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Bad Kissingen
Gedenken ohne Hysterie auf den Weihnachtsmärkten
Der Anschlag von Berlin wird bei Polizei, Veranstaltern und Kommunen ernst genommen. Direkte Auswirkungen auf Weihnachtsmärkte gibt es allerdings nicht.
Raphael Zehe (von links) besuchte gestern trotz des Anschlags in Berlin den Bad Kissinger Weihnachtsmarkt und kaufte eine Wurst bei Elena und Spartak Badikjan. Foto: Ralf Ruppert       -  Raphael Zehe (von links) besuchte gestern trotz des Anschlags in Berlin den Bad Kissinger Weihnachtsmarkt und kaufte eine Wurst bei Elena und Spartak Badikjan. Foto: Ralf Ruppert
| Raphael Zehe (von links) besuchte gestern trotz des Anschlags in Berlin den Bad Kissinger Weihnachtsmarkt und kaufte eine Wurst bei Elena und Spartak Badikjan. Foto: Ralf Ruppert
Ralf Ruppert
 |  aktualisiert: 19.08.2022 18:00 Uhr
Trauerflor an Behörden und Marktbuden, abbestellte Live-Musik, stumme Lautsprecher: Der Anschlag von Berlin war gestern auch in Bad Kissingen allgegenwärtig, ohne dass die Hysterie das öffentliche Leben lähmte. "Ich habe keinerlei Befürchtungen, Bad Kissingen ist zum Glück eine ganz ruhige Stadt", sagte Besucher Raphael Zehe (22). Der Bad Kissinger ließ sich von dem Terror-Anschlag nicht vom Ausflug mit Arbeitskollegen auf den Weihnachtsmarkt abbringen.
Auch für das Zusammenleben mit Flüchtlingen sieht Zehe keine Gefahr: "Ich komme gut mit ihnen zurecht", erzählt er von persönlichen Begegnungen und Gesprächen. Viele Neu-Bürger seien gut gebildet und er habe sich noch nie von einem Flüchtling bedroht gefühlt, erzählt er, während er eine Wildschwein-Bratwurst am Stand von Elena und Spartak Badikjan kauft.


Betreiber wollten Zeichen setzen

Das russlanddeutsche Ehepaar betreibt seit elf Jahren einen Stand auf dem Bad Kissinger Weihnachtsmarkt. "Die Menschen kommen trotzdem, es ist ja auch so gemütlich hier", erzählt Elena Badikjan. Der Anschlag in Berlin mache beide betroffen und traurig. Gleichzeitig schauen sie auf ihre eigene Ankunft vor 17 Jahren in Deutschland dankbar zurück: "Wir sind sehr gut aufgenommen worden", erzählen die Badikjans.
Betroffen hat auch Stand-Betreiber Gerhard Moritz vom Café Sinnberg auf die Nachrichten aus Berlin reagiert: "Für uns war es wichtig, dass wir ein Signal setzen", betont er. Der Trauerflor und der Verzicht auf Unterhaltungsmusik sollen den Besuchern signalisieren, dass es zwar weitergeht, aber eben im Gedenken an die Opfer. "Für heute war Rhöner Blechle geplant, denen habe ich abgesagt, ab Mittwoch war sowieso kein Programm mehr vorgesehen", berichtet Birgit Rechtenbacher, die den Bad Kissinger Weihnachtsmarkt bei "Pro Bad Kissingen" organisiert. "Die Händler sind schon erschüttert", fasst sie die Stimmung zusammen. Viele seien in Gedanken bei den Opfern.


Keine Sicherheitsgarantie

Trotzdem müsse der Weihnachtsmarkt weitergehen: "Es kann nicht alles still stehen", verteidigt sie die Öffnung bis zum Zweiten Weihnachtsfeiertag. Und: "Eine absolute Sicherheitsgarantie gibt es nicht." Auch die Stadt Bad Kissingen als Sicherheitsbehörde weist darauf hin, dass ein solcher Markt nicht vollständig vor terroristischen Übergriffen zu schützen sei. Allerdings seien im Vorfeld natürlich Belange wie Rettungswege und Brandschutz besprochen worden. "Die Stadt Bad Kissingen wird sich mit Pro Bad Kissingen dahingehend abstimmen, ob noch weitere Maßnahmen sinnvoll und notwendig sind", berichtet Rathaus-Sprecher Thomas Hack.


Mehr Polizei-Präsenz

"Wir werden die Präsenz erhöhen, etwas anderes sehen wir nicht als erforderlich an", ergänzt Christian Pörtner von der Bad Kissinger Polizei. Aber auch vor dem Anschlag seien Polizei und Sicherheitswacht schon regelmäßig dort gewesen - unter anderem mit dem Erfolg, dass es heuer weniger Geldbeutel-Diebstähle gab. Beim Rakoczy-Fest war - unter dem Eindruck des Anschlags von Nizza - ein Mannschaftswagen vor der Ludwigsbrücke quer gestellt worden. Für solche Maßnahmen sieht Pörtner beim Weihnachtsmarkt keine Veranlassung.

Während in Berlin gestern zumindest für einen Tag die Weihnachtsmärkte geschlossen blieben, gab es in der Region keine Einschränkungen: Trotz des Terror-Anschlages machen die Weihnachtsmärkte in Bad Kissingen, Schweinfurt, Würzburg, Fulda oder Erfurt weiter. Besucher sollten "sich der Situation bewusst, gleichzeitig aber nicht ängstlich sein", sagt etwa Jan von Lackum, Stadtrat und Leiter des Ordnungsamtes in Schweinfurt.
Der Schweinfurter Weihnachtsmarkt öffnet jeden Tag um 11.30 Uhr auf dem Marktplatz, auf 7500 Quadratmetern stehen 38 Buden sowie Aktions- und Sozialstand, Bühne, Adventskalender, lebende Krippe und eine kleine Krippe. Auf mehrere Zehntausend schätzt von Lackum die jährliche Besucherzahl. Das Sicherheitskonzept sehe Kontrollen durch Polizei, Sicherheitswacht und kommunalen Ordnungsdienst vor. "Es gab aufgrund der Vorfälle in Köln zur letzten Silvesternacht bereits eine geringfügige Verschärfung bei der Bestreifung." Deshalb seien aktuell keine "Anpassungen" geplant, aber: "Eine hundertprozentige Sicherheit konnte und kann für solche Veranstaltungen nicht garantiert werden." Wichtig sei, verdächtige Personen oder Fahrzeuge der Polizei zu melden.


Betonelemente an vier Stellen

Erhöht werden die Sicherheitsvorkehrungen für den Erfurter Weihnachtsmarkt mit laut Pressesprecherin Inga Hettstedt jährlich zwei Millionen Besuchern. "Es wäre falsch, jetzt in Panik oder Schockstarre zu verfallen. Dennoch müssen wir zeigen, dass wir die Lage ernst nehmen und reagieren", sagte der Erfurter Oberbürgermeister Andreas Bausewein. An vier zentralen Stellen rund um den Erfurter Domplatz werden je 2,5 Tonnen schwere Betonelemente aufgestellt, die eine Durchfahrt für Bus, Stadtbahn und andere Fahrzeuge zwar nicht verhindern, "aber die Geschwindigkeit merklich senken". Die Klötze sind je 1,60 Meter breit und 80 mal 80 Zentimeter dick und schränken den Verkehr ein. Laut Landespolizeiinspektion Erfurt hat auch die Polizei die Präsenz auf den Weihnachtsmärkten in der Erfurter Innenstadt erhöht, also auf dem Domplatz und auf den Märkten auf dem Anger, Wenigemarkt, Marienwiese und dem Fischmarkt.
Der Fuldaer Weihnachtsmarkt bleibt regulär geöffnet, die bestehenden Sicherheitsvorkehrungen werden in Absprache mit dem Polizeipräsidium Osthessen verstärkt, teilte die Stadt Fulda gestern auf Nachfrage mit. "Angesichts der allgemeinen Gefährdungslage haben wir bereits im Herbst für den Fuldaer Weihnachtsmarkt ein umfassendes Sicherheitskonzept ausgearbeitet, zu dem auch ein verstärkter Personaleinsatz gehört", erläuterte Bürgermeister Dag Wehner, Ordnungsdezernent der Stadt Fulda. Die Polizei werde ihre Präsenz verstärken und die Stadtwache während der Öffnungszeiten des Weihnachtsmarktes durchgängig öffnen. Zudem soll die für die Silvesternacht geplante mobile Videoüberwachung in der Fuldaer Innenstadt schon jetzt in Betrieb gehen. Auch in Fulda sind an einigen Zufahrtswegen Sperrmaßnahmen geplant.
 
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