Maßbach ist ein typischer Marktflecken in Unterfranken. Hübsch anzusehen, ein bisschen verschlafen. Und doch schlägt hier das Herz der Kultur, nicht nur wegen des Theaters im Schloss. Die Kinderbuchautoren Paul und Nele Maar haben hier ihre Wurzeln. Und Hollywood lernte hier, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Der Kameramann Michael Ballhaus stammt aus der Maßbacher Theater-, Autoren- und Filmfamilie.
Oskar Ballhaus, der Vater von Michael, wurde 1908 in Mühlheim an der Ruhr geboren. Nach der Schauspielausbildung in Essen hatte er erste Engagements in Berlin, wo er seine aus Maßbach stammende Kollegin Lena Hutter (1911–2003) kennen und lieben lernte. Das Paar hatte zwei Kinder: Michael Ballhaus, geboren 1935 in Berlin, und Nele Ballhaus, heute Maar, geboren 1938 ebenfalls in Berlin und mit dem Bamberger Kinderbuchautor Paul Maar (Das Sams) verheiratet.
Während des Zweiten Weltkriegs flüchteten Ballhaus und Hutter vor den Bomben aus Berlin nach Coburg. Dort gründeten sie nach Kriegsende das Fränkische Theater, das in mehreren Schlössern zuhause war: Wetzhausen, Stöckach und (bis heute) Maßbach.
Die Bretter, die in der fränkischen Provinz die Welt bedeuten, waren für Michael Ballhaus das Sprungbrett in die ganz große Welt: Er begann seine Karriere als Theaterfotograf. Sein Leben bekam die entscheidende Wende, als er 1955 die Dreharbeiten des Films „Lola Montez“ mit Martine Carol und Peter Ustinov aus der Nähe beobachten durfte.
Vom Kamera-Fieber gepackt
Regisseur dieses Films, der unter anderem in Pommersfelden und Bamberg im neuen Cinemascope-Format gedreht wurde, war ein Freund der Familie, Max Ophüls. Das Filmfieber packte Michael Ballhaus: „Da stand für mich fest, ich wollte selbst Kameramann werden“, erzählt er. Nach einer Fotografenausbildung begann Ballhaus beim Südwestfunk in Baden-Baden als Kameraassistent. Eine Ausbildung zum Kameramann gab es zu der Zeit nicht. Schon 1960 durfte er zum ersten Mal selbst als Kameramann für das Fernsehen arbeiten. Sein erster Film entstand für den Regisseur Peter Lilienthal. Bis 1966 war er beim SWF Chefkameramann. 1968 drehte er seinen ersten Kinofilm: „Mehrmals täglich“ mit Dieter Hallervorden.
Die deutsche Filmwelt ist klein: Ende der 1960er Jahre begegnete Ballhaus Rainer Werner Fassbinder, und das war der zweite Wendepunkt in seinem Leben – der Weg ins Kino. Mit Fassbinder drehte Ballhaus 17 Filme, die ihm auch in den USA die Türen öffneten. Ballhaus arbeitete in Hollywood zunächst an Independent-Produktionen mit, geriet aber bald in den Fokus von Martin Scorsese. Der machte Ballhaus 1985 zum Director of Photography für die Produktion von „Die Zeit nach Mitternacht“. Scorsese und Ballhaus waren ein künstlerisches Traumpaar. Der Regisseur gab seinem „Auge“ die Freiheit, aus der Ballhaus ein neues Selbstverständnis für seine Zunft machte. Er fotografierte nicht einfach nur, sein Beitrag zum Film war stets ein eigenständiges künstlerisches Projekt.
Unverkennbar ist eine Technik, die Ballhaus nicht erfand, aber perfektionierte. An sich prägt die Sprache eines Films die schnelle Abfolge von Schnitten und Einstellungen; Ballhaus löste das Schema auf, seine 360-Grad-Kamerafahrten zerdehnten die erzählte Zeit. Der „Ballhaus-Kreisel“ oder auch „das fliegende Auge“ wurden zum Markenzeichen.
Ballhaus führte in mehr als 80 Kinofilmen die Bildregie. Er arbeitete unter anderem mit Mike Nichols, Volker Schlöndorff, Wolfgang Petersen, Francis Ford Coppola, Jeanine Meerapfel und Peter Stein zusammen und genießt bis heute bei den Hollywoodstars höchstes Ansehen. Ballhaus arbeitete stets ruhig und sachlich, effizient und kreativ, er gilt als einfühlsamer Perfektionist. Seine Bildersprache rückt den Menschen in den Fokus, unaufdringlich und bei aller Nähe stets voller Respekt. 1988 erhielt er für seine Arbeit an „Nachrichtenfieber“ seine erste Oscar-Nominierung. Zwei Jahre später wurde er für „Die fabelhaften Baker Boys“ ein weiteres Mal nominiert. Eine dritte Nominierung erhielt er 2003 für „Gangs of New York“, den Oscar für die beste Kamera erhielt er selbst aber nie.
2007 verkündete Ballhaus seinen Rückzug aus Hollywood, um künftig vor allem Filme zu produzieren und zu unterrichten. Er lebt heute in Berlin und in Eichelsdorf bei Hofheim, nur einen Steinwurf von Maßbach entfernt. Filme waren und sind sein Leben, bis heute, obwohl er am grünen Star erkrankt und beinahe erblindet ist, was der Augenmensch erstaunlich gelassen nimmt. „Ja, ich hätte gerne noch mehr gesehen“, sagt Ballhaus. „Aber ich habe so viele Bilder im Kopf und entdecke jetzt noch einmal eine neue Welt: Ich lerne, mit den Ohren zu sehen.“
Ein Franke schreibt Filmgeschichte
Werk: Die Filme, denen Michael Ballhaus das Gesicht gab, lassen bei Kinofans das Herz schneller schlagen: Die Ehe der Maria Braun, Der Zauberberg, Die Farbe des Geldes, Nachrichtenfieber, Die letzte Versuchung Christi, Die fabelhaften Baker Boys, Outbreak, Departed sind nur einige. Musik: Ballhaus hat nicht nur Filme für Fernsehen und Kino gedreht. Seine Handschrift prägt auch Musikvideos von Superstars wie Madonna und Prince. Gerne erinnert sich der Kameramann an die Zusammenarbeit mit Bruce Springsteen, für den er „Born in the USA“ und „I'm on fire“ in Szene setzte. Da trafen sich zwei Meister ihres Fachs, die den anderen seinen Perfektionismus ausleben ließen.
Privates: 1958 heiratete Michael Ballhaus die Schauspielerin Helga Betten. Ihre Söhne Sebastian (Produktionsassistent) und Florian (Kameramann) sind ebenfalls in der Filmbranche tätig. Helga starb 2006 in Los Angeles, ein schwerer Schlag für Michael Ballhaus. 2011 heiratete er die Regisseurin Sherry Hormann, mit der er den Film „3096 Tage“ über die Entführung von Natascha Kampusch produzierte.