Rahmen, aber durchaus interessant. Denn Emre Yavuz und Elisabeth Brauß spielten vier Sonaten , die unter den verschiedensten Gesichtspunkten wichtig für Beethovens Schaffen waren, die Entwicklungen beendeten oder, was sicher wichtiger war, anstießen. Und was natürlich auch interessant war. Zum einen konnte man beobachten, ob und wie sich die beiden Musiker in den zurückliegenden Jahren verändert haben. Und vor allem: wie vollkommen unterschiedlich sie waren.
Emre Yavuz eröffnete mit der A-dur-Sonate op. 101. Bei ihm glaubte man, immer noch ein bisschen die Spuren seines Lehrers in Jugendjahren, Fazil Say, zu erkennen: sehr pointiert, ein bisschen lakonisch, extrovertiert, allerdings nicht im plakativen Sinne, sondern im Sinne entschiedener Statements, und immer auf konzeptionelle Klarheit bedacht - was natürlich Überraschungen nicht verhindert. So spielte er gleich die Eröffnung des ersten Satzes wie den Beginn einer Novelle, wie einen Sprung mitten in ein Gespräch, das er in der thematischen Behandlung mit wechselnder Dynamik so spannend machte, dass man immer ungeduldiger wurde, wann denn nun endlich die berühmten spannungslösenden Fortissimo-Akkorde kommen würden.
Von Beethovens "Lebhaft, marschmäßig" hat Emre Yavuz eine eigene Auffassung. Da entwickelt er ein höchst Quirliges Tempo, das einen schönen Kontrast zu den extrem langsamen Passagen bildete. Erstaunlich, dass er da an der Grenze des Zerfallens noch ausgezeichnet die Spannung halten konnte.
Zum Höhepunkt wurde das Fugato des vierten Satzes, nicht ohne Grund zu einer der schwersten Beethovenschen Klavierpassagen erklärt. Aber Emre Yavuz schien das nicht zu beeindrucken. Er begann mit mutigem Tempo und hielt es durch, ohne bei der Durchhörbarkeiten auch nur geringe Abstriche machen zu müssen.
Von ähnlicher Kraft war die E-dur-Sonate op. 109, in der Beethovens gewonnene formale Freiheit auf die gestalterische Freiheit des Interpreten durchschlug. Emre Yavuz gestaltete den ungewöhnlich kleingliedrigen ersten Satz mit ausgesprochen fantasievollen Differenzierungen. Und er ging den zweiten Satz sehr flott an. Aber konnte das Tempo halten und nicht zuletzt dank seiner ausgesprochen emanzipierten linken Hand eine große Transparenz entwickeln und gleichzeitig einen starken Kontrast zu dem langsamen Binnenteil.
Der dritte und letzte Satz mit seinen Variationen zeigte ihn noch einmal als Meister der Langsamkeit. Da trieb er die Artikulation mitunter bis an die Grenze, aber immer mit einem Anschlag, der den nächsten Ton schon vorbereitete.
Natürlich spielte er eine Zugabe: einen von ihm bearbeiteten Satz aus einem der Gitarrenquartette von Luigi Boccherini . Aber zuvor richtete er sich kurz an das Publikum , erzählte, wie es ihm seit seinem Gewinn ergangen war. Dieser 1. Platz sei für ihn ein Türöffner zu vielen Konzerten gewesen. Die Beethoven-Sonate op. 101 habe er übrigens auch beim damaligen Wettbewerb gespielt.
Elisabeth Brauß , die ein Jahr vor Emre Yavuz gewonnen hatte, hätte als Pianistin nicht unterschiedlicher sein können. Technisch schenkten sich die beiden nichts. Aber anders könnten sie natürlich auch nicht international erfolgreich sein. Aber ganz anders als Emre Yavuz ist Elisabeth Brauß eine Anhängerin des runden, weichen, schönen Tons. Das macht die Musik angenehm zu hören, geht aber etwas auf Kosten der musikalischen Konfrontation.
Es kam Elisabeth Brauß in gewisser Weise entgegen, dass die G-dur-Sonate op. 14/2 keine dramatische Schöpfung ist, dass sie noch ein bisschen den Geist des Rokokos atmet. Und das Spiel der sich suchenden Harmonien gestaltete Elisabeth Brauß plastisch und anregend. Aber man hätte sich gewünscht, dass sie die eine oder andere Wiederholung differenziert hätte und auch in der Dynamik etwas unberechenbarer gewesen wäre - übrigens auch bei dem Mittelsatz mit seinem getupften Marschthema, dessen Witz ja gerade in den unterschiedlichen Betonungen steckt. Die hätten ruhig noch ein bisschen ins Karikierende gehen können. Auch bei dem fabelhaft gespielten abschließenden Scherzo hätte die Dynamik noch eine größere Rolle spielen können.
Deshalb war auch der erste Satz der f-moll-Sonate op. 57, der "Appassionata", so überraschen, weil Elisabeth Brauß plötzlich den Beinamen ernst nahm und hinlangte nach einem wirklich gespenstischen Beginn. Dass die "Leidenschaftliche" allmählich defensivere Züge bekam, war an sich nicht schlimm, denn man muss ja nicht immer mit der Faust auf den Tisch hauen. Aber die widerstreitenden Bewusstseinsebenen, die sich in der Struktur manifestieren, hätten ein bisschen differenzierter sein können.
Dafür gelang ihr ein fabelhafter Sturmlauf durch das Presto des Schlusssatzes, nicht nur technisch, sondern auch in der Strukturierung - ein überzeugender Schluss für eine "Leidenschaftliche". Als Zugabe spielte Elisabeth Brauß zwei Sätze von Domenico Scarlatti .