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Sulzthal
Erinnerungen ans Kriegsende in Sulzthal: Gedenken an eine Heldentat
Als amerikanische Panzer Sulzthal erreichten, ging Gregor Schäfer mit einem weißen Tuch auf die Straße.
Gregor Schäfer (im Hintergrund) mit seinem Schwiegersohn Franz Hofstetter (von links), Enkelin Hildegard und Anna Hofstetter.       -  Gregor Schäfer (im Hintergrund) mit seinem Schwiegersohn Franz Hofstetter (von links), Enkelin Hildegard und Anna Hofstetter.
Foto: Pfarrer Ludwig Ort/Archiv Ruppert | Gregor Schäfer (im Hintergrund) mit seinem Schwiegersohn Franz Hofstetter (von links), Enkelin Hildegard und Anna Hofstetter.
Ralf Ruppert
 |  aktualisiert: 08.04.2025 12:04 Uhr

An das Ende des Zweiten Weltkrieges in Sulzthal kann sich Hildegard Ruppert (85) noch gut erinnern: Fünf Jahre und elf Monate alt war sie, als amerikanische Panzer am 7. April 1945 aus Richtung Trimburg nach Sulzthal kamen. Ihr Großvater Gregor Schäfer fasste sich ein Herz und ging den Truppen mit einem weißen Betttuch entgegen. „Meine Mutter hat versucht, ihn zurückzuhalten“, erzählt die 85-jährige Sulzthalerin. Kurz danach rollten US-amerikanische Panzer durch die Langenbergstraße in den Ort. „Gregor Schäfer wäre der erste gewesen, der erschossen worden wäre“, würdigt Martha Seufert noch heute seinen Mut.

Gottesdienst am Sonntag

Deshalb hat sie zum 80. Jahrestag des Kriegsendes einen Gottesdienst bestellt: Am Sonntag, 6. April, um 18 Uhr, soll für Schäfer und aus Dank für 80 Jahre Frieden gebetet werden.

Ortschronist Arnulf Diez berichtet in seinem Buch über Sulzthal , dass am 7. April 1945 um Mitternacht Schießlärm aus Richtung Trimberg in Sulzthal zu hören war. Gut drei Wochen vorher, am 16. März, war Würzburg komplett zerstört worden, der Schein des Feuers erhellte die Nacht bis nach Sulzthal , die Menschen waren verängstigt. Trotzdem gab es den Befehl, weiterzukämpfen: Am 7. April gegen 7.30 Uhr sei ein einzelner deutscher Panzer in den Ort gekommen, Soldaten eilten mit Panzerfäusten bewaffnet durch das Bugpförtchen auf den Langenberg.

Bauern verpflegen russische Soldaten

Am Mittag wurden von Trimberg her noch gefangene russische Soldaten gebracht, die von den Bauern verpflegt und von zwei Volkssturmmännern nach Obbach gefahren wurden. Gegen 16.45 Uhr peitschten laut Chronik Gewehr- und Pistolenschüsse über die Häuser und trieben die Einwohner in die Keller. Über den Weinbergen im Reinsthal standen amerikanische Panzer und hatten Geschützrohre drohend auf das Dorf gerichtet.

„Der Landwirt Gregor Schäfer ging durch das Bugpförtchen mit weißer Flagge zu den Amerikanern und versicherte ihnen, dass keine deutschen Truppen mehr im Ort sind“, schreibt Diez in seiner Chronik. Gregor Schäfer wurde 1881 in Frankenbrunn geboren. Seine Eltern hießen Elisabeth und Caspar Schäfer. 1905 heiratete er Josefine Moritz, Tochter von Barbara und Johann Moritz aus Sulzthal . Das Paar hatte drei Kinder: zwei Söhne und die 1913 geborene Tochter Anna. Beide Söhne fielen im Zweiten Weltkrieg, ebenso Schwiegersohn Franz Hofstetter, der in den 1930er Jahren aus Fuchsstadt nach Sulzthal geheiratet hatte.

Als Geisel angeboten

Auf dem Langenberg angekommen, bot sich der 64-jährige Gregor Schäfer als Geisel an. Kurz darauf rasselten die ersten Panzer die Langenbergstraße herab, durchfuhren ohne Aufenthalt und ohne Widerstand das Dorf in Richtung Euerdorf und Ramsthal. Die Panzer kamen direkt am Haus von Martha Seuferts Großvater August Weingart vorbei. „Er hat gesehen, dass Gregor Schäfer auf dem Panzer stand und ein Gewehr im Rücken hatte“, berichtet die 1944 geborene Martha Seufert, und: „Davon hat er oft erzählt.“ Während andere im Ort der Meinung gewesen seien, dass der Ort weiter verteidigt werden müsse, habe sich Gregor Schäfer geopfert und so den Ort vor der Zerstörung gerettet. In der Nacht zuvor hatten einige mutige Bürger Panzersperren beseitigt.

Auch von der alten und von der neuen Bergstraße kamen amerikanische Panzer. Die Einwohner verließen die Keller, die serbischen Kriegsgefangenen und auch manche Ortsbürger winkten den Amerikanern zu. „Gott sei Dank! Die Front war über Sulzthal hinweggerollt und im Gegensatz zu vielen Nachbarorten war nichts passiert“, fasst Chronist Arnulf Diez den 7. April 1945 zusammen.

Die kleine Hildegard und ihre Mutter Anna Hofstetter dagegen hielten nichts von der Heldentat Schäfers.

Angst vor der Erschießung als Überläufer

Zu groß war die Angst, dass er auf dem Weg zu den US-Truppen von hinten als Überläufer erschossen werden könnte. Oder dass doch jemand auf die Panzer feuert. Leider konnte Gregor Schäfer den Frieden nicht lange genießen: Im Herbst 1945 erlag er vermutlich einem Herzinfarkt. Die sechsjährige Hildegard war gerade mit dem Opa im Weinberg unterwegs, als er zusammenbrach. Anna Hofstetter stand damit nach dem Tod ihres Mannes und der beiden Brüder im Krieg Ende 1945 als alleinerziehende Mutter ganz alleine da. Einige Jahre nach Kriegsende fand sie mit Max Hippler aus Garitz einen neuen Mann.

Sämtliche Waffen eingesammelt

Wie ging es nach dem 7. April weiter? In der Nacht auf den 8. April waren laut Chronik keine Truppen im Ort, in den darauffolgenden Tagen zogen immer wieder US-Soldaten durch den Ort, auch weil die Brücke bei Trimberg gesprengt war. Am 10. April wurden sämtliche Waffen eingesammelt, auf Nichtbefolgung stand die Todesstrafe. Am Nachmittag wurde Pfarrer Ludwig Ort als vorübergehender Bürgermeister bestimmt. „Das Einsetzen des Pfarrers als Bürgermeister hat sich in den folgenden Wochen als sehr segensreich erwiesen, wenn er sich auch die Feindschaft weniger, radikaler Bürger zuzog“, schreibt Diez. Er habe politische Gegensätze ausgeglichen und Rachegelüste unterdrückt. Am 12. April wurden vier Jungen beim Spielen mit deutscher Munition verletzt, ein Junge starb einen Tag später.

Gregor Schäfer       -  Gregor Schäfer
Foto: Fotograf unbekannt/Archiv Ruppert | Gregor Schäfer

Ab 14. April kehrte etwas Normalität ein, die Ausgangssperren wurden gelockert, Landwirte durften wieder auf den Feldern arbeiten. Andererseits wurden viele Gegenstände, etwa Ferngläser, Fotoapparate und sämtliche Motorräder im Ort beschlagnahmt. Unter Führung eines Polen namens Richard Kwiatkowsky durchsuchten am 6. Mai zwei Amerikaner Wohnungen nach Waffen. Der junge Pole war vor Kriegsende als landwirtschaftlicher Hilfsarbeiter bei einem Bauern in Sulzthal eingesetzt. Nach dem Zusammenbruch ging er nicht in seine Heimat zurück. „Er setzte der einheimischen Bevölkerung so sehr zu, dass sich viele vor ihm fürchteten“, heißt es in der Chronik.

Am 13. Mai trat zum ersten Mal ein neuer Gemeinderat zusammen, der aus politisch unbelasteten Männern zusammengesetzt war. Am 5. Juli gab Pfarrer Ort bekannt, dass er auf Wunsch des Bischofs das Bürgermeisteramt abgibt. Die Aufarbeitung des Nationalsozialismus zog sich bis ins Jahr 1946 hinein. Insgesamt 66 Männer aus dem Ort fielen im Zweiten Weltkrieg oder wurden als vermisst gemeldet. Der letzte Soldat kehrte erst 1952 aus russischer Kriegsgefangenschaft nach Sulzthal zurück.

 
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