Der Kissinger Sommer : ein Ort der Leichtigkeit und der Freundschaft, ein, wie die alten Römer sagten, "locus amoenus", ein "angenehmer Ort"? Ist das wirklich so, dass sich beim Festival die Menschen näherkommen, Freunde werden - fürs weitere Leben? Man würde die Frage gerne mit "ja" beantworten. Aber hält dieses "ja" der Realität stand?
Ich weiß nicht, warum die Redaktion, als die Frage in der Runde auftauchte, gerade auf mich gekommen ist. Vielleicht, glaubte sie, weil ich die meisten Kissinger-Sommer-Konzerte gehört habe und dabei massenhaft Freundschaften geschlossen haben müsste? Aber da muss ich die Kollegen enttäuschen.
Selbst wenn ich das gewollt hätte, sieht die Lage bei einem Festival als Arbeitsplatz anders aus: die Klamotten anlegen, ins Konzert hasten, sich setzen, zuhören, klatschen, rausdrängen, nach Hause eilen und endlich: raus aus den Klamotten - und ran an die Tastatur! Das ist jetzt allerdings sehr verkürzt. Mein Problem bei der Frage: Ich habe eigentlich mehr und nachhaltigeren Kontakt mit den Künstlern als mit dem Publikum. Mit ersteren sind in den letzten 36 Jahren sehr viele Bekanntschaften und auch Freundschaften entstanden. Man verabredet sich auch mal nach den Konzerten, wenn man sich in anderen Städten über den Weg läuft.
Aber für die Anbahnung von haltbaren privaten Freundschaften in größerem Maße scheint mir ein Festival ohnehin nicht der wirklich geeignete Ort zu sein. Denn Menschen, die in ein Konzert gehen, tun das nicht vorrangig, um (gleichgesinnte) Leute zu treffen, sondern um Musik zu hören. Aber natürlich unterhält man sich vor Konzertbeginn oder in den Pausen im Foyer oder im Grünen. Da glaube ich die Beobachtung gemacht zu haben, dass diese Treffen zugenommen haben - und das nicht nur, seit die Vor-Konzert-Bewirtung eingeführt wurde, die es in den ersten Jahren noch nicht gab. Zunahme nicht zuletzt deshalb, weil sich immer mehr Menschen im Laufe der Jahre immer öfter getroffen haben. Da herrscht immer eine lockere Stimmung. Aber Freundschaften entstehen da nicht.
Wohin nach dem Konzert?
Hinterher, unter den Flügeln der Gastronomie, wäre das eher möglich. Aber wir kennen die Situation. Es ist an sich eine gute Idee, den Konzertbesuchern per Plakat mitzuteilen, welche Gaststätten auch nach Konzertende noch aktiv sind. Dann kann ich noch vor Konzertbeginn für meine Frau und mich zwei Plätze reservieren. Aber wenn ich im Konzert Leute treffe, mit denen ich gerne ausgehen würde? Kann ich dann zu viert oder zu sechst auftauchen? Im schlimmeren Fall haben die anderen Leute bereits bei anderen Lokalen reserviert.
Das Grundproblem mit den Freundschaften ist allerdings der Zeitfaktor: Nach vier Wochen ist alles vorbei. Dann zerstreut sich die Gemeinde wieder in alle Himmelsrichtungen. %tpl template="embed-iframe.tpl" data-src="https://datawrapper.dwcdn.net/0R9w0/3/" height="783" style="height:783px;width:100%;" layout="fixed-height" %
Und dann wird das, was eine Freundschaft hätte werden können, ein aufwändiges Kommunikationsproblem, das in den meisten Fällen an der eigenen Bequemlichkeit scheitert. Und man weiß auch nicht, wie es nächstes Jahr sein wird - das war schon vor Corona so. Trotzdem habe auch ich beim Kissinger Sommer Freundschaften geschlossen. Gleich im ersten Sommer haben wir - also sechs Ehepaare aus der Stadt, die sich vorher nicht alle kannten - den "Kissinger-Sommer-Fanclub" gegründet als Signal gegen die damals weit verbreitete Ablehnung des Festivals durch die Kissinger: "Etwas Neues, und dann auch noch von außerhalb aufgedrückt!" Und wir haben Intendantin Dr. Kari Steff-Wolfsjäger am Ende einen Blumenstrauß überreicht. Den Club gibt's noch, aber er ist auf drei Mitglieder geschmolzen. Ein Besucher wurde zum Freund, den ich eigentlich für einen amerikanischen Journalisten aus Los Angeles gehalten hatte. Seine Vorfahren stammten aus einem Wasserschloss in den Haßbergen. Er verbringt jeden Sommer dort und besucht die Festivals von Bad Kissingen und Pommersfelden. Mit ihm sitzen wir gerne in unserem Kissinger-Sommer-Lokal, wo es auch nach den Konzerten problemlos noch etwas gibt. Oder ein Ehepaar aus Hannover - beide über 90 - die ich beim "Kritiker-Stammtisch der Saale-Zeitung", den es einmal geben konnte, kennengelernt habe. Sie melden sich auch, wenn sie außerhalb des Sommers in Bad Kissingen sind. Und mit manchen bin ich in medialem Kontakt.
Aber sonst? Vielleicht ist die Situation in den Hotels anders. Ich kann das nicht beurteilen, weil ich hier wohne. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass es eine ganze Reihe von Konzertbesuchern gibt, die mangels Alternativen nach den Konzerten in den Hotelhallen oder Hotelbars zusammensitzen. Ich kann mir auch vorstellen, dass das oft Stammgäste sind, die sich seit Jahren beim Festival immer wieder freundschaftlich begegnen.
Ob der Kissinger Sommer schon einmal als Eheanbahnungsinstitut gedient hat, entzieht meiner Kenntnis. Aber warum eigentlich nicht?