Irgendwann kommt der Punkt, da fragt man sich: Wie soll das alles enden? Jeder weiß alles, keiner kapiert etwas, alle sind mit den Nerven am Ende. Niemand kann mehr sagen, wer er eigentlich selbst ist. Aber man kennt ja den alten Satz: "Wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Lichtlein her." Das Lichtlein in diesem Fall: Die Pause. Die ist für alle Beteiligten die Chance, mal ein bisschen in sich zu gehen, nachzudenken und den freien Fall ins Chaos zumindest abzubremsen. Und das Publikum braucht diese Pause auch: um die Lachmuskeln zu regenerieren.
Eigentlich passiert in Marc Camolettis "Das (perfekte) Desaster Dinner" - der Titel der deutschen Bearbeitung von Michael Niavarani ist ein bisschen umständlich im Vergleich zum Stück - gar nicht so viel, eigentlich beginnt alles ganz anrüchig normal in dem Chalet: Jacqueline (Anna Schindlbeck) will ihre Mutter besuchen. Stefan, ihr Mann (Lukas Redemann), versteht das als Chance, seinen alten Freund Robert (Andre Grave) zu einem Herrenabend einzuladen. Allerdings nicht nur ihn, sondern auch seine heimliche Geliebte Susanna, ein Model (Alena von Aufschnaiter), mit der er ihren Geburtstag feiern will. Das könnte ein ruhiger Abend zu dritt werden, aber wir sind in einer Komödie.
Das Erste , was schief geht: Als Jacqueline durch einen dummen Zufall erfährt, dass Robert kommt, sagt sie heimlich ihrer Mutter ab und bleibt, denn Robert ist ihr heimlicher Geliebter . Stefan könnte ja jetzt kurzerhand Susanna zu dessen Freundin umfunktionieren und beiden das auch irgendwie beibringen, aber da passiert das andere Unglück: Als Stefan und Jacqueline weg sind, um Champagner zu besorgen, klingelt es an der Tür. Als Robert öffnet, steht da Susanne - mit "e" ( Susanne Pfeiffer ). Und da er weder die mit "e" noch die mit "a" kennt und damit auch nicht das Problem, begrüßt er sie als das erwartete Model. Nur ist sie das nicht, sondern die Köchin vom Catering-Service. Der Dampfdruck im Kessel beginnt zu steigen.
Angst vor der Enttarnung
Plötzlich geht es ums Überleben. Und das schafft nur, wer die besten Ausreden und Erklärungen parat hat und sie vielleicht sogar glaubhaft rüberbringen kann. Die Angst vor der Enttarnung wird zum Hochleistungsmotor des Geschehens, wobei es natürlich die beiden Männer sind, die immer mehr unter Druck und ins Stottern geraten. Im Gegensatz zu den Frauen, die eine gewisse selbstbewusste Ruhe bewahren, auch wenn sie nie Herrinnen des Verfahrens sind, werden die beiden Männer nicht fertig mit ihrer zwiespältigen Situation zwischen Beziehungstäter und Beziehungsopfer. Sie drehen zunehmend durch.
Wenn man das Ganze als psychologischen Diskurs spielen würde ("Was ist denn jetzt dein Problem?"), wäre das Publikum nach einer Viertelstunde ruhig eingeschlafen. Aber die Handlung speist sich nicht aus langen Vorwurfsdebatten oder Schuldzuweisungen, sondern auch vielen ständig wechselnden Situationen und Volten, aus Aggressionen und Arroganz, aus Ratlosigkeit und situativer Überforderung. Und Sandra Lava, die das Stück für die Freilichtbühne inszeniert hat, hat dieses Geschehen von Anfang an in ein unglaubliches Tempo gebracht. Sie gönnt ihrer Truppe keine Verschnaufpausen, und die scheint das zu genießen. Der verbale Einsatz ist enorm und hochkonzentriert, der choreographische höchst akrobatisch und punktgenau - und natürlich darf auch die Torte im Gesicht von Stefan nicht fehlen.
Objekt der Ausrede
In diesem ganzen Getümmel rückt die Regie raffiniert eine Person in den Mittelpunkt, die bei diesem Herrenabend eigentlich nur als Randfigur auftauchen müsste: Susanne mit "e", die Köchin. Sie könnte eigentlich in der Küche verschwinden und nur auftauchen, um ein Gericht zu servieren. Aber sie wird zum Zentrum, gerade weil sie zu niemandem in irgendeiner Beziehung steht, und so als begehrtes Objekt der Ausrede für alles herhalten kann: Köchin, Model, Cousine, Geliebte und einiges mehr. Sie wird zur allseitigen Mehrzweckwaffe: "Ich bin in meinem ganzen Leben noch nie so viele Leute gleichzeitig gewesen", stellt sie fest. Aber mit köstlicher Schläue und Dreistigkeit weiß sie das für sich zu nutzen. Am Ende hat sie den beiden Herren nicht nur rund 20 "Hunnies" als Schweigegeld und Mitmachprämie herausgeleiert, sondern sie nimmt auch einen 10 000 Euro teuren Mantel mit, den sich niemand als sein Eigentum zu reklamieren traut.
Als schließlich die höchst eifersüchtige und rabiate Schorschi Fiala (Inka Liad) auftaucht, ihre Chefin, Metzgermeisterin, Ehefrau und was sonst noch alles in die Szenerie hereinbricht wie ein Felssturz in den stillen Talgrund, um sie abzuholen, fällt zumindest dem Publikum die Trennung schwer.
Zurück bleiben - wie bei Mozarts " Così fan tutte " vier verstörte junge Leute, die noch nicht so ganz wissen, wie sie ihr beschädigtes Seelenleben wieder sortieren und in Ordnung bringen sollen. Aber vor allem die beiden Männer lassen schon anklingen, dass ihnen der Status quo ante, das Weiter wie bisher, wohl am liebsten wäre.
Das Ambiente der Inszenierung macht allerdings schon deutlich, dass sich hier ein neuer Typ der Beziehungskomödie entwickelt hat, dass es, anders als bei den Klassikern, jüngere Leute mit einem moderneren Weltverständnis sind, die sich auf Abwege der Bindung begeben.
Melanie Alsdorf hat mit ihrem Bühnenbild einen ausgesprochen modernen Innenraum eines Chalets unter weitgehendem Verzicht auf den bürgerlichen Szenekitsch entwickelt - ein Geweih muss natürlich schon sein - nüchtern, ein bisschen ungemütlich und nicht sonderlich bequem; die Organisation überlässt man der unsäglichen "Alexa", die alles kann außer Beziehungen zu analysieren. Und die Kostüme von Christina Halbfas zeigen in ihrer Leichtigkeit den Bedeutungsverlust von Konventionen: Es ist halt alles nicht so ernst.