Eigentlich wollten Mitarbeiter des Weingutes Lange Schloss Saaleck am Dienstag ausrücken, um zu üppig gewachsene und aus dem Stamm sprießende Triebe zu beseitigen. Das Ziel: den Hauptstrang der jeweiligen Weinpflanze stärken. Stattdessen mussten sie Bilanz ziehen. Und zwar darüber, wie groß die Schäden in den Weinbergen nach der Eisnacht von Montag auf Dienstag sind. Da herrschten Temperaturen von -2 bis -4 Grad.
"Große Teile der Weinberge hat es richtig stark erwischt", sagt Ulrike Lange vom gleichnamigen Hammelburger Weingut. Besonders schlimm habe es die Hänge getroffen, die sich einige hundert Meter hinter Schloss Saaleck den Berg entlangziehen. "Dort sind bis zu 100 Prozent erfroren."
Die Eisheiligen meldeten sich dieses Jahr zur Unzeit. Wochenlang schien die Sonne; sie hatte das Wachstum der Pflanzen angetrieben. Dann fegten am Sonntag und vor allem am Montag Wind und Regen übers Land. Schließlich kroch in der Nacht von Montag auf Dienstag der Frost die Hänge hinauf. Zusammen mit der Feuchtigkeit fuhr er in die empfindlichen jungen Reben und Triebe. Und zwar bis zu 1,40 Meter über dem Boden, sagt Ulrike Lange. Jetzt würden die Blätter nach unten hängen; die Reben seien dunkelgrün oder braun gefärbt. Sie wirkten wie in Glas erstarrt.
Kaum anders stellt sich die Lage bei Winzer Gerald Baldauf dar. Er baut Wein auf 16 Hektar Hängen bei Ramsthal, Hammelburg, Westheim und Feuerthal an. Dazu kommen 30 Hektar im Raum Würzburg. "Ganz schlimm, eine Katastrophe", nennt er das, was der Nachtfrost angerichtet hat. "Wir sind halt die Nordspitze Frankens. Und die Kälte kam von Norden." Um 7 Uhr am Dienstagmorgen habe das Thermometer immer noch - 2 Grad angezeigt. "Die Schäden liegen zwischen 80 Prozent und vollständig", so Baldauf.
Nur die Triebe, die zufällig in die Begrünung zwischen den Rebstöcken gekippt seien, hätten den Frostangriff überstanden. Viel zu wenig, um für den Herbst einen ordentlichen Ertrag erwarten zu können. Zwar setzt Baldauf wie auch Ulrike Lange auf das Beiauge. Das ist eine kleinere Knospe, die sich entfaltet, wenn der Haupttrieb abstirbt. "Da ist aber meist keine oder nur eine Traube dran", so die Hammelburger Winzerin. Sie rechnet letztlich mit insgesamt 78 bis 80 Prozent weniger Ertrag.
Gerald Baldauf ärgert auch, dass die Arbeit, die bisher in die Rebstöcke gesteckt wurde, für die Katz war. Trotz erwarteten geringen Ertrags müsse der Weinberg weiter gepflegt werden. Verschärfend wirke auf den Weinbaubetrieb die derzeitige Corona-Krise.
Der Ramsthaler berichtet auch, dass er Entwicklungen wie diese bis vor zehn Jahren nicht gekannt habe. Doch seitdem treiben laut Baldauf die Rebstöcke immer früher im Jahr aus. Die Maifröste, die zwar unregelmäßig, aber verlässlich kämen, würden die Pflanzen dann voll erwischen. "Generell gilt: Je weiter die Entwicklung der Weinpflanze, umso größer die Frostschäden."
Möglichkeiten, den Einfluss der Kälte zu minimieren, gibt es einige. Gerald Baldauf hält nicht viel von ihnen, weil sie aufwendig und damit teuer ausfallen. So könne man die Drähte beheizen, an denen die weinstöcke festgemacht sind. "Aber pro Hektar brauchen Sie 5000 Meter Draht. Das Beheizen der Reben kostet viel Energie." Zudem seien Petroleum-Erhitzer, ähnlich den Heizpilzen in der Gastronomie - umwelttechnisch sehr bedenklich. Und Hubschrauber, die die Luft über den Weinlagen verwirbeln und so erwärmen, funktionieren laut Baldauf an Steilhängen nicht.
Stefan Ruppert, Vorsitzender des Hammelburger Weinbauvereins, spricht von insgesamt 80 Prozent Schaden auf seiner zwölf Hektar umfassenden Anbaufläche (plus zwei Hektar, die Traubenablieferer bewirtschaften). "Ich stehe gerade vor einem Weinberg . Da ist nichts mehr da." Besonders schlimm habe es die Traditionslage Trautlestal, mit Schäden von "so ziemlich 100 Prozent" erwischt. Nicht weit entfernt folge die Lage Am Heroldsberg mit 80 Prozent Schädigung. Teilweise greife eine Versicherung, sagt Ruppert. Aber die ersetze bei weitem nicht alle Schäden.
Der Winzer glaubt, dass "der Bacchus leider wieder der größte Verlierer" der Frostnacht sei. Beim Silvaner sehe es etwas besser aus. Bei den Rotweinen habe es den Dornfelder am heftigsten getroffen. Der Schädigungsgrad hänge aber auch von der jeweiligen Lage ab.
Trotz des frostbedingten Rückschlags gibt Stefan Rupert die Hoffnung nicht auf; er denkt positiv. "Es muss ja weitergehen. Bei manchen Weinlagen hat es vielleicht nur die Spitzen erwischt."