Die Bedrohung durch den Krieg daheim in Syrien hat Odai K. überstanden und die gefährliche Flucht danach mit Glück auch. Die Silvesternacht von 2016 auf 2017 in Deutschland aber wurde ihm zum Verhängnis. Da misshandelte eine Gruppe von Männern, nach Angaben der Staatsanwaltschaft mit kurdischem Hintergrund, den 15-Jährigen in Bremen so schwer, dass er am vergangenen Samstag in einem Krankenhaus der Hansestadt nach sechs Tagen im künstlichen Koma starb.
Bis zum Frühjahr im Landkreis
Wolfgang Back ist immer noch sehr aufgewühlt. Das Schicksal des 15-Jährigen beschäftigt den Bürgermeister der Marktgemeinde Bad Bocklet mit gutem Grund. Odai K. und seine Familie haben, bis sie im vergangenen März nach der Anerkennung als Asylberechtigte zu Verwandten in Bremen weiterzogen, eine Zeit lang im Landkreis Bad Kissingen gelebt. Zuerst in Bad Bocklet, dann in Hammelburg.
Im Biedermeierbad Bocklet hat man sich besonders um die Familie bemüht. Vor allem Odais kleinere Schwester Sara schaffte es in kürzester Zeit, sich im Bewusstsein der meisten Menschen im Ort zu verankern. Ihr forsches Wesen gefiel wohl nicht jedem, viele aber schlossen sie ins Herz. Darunter eben auch der Bürgermeister und seine Lebensgefährtin Brigitte Junge.
Bürgermeister setzt sich persönlich ein
Back und Brigitte Junge setzten sich persönlich intensiv für die Familie ein und bewegten andere, das Gleiche zu tun. Der Mutter sei mit dem jüngsten Sohn über die Türkei geflohen. Und „mit Unterstützung der Ausländerbehörde“, erzählt Back, sei es auch gelungen, dem damals 13-jährigen Odai die Ausreise aus der Türkei zu ermöglichen, wo er nach Angaben des Bockleter Bürgermeisters zuvor sieben Monate festgehalten war. Auch Stefan Seufert, der Integrationsbeauftragte des Kreises, und das Landratsamt haben getan, was im Rahmen ihrer Möglichkeiten lag.
In Bad Bocklet sei „die Familienzusammenführung glücklich beendet“ worden, berichtet Back weiter: „Die Familie war hierorts sehr beliebt und vor allem die Kinder lernten sehr schnell Deutsch und besuchten bei uns die Grund- und Mittelschule.“
Nett, ruhig und vernünftig
Dass ausgerechnet Odai jetzt durch eine Gewalttat zu Tode gekommen ist, kann er nicht verstehen. Er sei doch so ein netter, ruhiger, vernünftiger Mensch gewesen.
Der Kontakt zu Sara und Odai und ihrer Familie hielt auch nach deren Umzug in den Norden, nach Bremen an. Wenn die Flüchtlingsfamilie ein Problem hatte, wusste sie, wohin sie sich wenden kann.
Back hat sich deshalb auch jetzt wieder intensiv eingemischt. Weil ihm die Ermittlungen nach der Gewalttat in Bremen-Nord nicht entschlossen genug geführt wurden, schrieb er am vergangenen Montag einen Brief an Bundesjustizminister Heiko Maas sowie an Bundesinnenminister Thomas de Maiziere. Mit der dringenden Bitte, „die zuständige Polizeibehörde und Mordkommission anzuhalten, das Tötungsdelikt mit Nachdruck restlos aufzuklären“.
In dem Schreiben gibt Back auch Hinweise auf die Tat weiter, die offenbar aus dem Kreise der Familie kommen. Acht erwachsene Personen seien auf den Jungen „zugestürmt“. Odai habe versucht, davonzurennen. Doch er habe gegen die Männer keine Chance gehabt.
Kurdische Tatverdächtige
Die Tatverdächtigen lebten nicht weit entfernt von der Familie des Opfers. Sie seien bei Nachbarn der Familie K. bekannt. „Wegen massiver Morddrohungen“ seien die Nachbarn aber verängstigt und verweigerten Aussagen zur Aufklärung des Verbrechens. Schnelles Handeln sei notwendig, um die Tat aufzuklären und um die Verantwortlichen in Gewahrsam nehmen zu können, „bevor sie untertauchen“. Auch „schnelle Aburteilung und sofortige Abschiebung in die Herkunftsländer“ fordert Back von den Ministern.
Vorläufige Festnahmen In der Nacht zu Dienstag, 10. Januar, haben die Bremer Behörden, wie Oberstaatsanwalt Frank Passade auf Anfrage bestätigte, zwei Personen vorläufig festgenommen. Unmittelbar nach der Tat allerdings hatten weder Polizei noch Staatsanwaltschaft von dem Vorfall berichtet. Erst an Dreikönig, also einen Tag bevor der Junge seinen schweren Kopfverletzungen erlag, erfolgte eine erste Mitteilung der Polizei der Hansestadt an die Presse. Sie habe „die kriminalpolizeilichen Ermittlungen“ nicht gefährden wollen, begründeten die Beamten ihren anfänglichen Verzicht auf Pressearbeit. Erst auf Veröffentlichung in sozialen Medien, weise man auf die Tat hin. Keine fremdenfeindliche Tat
„Hinweise auf eine fremdenfeindliche Tat liegen derzeit nicht vor“, betonte die Bremer Polizei ausdrücklich. Und die Staatsanwaltschaft der Hansestadt bestätigte in ihrer Mitteilung, die bisherigen Ermittlungen bestätigten den Hinweis der Familie des Opfers auf „Täter aus dem kurdischen Kulturkreis“.
Die Ermittlungen seien allerdings dadurch erschwert worden, dass die Polizei in der Silvesternacht erst zwei Stunden nach der Tat alarmiert worden sei. Aktuell ermitteln Bremer Polizei und Staatsanwaltschaft nach Passades Worten noch wegen Totschlags. Wenn es aber Hinweise gebe, dass Merkmale vorliegen, die für eine Einordnung der Tat als Mord sprechen, könne sich das durchaus noch ändern.
Auf der Straße gefeiert
Die Medien beschäftigt hat der Vorfall bislang vor allem im Norden der Republik. Weserkurier und Radio Bremen berichteten ausführlich über die Tat. Die Agentur dpa schrieb, Odai K. habe „den Jahreswechsel mit Familienangehörigen auf einer Straße in Bremen“ gefeiert, als ein Streit ausbrach. Und Bild fragte: „Was passierte in der Silvesternacht?“
Auch der politische Aktivist und Journalist Martin Lejeune verbreitet aktuell über das soziale Netzwerk Facebook ein Interview, das er mit Odais Mutter und Sara führte. Die inzwischen elfjährige Schwester des Opfers schildert darin unter anderem, was sie vom Fenster ihrer Wohnung aus von der Tat beobachten konnte.
Sorgen über Folgen für Familie
Wolfgang Back macht sich Sorgen über die Auswirkungen der Tat auf Odais Eltern und seine Geschwister. „Die Familie ist völlig aufgelöst“, berichtet er. Die Mutter erwarte ihr nächstes Kind. „Und jetzt das noch.“ Wegen der traumatischen Erlebnisse durch Krieg und Flucht benötigte zumindest Sara in ihrer Zeit im Kreis Kissingen bereits psychologische Betreuung.