Bad Kissingen
Furioser Abschluss des Festivals
Ganz im Zeichen italienischer Musik spielte das Staatsorchester Braunschweig unter Leitung von Gerd Schaller.
Das war er also, der Kissinger Winterzauber 2016/17. Mit dem Abschlusskonzert des Staatsorchesters Braunschweig unter Leitung von Gerd Schaller ging das Festival zu Ende. "Viva Italia!" war es überschrieben, und das Programm hielt, was es verspach: Mit Felix Mendelssohn-Bartholdys 4. Sinfonie, der "Italienischen", mit dem 1. Violinkonzert von Nicoló Paganini und Ottorino Respighis "Pini di Roma" bot es einen wohltuenden Kontrast zu den Temperaturen vor der Tür.
Das Staatsorchester Braunschweig macht mit Stolz darauf aufmerksam, dass es zu den ältesten Kulturorchestern der Welt gehört. 1587 wurde es als Hofkapelle des Herzogs Julius zu Braunschweig/Wolfenbüttel gegründet und hat die letzten 430 Jahre trotz oder wegen mehrerer Umfirmierungen ganz gut überstanden. Aber im Augenblick sieht es ziemlich alt aus. Das ist eine Beobachtung, die man schon vor einem Jahr beim Abschlusskonzert machen konnte, als die Braunschweiger das erste Mal im Regentenbau waren. Es war schon damals ein etwas verzagtes Musizieren mit schleichenden Ungenauigkeiten. Das hat sich nicht geändert.
Dabei können die Musiker nichts dafür. Der Skandal, dass sie sich derzeit so unter Wert verkaufen müssen, ist hausgemacht: Im Sommer 2014 lief der Vertrag des letzten amtierenden Generalmusikdirektors Alexander Joel aus. Oder anders gesagt: Bereits 2013, also vor vier Jahren(!) begann die Suche nach einem Nachfolger. Es wurden Kandidaten aufgespürt, es gab Probedirigate und es konkretisierte sich eine Rangliste. Man hätte den Wechsel geräuschlos über die Bühne bringen können, aber 2015 kündigte die designierte Braunschweiger Intendantin Dagmar Schlingmann eine eigene Kandidatenliste an, obwohl sie ihr Amt erst in diesem Sommer antritt. Damit hing das Schiff wieder fest - bis heute. Dabei sind es nicht die Intendanz oder der Stadtrat, die den GMD wählen, sondern das Orchester.
Wollte man in Braunschweig den Posten des GMD ganz streichen und nur mit Gastdirigenten arbeiten (Stuttgart lässt grüßen)? Fünf Jahr eingespartes Gehalt sind auch ein nettes Sümmchen. Aber jetzt meldete der Flurfunk, dass mit Srba Dinic ein neuer Mann gefunden ist (immerhin ein Favorit des Orchesters). Nur ob er sein Amt im Herbst 2017 oder 2018 antritt, ist noch unklar. Dabei ist es dringend. Das Orchester braucht jemanden, zu dem es ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis aufbauen kann, der es nicht nur erzieht, sondern auch ermutigt und emanzipiert. Das können Gastdirigenten nicht leisten.
Obwohl Gerd Schaller ziemlich viel aus seinen Leuten herausholte. Aber er musste sichtlich hart arbeiten, um das Orchester in der "Italienischen" mit ihrem wunderbar fließenden Einstieg auf die Spur zu bringen und drauf zu halten, sie an der ganz kurzen Leine führen, dass die Tempi nicht in Vergessenheit gerieten und der Fluss zum Erliegen kam. Und es gelang ihm auch, seine strukturellen Konzeptionen dem Orchester zu vermitteln, aber man hätte sich ihre Umsetzung mutiger, nicht im Sinne von laut, sondern von plastisch gewünscht. Ein schöner musikalischer Einstieg war es trotzdem.
Sein Kissinger Debüt gab der Geiger Noé Inui, 1985 als Sohn japanisch-griechischer Eltern in Brüssel geboren und 2006 in Düsseldorf sesshaft geworden. Wer seine Biografie gelesen hatte, erwartete einiges von ihm bei Paganinis 1. Violinkonzert. Aber es ist halt verdammt schwer, die technischen Gemeinheiten zu Musik zu machen. Wer das Konzert spielt, wandert auf einem sehr schmalen Grat. Er muss sich vorher entscheiden, auf welche Seite er nicht abstürzen will: Tempo oder Genauigkeit. Inui hatte sich für das Tempo zu Lasten der Präzision entschieden. Natürlich konnte man über seine Technik staunen, aber es war nicht zu überhören, dass er - auch in seiner Zugabe - intonatorisch unter Druck geriet und unsauber wurde, dass er, trotz eines guten Fehlermanagements, immer mal wieder auch etwas wegließ. Es waren immer noch genug Töne, aber die Musik tat sich schwer, ihre Schwerkraft zu verlieren. Wer Frank Peter Zimmermann oder Ning Feng beim Kissinger Sommer mit Paganini gehört hat, der merkte, dass Noé Inui diese Liga noch nicht erreicht hat.
Die Begleitung durch das Orchester machte großen Spaß: ganz im Stil einer typischen italienischen Banda, ein bisschen frech, ein bisschen laut, also ganz nahe an Paganini. Und diese Haltung nahm das Orchester mit zu Respighis "Pini di Roma", einem Klangbild einer modernen Großstadt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Da wurde wie in Gershwins "Amerikaner in Paris" die Klangkulisse eines pulsierenden Lebens deutlich in den "Pini di Villa Borghese" oder die dunkle Mystifizierung in den "Pinien neben einer Katakombe", die mit einem langen Crescendo zur Übersteigerung geführt wird. Abgesehen von kleinen Flecken (die wird Srba Dinic richten, wenn er denn kommt) schien das Orchester plötzlich wirklich Spaß an seinem Tun gefunden zu haben. Ein mitreißender Schlusspunkt.
Gerangel um Orchesterleitung
Das Staatsorchester Braunschweig macht mit Stolz darauf aufmerksam, dass es zu den ältesten Kulturorchestern der Welt gehört. 1587 wurde es als Hofkapelle des Herzogs Julius zu Braunschweig/Wolfenbüttel gegründet und hat die letzten 430 Jahre trotz oder wegen mehrerer Umfirmierungen ganz gut überstanden. Aber im Augenblick sieht es ziemlich alt aus. Das ist eine Beobachtung, die man schon vor einem Jahr beim Abschlusskonzert machen konnte, als die Braunschweiger das erste Mal im Regentenbau waren. Es war schon damals ein etwas verzagtes Musizieren mit schleichenden Ungenauigkeiten. Das hat sich nicht geändert.
Dabei können die Musiker nichts dafür. Der Skandal, dass sie sich derzeit so unter Wert verkaufen müssen, ist hausgemacht: Im Sommer 2014 lief der Vertrag des letzten amtierenden Generalmusikdirektors Alexander Joel aus. Oder anders gesagt: Bereits 2013, also vor vier Jahren(!) begann die Suche nach einem Nachfolger. Es wurden Kandidaten aufgespürt, es gab Probedirigate und es konkretisierte sich eine Rangliste. Man hätte den Wechsel geräuschlos über die Bühne bringen können, aber 2015 kündigte die designierte Braunschweiger Intendantin Dagmar Schlingmann eine eigene Kandidatenliste an, obwohl sie ihr Amt erst in diesem Sommer antritt. Damit hing das Schiff wieder fest - bis heute. Dabei sind es nicht die Intendanz oder der Stadtrat, die den GMD wählen, sondern das Orchester.
Wollte man in Braunschweig den Posten des GMD ganz streichen und nur mit Gastdirigenten arbeiten (Stuttgart lässt grüßen)? Fünf Jahr eingespartes Gehalt sind auch ein nettes Sümmchen. Aber jetzt meldete der Flurfunk, dass mit Srba Dinic ein neuer Mann gefunden ist (immerhin ein Favorit des Orchesters). Nur ob er sein Amt im Herbst 2017 oder 2018 antritt, ist noch unklar. Dabei ist es dringend. Das Orchester braucht jemanden, zu dem es ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis aufbauen kann, der es nicht nur erzieht, sondern auch ermutigt und emanzipiert. Das können Gastdirigenten nicht leisten.
Harte Arbeit für den Dirigenten
Obwohl Gerd Schaller ziemlich viel aus seinen Leuten herausholte. Aber er musste sichtlich hart arbeiten, um das Orchester in der "Italienischen" mit ihrem wunderbar fließenden Einstieg auf die Spur zu bringen und drauf zu halten, sie an der ganz kurzen Leine führen, dass die Tempi nicht in Vergessenheit gerieten und der Fluss zum Erliegen kam. Und es gelang ihm auch, seine strukturellen Konzeptionen dem Orchester zu vermitteln, aber man hätte sich ihre Umsetzung mutiger, nicht im Sinne von laut, sondern von plastisch gewünscht. Ein schöner musikalischer Einstieg war es trotzdem.
Sein Kissinger Debüt gab der Geiger Noé Inui, 1985 als Sohn japanisch-griechischer Eltern in Brüssel geboren und 2006 in Düsseldorf sesshaft geworden. Wer seine Biografie gelesen hatte, erwartete einiges von ihm bei Paganinis 1. Violinkonzert. Aber es ist halt verdammt schwer, die technischen Gemeinheiten zu Musik zu machen. Wer das Konzert spielt, wandert auf einem sehr schmalen Grat. Er muss sich vorher entscheiden, auf welche Seite er nicht abstürzen will: Tempo oder Genauigkeit. Inui hatte sich für das Tempo zu Lasten der Präzision entschieden. Natürlich konnte man über seine Technik staunen, aber es war nicht zu überhören, dass er - auch in seiner Zugabe - intonatorisch unter Druck geriet und unsauber wurde, dass er, trotz eines guten Fehlermanagements, immer mal wieder auch etwas wegließ. Es waren immer noch genug Töne, aber die Musik tat sich schwer, ihre Schwerkraft zu verlieren. Wer Frank Peter Zimmermann oder Ning Feng beim Kissinger Sommer mit Paganini gehört hat, der merkte, dass Noé Inui diese Liga noch nicht erreicht hat.
Die Begleitung durch das Orchester machte großen Spaß: ganz im Stil einer typischen italienischen Banda, ein bisschen frech, ein bisschen laut, also ganz nahe an Paganini. Und diese Haltung nahm das Orchester mit zu Respighis "Pini di Roma", einem Klangbild einer modernen Großstadt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Da wurde wie in Gershwins "Amerikaner in Paris" die Klangkulisse eines pulsierenden Lebens deutlich in den "Pini di Villa Borghese" oder die dunkle Mystifizierung in den "Pinien neben einer Katakombe", die mit einem langen Crescendo zur Übersteigerung geführt wird. Abgesehen von kleinen Flecken (die wird Srba Dinic richten, wenn er denn kommt) schien das Orchester plötzlich wirklich Spaß an seinem Tun gefunden zu haben. Ein mitreißender Schlusspunkt.
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