
- Das "Biografische Gedenkbuch Gedenkbuch der Bad Kissinger Juden während der NS-Zeit" gibt es nicht als Buch zu kaufen, sondern man findet es seit Donnerstag auf den Websites der Stadt Bad Kissingen . Am selben Abend stellte Autor Rolf Walter zum Auftakt der Jüdischen Kulturtage das mit Ehefrau Marlies gemeinsam erarbeitete Ergebnis ihrer langjährigen Forschungsarbeit über das jüdische Leben in der Kurstadt vor. Dabei berichtete er an Beispielen aus über 620 verfassten Biografien auch über völlig neue Erkenntnisse, die durch diese Arbeit erst bekannt wurden.
Vor fünf Jahren, nach Walters Pensionierung als Gymnasiallehrer, hatte ihn Ehefrau Marlies auf die Idee zur Erstellung dieses Online-Gedenkbuches gebracht. Der Gedanke war naheliegend, schließlich widmen sich Rolf und Marlies Walter schon seit drei Jahrzehnten dem jüdischen Leben im Staatsbad. Erste Biografien Kissinger Juden waren schon in älteren Büchern zu finden, andere hatten Mitglieder der Stolperstein-Initiative in vergangenen Jahren erforscht. Doch waren dies alles nur Einzelstücke, die einer Sammlung und Ergänzung bedurften. Diese Aufgabe übernahm nun 2015 das Ehepaar Walter.
Wurzeln bis ins Mittelalter
"Bis zur Deportation der letzten Kissinger Juden im Jahre 1942 nach Krasniczyn und Theresienstadt gab es in Bad Kissingen eine große und lebendige jüdische Gemeinde, deren Wurzeln bis ins Mittelalter zurückreichten. Innerhalb weniger Jahre wurde diese blühende Gemeinde ausgelöscht", schreibt Rolf Walter auf der Startseite des Online-Gedenkbuches. "Welchen kulturellen und menschlichen Verlust hat Bad Kissingen erlitten", begann er am Donnerstag seinen Vortrag. Es sei doch erstaunlich, welche Lebens- und Berufskarriere manche Holocaust-Überlebende, damals noch Schüler am Kissinger Gymnasium, im späteren Leben noch gemacht haben, allen voran der Physik-Nobelpreisträger Jack Steinberger.
Einzelschicksale im Blick
Walter war es bei seiner Forschungsarbeit nicht allein um die seit Jahrhunderten in Bad Kissingen alteingesessenen jüdischen Familien gegangen, sondern um die Schicksale möglichst aller jüdischen Mitbürger der NS-Jahre - ob nun frühzeitig ins Ausland geflohen oder vertrieben, ob im KZ ermordet oder überlebt. "Es geht hier nicht um Statistik, sondern um Einzelschicksale." Hierzu durchforsteten die Walters alle relevanten Online-Archive, studierten schriftliches Material, korrespondierten mit Archiven in vielen Ländern und mit Nachkommen in aller Welt. Sogar Urlaubsreisen nutzten sie, um Archive nach Kissinger Juden zu durchforsten. So gelang es während eines Italien-Urlaubs eher zufällig, in einem Archiv in Rapallo einen Hinweis auf die bisher nicht nachweisbare Emigration des Fotografen Julius Hoffmann über Genua nach London zu finden.
Auch andere Schicksale berührten das Forscherpaar während der Jahre: So stießen sie im italienischen Telefonbuch auf den Namen Rosenthal. Tatsächlich fand sich darunter Klaus-Peter Rosenthal, Enkel des Kissinger Arztes Walter Rosenthal. Nach dem Telefonat mit Marlies Walter entschloss er sich, im kommenden Frühjahr erstmals nach Bad Kissingen zu kommen - in die Stadt seiner Vorfahren. Überraschend war auch das weitere Schicksal von Hilde Lehmann, die gemäß bisher bekannter Quellen in Riga umgekommen sein sollte. Walters fanden heraus, dass Hilde doch noch ein Visum für Brasilien bekommen hatte, dort erst 2014 gestorben war und auch Nachkommen hatte.
Walter: "Es ist schön, nicht nur tragische Schicksale, sondern auch solche positiven Ergebnisse herauszufinden."
Rolf und Marlies Walter wissen aus Erfahrung, dass ihre Forschung nie abgeschlossen sein wird, weshalb eine gedruckte Ausgabe ihres Gedenkbuches nur unvollkommen wäre. Die Online-Version bietet den unschätzbaren Vorteil, jederzeit Ergänzungen einbringen zu können. Für die Nutzung durch internationale Archive fehle aber noch eine englische Übersetzung, war Rolf Walters zurückhaltend formulierter Wunsch um Unterstützung unüberhörbar. Doch schon heute sei diese Datenbank mit ihrem auf einem interaktiven Stadtplan nachvollziehbarem Verzeichnis jüdischen Lebens ein "authentisches Lehrmaterial für Kissinger Schulen".
Weiterer Vortrag
Einen ausführlichen Vortrag zum Online-Gedenkbuch hält Rolf Walter im Rahmen der Jüdischen Kulturtage am Mittwoch, 29. April, um 19.30 Uhr im Großen Saal des Landratsamtes, Obere Marktstraße 6, in Bad Kissingen .