
Von Andreas Ungermann
Die Tatvorwürfe klingen wenig spektakulär. Auch das Strafmaß von nun vier statt zuvor sechs Monaten Freiheitsstrafe, ausgesetzt zur Bewährung, sowie ein Schmerzensgeld von zuerst 1000 und jetzt 600 Euro lassen nicht auf große Brisanz schließen. Aber: Was der 38-Jährige von der Anklagebank aus während des Berufungsverfahrens vorliest, ist politischer Sprengstoff: Es geht um ihn. Es geht um sein Opfer Andreas Goerke. Dem Sprecher des Bündnisses "Fulda stellt sich quer" hatte er am 11. Februar 2017 die Polizei auf dessen Grundstück geschickt. Es geht im halbstündigen Geständnis aber auch und vor allem um die AfD im Kreis Fulda. In den Fokus rückt er mit seiner Aussage den heutigen AfD-Kreisgeschäftsführer Pierre Lamely.
"Ich mache hier und heute reinen Tisch", sagt der verurteilte Künzeller mehrfach und betont eben so oft, dass er zur Tatzeit vor vier Jahren in einer Blase gelebt und die AfD bedingungslos unterstützt habe. Als er Goerkes Adresse auf Lamelys Smartphone gesehen habe, habe er sich diese notiert. Lamely habe damals gesagt, "die kann man nochmal gebrauchen", sagt der Künzeller und schildert vor Gericht jenen 11. Februar 2017.
Den folgenden Plan habe er jedoch alleine gefasst. Mit dem Bus sei er in die Kohlhäuser Straße gefahren, weil er gewusst habe, dass sich dort noch eine Telefonzelle befand. Mit dem Ärmel über dem Mund und verstellter Stimme habe er sich dann als Andreas Goerke ausgegeben und behauptet, seine Frau erschossen zu haben. Von der Telefonzelle rufe er an, weil er das ganze Blut in der Wohnung nicht ertragen könne, habe er bei dem Notruf gesagt.
"Ich habe das für einen Scherz gehalten, aber schon fünf Minuten später hatte ich ein schlechtes Gewissen", beteuert er im improvisierten Gerichtssaal im Polizeipräsidium Osthessen . Den Anruf habe er später einer Parteifreundin, die für ihn wie eine Mutterfigur gewesen sei, gestanden. Diese sei zunächst geschockt gewesen. Dann aber habe sie gesagt, mit Goerke habe es "genau den Richtigen getroffen". Über diese "Hassfigur der AfD " habe sie zuvor wiederholt Gewaltfantasien geäußert. Später sei es zum Bruch mit jener Frau gekommen, die einem anderen, radikaleren Lager innerhalb der Partei angehört habe. Der Angeklagte selbst wähnt sich, so seine Aussage, als Opfer parteiinterner Flügelkämpfe.
Er hingegen sei zu jener Zeit mit Lamely und dem jetzigen Vorsitzenden der AfD-Kreistagsfraktion Jens Mierdel "ganz dicke gewesen, wir haben viele Dinger zusammen gemacht", erklärt er - und auch, dass "ich den heutigen AfD-Kreisgeschäftsführer über den falschen Notruf informiert habe". Dessen rechte Hand sei er vor vier Jahren gewesen und habe ihm Debatten und Beschlüsse aus dem Landesvorstand der Jungen Alternative durchstechen sollen, berichtet der Künzeller, dem Lamely auch seinen Anwalt vermittelt habe.
Der so im Geständnis belastete Kreisgeschäftsführer dementiert auf Nachfrage unserer Zeitung die Äußerungen. Der nun 38-Jährige sei nicht seine "rechte Hand" gewesen und habe auch nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis gestanden. Derlei "Geschichtchen aus der freien Fantasie" wolle er nicht kommentieren. Den Anruf habe der Künzeller auch ihm gegenüber erst eingeräumt, nachdem er in den Fokus von Medienberichten gerückt sei. Zudem sei der Verurteilte seit 2018 kein Parteimitglied mehr und habe keinen Einblick mehr in die AfD .
Lamely betont auch: "Die AfD unterhält und unterhielt keinerlei Kooperationen mit der ,Identitären Bewegung' und/oder dem ,Dritten Weg'." Genau das aber hatte der einstige AfDler behauptet. So seien gezielt Absprachen über Termine von AfD-Parteitagen und "Dritter Weg"-Aufmärschen getroffen worden, um das Bündnis "Fulda stellt sich quer" an unterschiedlichen Orten zu binden.
Im Gegensatz zur AfD wertet Landgerichtspräsident Dr. Jochen Müller die Einlassungen als durchaus glaubwürdig und folgt im Urteil dem Plädoyer der Verteidigung. Die Staatsanwaltschaft hatte hingegen eine Geldstrafe gefordert. In seiner Urteilsbegründung macht Müller deutlich, "das war kein Dummer-Jungen-Streich, sondern ein Beitrag zur Verrohung in der politischen Auseinandersetzung. Das geht so nicht", erklärt Müller und will das Urteil als Signal verstanden wissen.
Die Signale von AfD und dem Verurteilten sind hingegen widersprüchlich. Während der Künzeller im Gerichtssaal erklärt, er habe mit der Partei und Lamely gebrochen, auch weil dieser sich nicht für ihn eingesetzt habe und angebliche homosexuellenfeindliche Äußerungen des Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann nicht bestätigen wollte, sieht die Parteidarstellung anders aus. Der 38-Jährige habe durchaus Ambitionen gezeigt, zurückzukehren - und gedroht. Daher habe der Vorstand beschlossen, ihm den Wiedereintritt auf immer zu verwehren.
"Mit dieser Heftigkeit habe ich nicht gerechnet, aber das Geständnis zeigt, was für ein zerrissener Haufen die AfD ist", sagt Andreas Goerke. Seiner Ansicht nach habe es Verstrickungen mit Rechtsextremen aufgezeigt. Methoden wie Bespitzelung , Drohungen und Diskriminierungen seien in einer demokratischen Gesellschaft nicht hinnehmbar, erklärt das Bündnis "Fulda stellt sich quer" und folgert: Sollten sich die Ausführungen bewahrheiten, müssten Pierre Lamely und Martin Hohmann zurücktreten.