"Unter eines Baumes Rinde/wohnt die Made mit dem Kinde./Sie war Witwe,/denn der Gatte,/den sie hatte,/fiel vom Blatte,/diente so, auf diese Weise,/einer Ameise zur Speise..." Klar! Das Gedicht kennt doch jeder - oder fast jeder. Das war doch von diesem ... von diesem Komiker mit der dicken Hornbrille und den ewig weißen Hemden, der immer aussah wie ein Oberbuchhalter in der Kaffeepause ... naja, also, der hatte so einen auffällig gewöhnlichen Namen ... Hans? ... nein, Heinz! Heinz Erhardt !" Stimmt. Aber das mit dem Oberbuchalter stimmte nur, bis er den Mund aufmachte und seine Gedichte vortrug. Denn sein Humor war auch für zehn Oberbuchhalter erheblich zu viel.
Für die Rolle prädestiniert
Jetzt war Heinz Erhardt mit einer Lesung zu Gast im Rosenhof. Natürlich nicht persönlich, denn er ist schon vor 30 Jahren gestorben. So hat ihn sein Enkel Marek vertreten, und zwar in einer außerordentlich hinreißenden Weise - kein Zufall, denn er ist gerade auf einer "Rosenhoftournee": "Sie glauben ja nicht, wie viele Rosenhöfe es im Lande gibt." Für ihn war es eine Art Heimspiel, denn sein Publikum ist in einer Zeit groß geworden, als Heinz Erhardt nach dem Zweiten Weltkrieg seine größten Erfolge feierte. Und sein Enkel ist für diese Rolle prädestiniert: Er ist selber gelernter Schauspieler , Synchronsprecher und Schriftsteller, ist in vielen bekannten Fernsehfilmen und Serien aufgetreten, hat an vielen Bühnen und als Autor Erfolge gefeiert und war sogar vier Jahre Stadionsprecher beim HSV - allerdings in einer Zeit, in der noch gute Nachrichten zu verkünden waren.
Allerdings: In einer Sache muss er passen. "Hat jemand von Ihnen meinen Großvater einmal live auf der Bühne erlebt?", fragt er das Publikum, und einige Hände gehen hoch. "Ich habe ihn nie im Theater gesehen", sagt er. Denn als 1971 ein Schlaganfall Heinz Erhardt aus dem öffentlichen Leben katapultierte, war er erst zwei Jahre alt. Natürlich hat er seinen "Gropi" bis zu dessen Tod 1979 in seinem Haus in Hamburg-Wellingbüttel noch erlebt. "Vor allen sein Sprachzentrum war getroffen. Für jemanden, der so für und durch die Sprache lebte wie er, war das eine Katastrophe." Das Publikum hoffte vergeblich auf eine Rückkehr.
Manisches Ruhebedürfnis beim Dichten
Aber so betrüblich das Ende war - Marek Erhardt zeichnete ein präzises Bild voller Sympathie für seinen Großvater, der nicht nur ein begnadeter Dichter, sondern auch Pianist und Komponist war, der sich in seiner Geburtsstadt Riga, dann in Berlin und schließlich in Hamburg durch die Kabaretts nach oben tingelte, der im Zweiten Weltkrieg als Nichtschwimmer ausgerechnet zur Marine eingezogen wurde, dort aber das machen durfte, was er konnte, nämlich Truppenunterhaltung. Der Enkel erzählte von dessen geradezu manischen Ruhebedürfnis beim Dichten ebenso wie bei seinem Bestreben, seine Schüchternheit und sein ewiges Lampenfieber mit den berühmten "doppelten Dodos", den doppelten Doornkaats, zu bekämpfen. "Er hatte immer Angst, dass er mit seinen Gedichten nicht ankommt. Er hat nur Gedichte veröffentlicht, über die die Familie beim Abendessen nicht gelacht hat." Beim Humor verstand er keinen Spaß.
Man hätte Marek Erhardt bei diesen Streifzügen lange zuhören können. Aber natürlich ging es letztlich um die Gedichte . Und da konnte er mit seinem starken Stimmen- und Stimmungsspiel zwischen Pathetisch und Ironisch, zwischen Verschmitzt und Altklug wunderbar zeigen, was für ein genialer Dichter der "Gropi" war, dem kein Reim zu abseitig war, der sich in Zwangslagen hineindichtete, bei denen man nie geglaubt hätte, dass er da wieder herauskommen würde, der aber immer Lösungen fand, die ebenso verblüffend wie logisch waren. Er konnte wunderbar mit dem Sprachrhythmus spielen - da merkte man den Musiker - und mit den Erwartungen, wenn plötzlich die letzten Verszeilen verkürzt waren. Er konnte nur mit dem Austausch von einzelnen Buchstaben ganze Reimfolgen errichten. Er war ein genialer Wortschmied, der sich traute, in völlig unerwarteten Wendungen zu denken. Und trotzdem dachte man sich sofort: "Klar, nur so ist's logisch."
Schelmische Poesie
Dabei war kein Thema vor ihm sicher. Gnadenlos schalkhaft hielt er seine Beobachtungen fest - sehr viele davon aus dem Tierreich, das ja immer auch so menschlich ist, vieles entwickelt sich aus dem mitunter pseudonaiven Nonsense - niemals umgekehrt, denn am Ende stehen immer klare Aussagen, die manchmal an dem moralischen Zeigefinger denken lassen, die aber immer viel Sympathie mit den Bedichteten verraten. Immer blitzt zwischen den Zeilen ein kräftiger Schalk hervor. Es sind Gedichte wie "Die Mauritius" oder "Das Finkennest", "Die polyglotte Katze", die mit ihrem Gebell die Maus aus ihrem Loch lockt, oder "Warum die Zitronen sauer wurden", oder eine Auswahl aus seinen wunderbaren Vierzeilern, diesen geistreich-witzigen Aphorismen. Man ließ sich gefangen nehmen von dieser schelmischen Poesie, die gleichzeitig so ernst war, man begann die Reime vorauszudenken. Man wurde wirklich hineingezogen. Aber irgendwann musste halt doch Schluss sein.
Heinz Erhardt sah seine Rolle realistisch: "Meine besten Witze hab ich erzählt,/das Publikum lächelte nur leicht gequält./Doch Heiterkeit ohne Maß und Ziel/erregte ich, als ich vom Fahrrad fiel."