Kann ein Ensemble einfach nur "Franz" heißen? Und was ist das für ein "Franz"? Woher kommt der Name überhaupt? Gibt es da einen Namensgeber? Fragen über Fragen! Aber das Picknickkonzert am Samstagnachmittag war ohnehin schon vorbelastet. Denn eigentlich war es ja unter dem freien Himmel des Luitpoldbades geplant - eine lockere Angelegenheit für Gaumen und Ohren.
Aber dann haben ein paar Wolken die Stirne gerunzelt, und die Verantwortlichen entschieden kurzfristig, in den Max-Littmann-Saal umzuziehen, nicht wegen der Besucher, sondern wegen der Instrumente. Ein kleines bisschen Feuchtigkeit würden sie schon aushalten, aber nicht ihre Stimmung. Die Musik klänge dann sehr schnell sehr seltsam.
Ohne Klappern und Klirren
Auch wenn den Umzug so mancher bedauerte: Für die Musik war es das Beste, was ihr passieren konnte. Denn sie verliert viel im Freien. Der Klang geht nach allen Seiten weg und Teile des Klangspektrums gehen verloren. Und dann wäre es auch fraglich gewesen, ob das Publikum im Luitpoldbad so konzentriert zugehört hätte. Im Max-Littmann-Saal war jedenfalls kein einziges Geschirrklappern, Gläserklirren oder Kaugeräusch zu hören, wenn musiziert wurde.
So konnte man die Qualitäten der Musik über die Melodien hinaus einfach besser erkennen und vor allem die Qualitäten der ausführenden. Denn die sieben Musiker , die sich mit der Pianistin Kiveli Dörken - die Kissinger kennen sie vom KlavierOlymp - vor ein paar Jahren zusammengeschlossen haben, sind Mitglieder der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen: Konzertmeisterin Sarah Christian (klar: Violine), Yuko Hara (Viola), Tristan Cornut ( Violoncello ), Maximilian Krome (Klarinette) und Pascal Deuber (Horn).
Dass am Kontrabass und am Fagott nicht Juliane Bruckmann und Rie Koyama saßen, sondern zwei Männer, war unschwer zu erkennen. Leider vergaß Kiveli Dörken bei ihrer Begrüßung, die Namen der beiden zu erwähnen. Man merkte der Truppe an, dass sie es gewöhnt war, auch im täglichen Musikbetrieb miteinander zu tun zu haben, zu wissen, wie der andere reagiert, was man sich an Spontaneität erlauben kann - eine Situation, die die Beziehungen im großen Kammerorchester bestens spiegelt.
Zwischen Kammermusik und Sinfonik
Das Programm beinhaltete zwei Werke, die im Alltag des Konzertbetriebs so gut wie nie zu hören sind, weil sie von den Veranstaltern eine erhöhten Organisationsaufwand bedeuten. Denn feste gemischte Oktette oder Septette, die man mit einem Anruf buchen kann, gibt es so gut wie gar nicht. Und dann ist die Musik dieser Ensembles auch nicht jedermanns Sache, weil sie sich irritierenderweise genau zwischen Kammermusik und Sinfonik angesiedelt hat.
Aber genau dieses Spannungsfeld machte sich "Franz" zunutze: Das Oktett op. 128 von Ferdinand Ries und das Septett op. 20 von Ludwig van Beethoven op. 20 war musiziert mit einem hochpräzisen, im unmittelbaren Kontakt stehenden, inspirierten Musizieren am Fuße der Sinfonik.
Das Programm war nicht nur höchst unterhaltsam und hätte als Divertimento durchaus in den Hof des Luitpoldbades gepasst. Sondern es war auch interessant, weil es zwei Werke verband, deren Komponisten in Beziehung zueinander standen. Sie kannten sich schon in Bonn, wo der junge Ries ein Schüler von Beethovens Großvater war. Und sie trafen sich wieder in Wien, wo Beethoven dem 14 Jahre Jüngeren einige Zeit Klavierunterricht gab. So reizte der Vergleich. Und um es gleich zu sagen: Der Pokal ging eindeutig an Beethoven .
Ferdinand Ries könnte durchaus ein bisschen eitel gewesen sein. Denn obwohl er in seinem Werk acht Musiker beschäftigt, schrieb er das Oktett wohl vor allem für sich, machte mehr oder weniger ein Klavierkonzert daraus. Die Hände des Pianisten rennen ständig die gesamte Tastatur rauf und wieder runter und wieder rauf - mit allen virtuosen Raffinessen der damaligen Zeit. Ruhepausen sind in allen drei Sätzen selten. Man konnte Kiveli Dörken nur bewundern, dass sie den Part überhaupt einstudiert hat, aber vor allem dafür, wie sie trotz aller Rennerei im Hintergrund gestaltend und befeuernd präsent war.
Was nicht die Beobachtung verdeckte, dass die große Schwäche des Oktetts sein Zwiespalt ist: auf der einen Seite das Klavier, auf der anderen Streicher und Bläser - und beide Seiten haben so gut wie nichts miteinander zu tun; Interaktionen zwischen Klavier und einzelnen Instrumenten oder Kleingruppen sind nicht vorgesehen. Man könnte im Grunde beide Bereiche trennen und gesondert aufführen. Allzu viel würde nicht fehlen. Man würde sich noch weniger stören.
Typisch Bremer Interpretation
Dass das Oktett trotzdem so gut ankam, lag an der typischen Bremer Interpretation und Spielweise: Immer aufeinander bezogen, sogar auf das Klavier, im hochpräzise ausgehört und rhythmisch prägnant, da immer auf die Eins gespielt. Wenn man sich damit abgefunden hatte, dass musikalisch nicht allzu viel zu erwarten war, vor allem keine Überraschungen, dann erfreute man sich umso mehr an der praktischen Umsetzung, an den Klangfarben, an der rhythmischen Artikulation und an der Spielfreude. Schließlich hatten die Bremer selbst auch lange darben müssen. Und deshalb schaffte auch Ferdinand Ries den 2. Platz.
Beethoven umging das Problem der Zwiegespaltenheit schon dadurch, dass er auf das Klavier verzichtete - was ihm sicher nicht leichtgefallen ist. Aber er konnte halt auch auf einem anderen Niveau komponieren. Er hatte nicht nur viele melodische Einfälle, sondern er konnte sie auch in einem Mit- und Nebeneinander spannend verarbeiten. Und er suchte in seinem Septett immer wieder neue Klangkombinationen über die Grenzen hinweg. Nicht nur die Streicher und Bläser werden in ihren Gruppen kontrastiert, sondern die Kontakte laufen durch das ganze Ensemble.
Wenn das Horn mit dem Kontrabass
Wann hört man schon ein Horn mit einem Kontrabass . Da konnte man die spannendsten Dialoge verfolgen, denn es war halt auch nichts dem Zufall überlassen. Da entwickelte die Musik eine gewisse Bodenständigkeit, die etwa den Schluss des ersten Satzes zu einem witzigen Kehraus auftürmte. Da wurde das Menuett mit geradezu derbem Zugriff zu einer Fortsetzung von Mozarts "Dorfmusikantensextett". Aber da wurde auch, schön pendelnd zwischen Ruhe und eiliger Betriebsamkeit der Variationen zu einem wirklich abwechslungsreichen Satz. Und im Scherzo lud das Horn zu einer federnden Jagd, die das Violoncello geschickt auf das halbe Tempo herunterfuhr. Unterhaltungsmusik kann auch ein sehr hohes Niveau haben.
Und plötzlich war das Rätsel gelöst: Ein Ensemble, das so spielt, kann eigentlich nur "Franz" heißen. Obwohl ja Franz Schubert der Namensgeber gewesen sein soll. Mit dessen Oktett hat die Gruppe ihre Karriere begonnen. Und dann gab's für Kiveli Dörken doch noch eine Überraschung. Sie wurde ein Opfer der Tradition und bekam zu ihrem Geburtstag eine Torte. Alleine gegessen hat sie sie nicht.