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Bad Kissingen
Fotofinish
Nach vier Tagen stand der Gewinner des Wettbewerbs 2017 fest: der 27-jährige Emre Yavuz.
Der 27-jährige Emre Yavuz (sitzend) ist der Gewinner des 15. Kissinger KlavierOlymps. Er setzte sich gegen (von links) Jean Paul Gasparian, Sergei Redkin (2. Platz), Kiveli Dörken, Viktor Soos (3. Platz) und Luisa Imorde (Publikumspreis) durch. Foto: Gerhild Ahnert       -  Der 27-jährige Emre Yavuz (sitzend) ist der Gewinner des 15. Kissinger KlavierOlymps. Er setzte sich gegen (von links) Jean Paul Gasparian, Sergei Redkin (2. Platz), Kiveli Dörken, Viktor Soos (3. Platz) und Luisa Imorde (Publikumspreis) durch. Foto: Gerhild Ahnert
| Der 27-jährige Emre Yavuz (sitzend) ist der Gewinner des 15. Kissinger KlavierOlymps. Er setzte sich gegen (von links) Jean Paul Gasparian, Sergei Redkin (2. Platz), Kiveli Dörken, Viktor Soos (3.
Thomas Ahnert
 |  aktualisiert: 19.08.2022 06:25 Uhr
Mit jedem Konzert wurden die Gesichter der Jury länger, wurden die Blicke bedenklicher. Nicht, weil etwa die jungen Pianistinnen und Pianisten des 15. Kissinger KlavierOlymps so schlecht gewesen wären, sondern ganz im Gegenteil: Selten in den zurückliegenden Jahren war das Teilnehmerfeld auf so hohem Niveau so ausgeglichen wie dieses Mal. Selten waren die Entscheidungen so schwierig, weil alle ihre ganz eigenen Stärken hatten. Und selten war das Wissen so wichtig, dass alle sechs im nächsten Jahr wieder zum Kissinger Sommer kommen werden.
Der 1. Platz war noch verhältnismäßig leicht zu ermitteln. Die Jury entschied sich für den 27-jährigen Emre Yavuz aus Izmir aufgrund seiner überlegenen Anschlagsdynamik, seiner Musikalität und stilistischen Sicherheit. Seine mutige und frische Spielweise sowie die innovative, stimmige Programmgestaltung überzeugten die Jury ebenso wie seine Vielseitigkeit als Pianist, Komponist und Bearbeiter. Sergei Redkin (26) aus Krasnojarsk wurde der 2. Preis zuerkannt. Der 3. Preis ging an Viktor Soos (21) aus Backnang. Urkunden bekamen auch Kiveli Dörken (23), Jean-Paul Gasparian (23) und Luisa Imorde (28), die auch den Publikumspreis erhielt. Der wurde wieder von den Besuchern vergeben, die alle Einzelkonzerte und das große Abschlusskonzert besucht hatten.


Homogene Altersstruktur

Das Niveau war in diesem Jahr auch deshalb so hoch und ausgeglichen, weil die Gruppe von der Altersstruktur her homogener war als in den vergangenen Jahren. Zwischen 21 und 28 - da spielen schon wesentlich mehr Erfahrungen mit als bei den unter 20-Jährigen, die erst am Beginn ihres Studiums stehen oder noch gar nicht damit angefangen haben. Was für das Publikum angenehm war, war für die Jury mit Intendant Dr. Tilman Schlömp, Musikmanagerin Xenia Groh-Hu (Berlin), Ulrich Hauschild, Musikdirektor des Palais des Beaux Arts in Brüssel und den beiden Journalisten Michael Stallknecht (München) und Thomas Ahnert (Bad Kissingen) ein harter Brocken.


Ein Stück aus der Moderne

Natürlich konnten sich die Teilnehmer wie in den Vorjahren auch für ihr eineinhalbstündiges Solorecital (reine Spielzeit) ihr Programm so zusammenstellen, dass sie ihre Stärken ausspielen konnten. Aber es gibt auch Pflichtaufgaben zu erledigen. Sie mussten eine Sonate von Ludwig van Beethoven oder Wolfgang Amadeus Mozart spielen, um eine Vergleichsbasis zu liefern.
Neu in diesem Jahr war die Regelung, dass auch ein Werk zu spielen ist, das nach 1950 komponiert wurde. Die Jury reagierte damit auf die Beobachtung, dass sich die jungen Leute sehr stark auf die Musik der Romantik und Spätromantik konzentrierten und dass die Musik der jüngeren Vergangenheit und Zukunft ohnehin immer zu kurz kommt. So waren dieses Mal durchaus interessante Entdeckungen zu machen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil Luisa Imorde und Kiveli Dörken beide zufällig die letzten drei der "Elf Humoresken" (2007) von Jörg Widmann spielten und so einen interessanten Vergleich ermöglichten. Ansonsten konnte man beim Blick in die eingereichten Programme feststellen, dass Frédéric Chopin etwas auf dem Rückzug war, dafür aber die Etüden und Préludes von Sergej Rachmaninov in den Vordergrund rückten.
Emre Yavuz wird am 27. Juni 2018 gemeinsam mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen unter der Leitung von Joshua Weilerstein ein Orchesterkonzert spielen. Auch im Kissinger Sommer 2018 wird ein international renommierter Pianist als Mentor gemeinsam mit den jungen Musikern ihre Auftritte vorbereiten.


Kooperation hat begonnen

Erstmals haben der Kissinger KlavierOlymp und der Kissinger Sommer gemeinsam eine Kooperation mit dem Beethovenfest Bonn und der International Telekom Beethoven Competition Bonn entwickelt. Der erste Preisträger der Wettbewerbe wird im jeweiligen Partner-Festival auftreten. Der Sieger des Kissinger KlavierOlymps 2017 wird im Beethovenfest 2018 am 12. September 2018 mit einem Solo-Recital im Schumannhaus in Bonn zu hören sein. Der Sieger des Kissinger KlavierOlymps erhält außerdem im Rahmen einer Partnerschaft mit Steinway & Sons eine Auftrittsmöglichkeit im Steinway-Haus Frankfurt.


Mehrfaches Wiedersehen

Auch die Gewinner des letztjährigen KlavierOlymps werden in Bad Kissingen wieder zu hören sein: Nikolay Khozyainov, Publikumspreisträger 2016, wird im Kissinger Sommer 2018 ein Rezitationskonzert mitgestalten, außerdem ist ein Konzert mit Elisabeth Brauß (1. Preis 2016) im Herbst 2018 geplant. Bereits am 2. November kommt einer der beiden zweiten Preisträger des 14. Kissinger Klavier-Olymps erneut nach Bad Kissingen: Julian Trevelyan wird vom Förderverein Kissinger Sommer der mit 5000 Euro dotierte Luitpoldpreis verliehen.
Übrigens: Der Bayerische Rundfunk hat das Abschlusskonzert komplett mitgeschnitten und sendet die Aufzeichnung am 28. Oktober auf BR-Klassik "on stage"

Kiveli Dörken
Den Besuchern des Kissinger Sommers war sie ja schon bekannt: Die Düsseldorferin Kiveli Dörken war schon vor zwei Jahren als Stipendiatin der Internationalen Musikakademie Liechtenstein im Rossini-Saal und hatte damals schon mit ihrer enormen Bühnenpräsenz Eindruck gemacht. Sie war auch jetzt diejenige, die am deutlichsten zeigte, wie sehr sie sich in die Musik, die sie gerade spielt, hinein begibt. Ein bisschen Tanz ist immer dabei, wenn sie Musik macht.
Auch sie hatte sich, wie bereits am Vortag Luisa Imorde, als Beitrag zur Moderne die letzten drei der "Elf Humoresken" von Jörg Widmann ausgesucht - allerdings pur und mit etwas anderem Ansatz: nicht so sehr auf Gesamtklang zielend, sondern auch die Wirkung der einzelnen Töne - ein spannender Vergleich.
Das Programm davor und danach war mit zwei frühen Sonaten interessant, aber auch bewährt. Sie eröffnete mit der Es-dur-Sonate op. 7 von Ludwig van Beethoven und schloss mit der fis-moll-Sonate op. 11, der ersten Sonate von Robert Schumann. Da erwies sich Kiveli Dörken als gute Analytikerin und kraftvolle, zupackende Gestalterin langer musikalischer Bögen. Aber letztlich konnte sie nicht verhindern, dass sich die beiden Sonaten in ihrer Wirkung ziemlich ähnelten.

Jean-Paul Gasparian
Er hatte die undankbare Aufgabe, den 15. Kissinger KlavierOlymp zu eröffnen: der 22-jährige Jean-Paul Gasparian aus Paris, Schüler von Oliver Gardon und Jacques Rouvier. Denn er hat noch keine Möglichkeit, sein Spiel einzuordnen, weil er seine Konkurrenz nicht einschätzen kann.
Aber er begann selbstbewusst mit den 9 Etudes-tableaux von Sergei Rachmaninov, wobei er nicht nur mit technischer Souveränität beeindruckte, sondern auch mit seiner Spielhaltung. Denn er vermied jedes Pathos, das den Sätzen so gerne vor allem von den Vertretern der russischen Schule angehängt wird. Gasparian spielte mit nüchterner Distanz, wie es auch Rachmaninov selbst getan hat. So bekam die Musik eine Schlankheit, die die Neugier beflügelte.
Sein Schwachpunkt, wenn man so will, war die D-dur-Sonate KV 576 von Wolfgang Amadeus Mozart. Der langsame Mittelsatz war schön gesungen, aber die beiden Ecksätze waren so hektisch, dass die Gestaltung dem Tempo und Druck zum Opfer fiel. Und Chopins Balladen As-dur op. 47 und g-moll op. 23 etwas differenzierter vorstellen können. Mit der Sonate Nr. 5 (2017) des israelischen Komponisten Avner Dorman konnte Gasparian allerdings klar punkten, pfiffig und effektvoll gespielt wie Gershwins Großstadtmusik.

Luisa Imorde
Raffiniert verpackt hatte Luisa Imorde, die Erfahrenste der Gruppe, ihren Beitrag zur Moderne. Sie kombinierte zwei der Davidsbündlertänze von Robert Schumann im Wechsel mit drei der "Elf Humoresken" (2007) von Jörg Widmann und machte damit sehr gut deutlich, wie nahe sich die beiden Komponisten sind, wenn auch jeder in seiner Klangsprache.
Ansonsten demonstrierte Luisa Imorde eine große stilistische Bandbreite und eine Spielhaltung, die der Musik gut kalkuliert ihre Zeit ließ: von Schumann zusätzlich die Arabeske op. 18 oder von Franz Liszt die "Reminiscences de Norma", eine der großen Opernparaphrasen, vollgriffig, aber nicht plakativ gedonnert. Oder das dreiteilige Heft II von Claude Debussys "Images", deren Vielschichtigkeit und komponierte Dreidimensionalität sie sehr feinfühlig und doch konkret zur Geltung brachte. Blieb noch Beethovens f-moll-Sonate op. 57, die "Appassionata", bei der sie stark auf Klangfarben und Kontraste setzte.
Luisa Imorde war eine der beiden, die beim Schlusskonzert noch einmal Neues boten: Neben dem Schumann-Widmann-Gebinde noch Jörg Widmanns köstlichen "Bayerisch-Babylonischen Marsch", der im Chaos versinkt. So falsch zu spielen muss man können und wollen.

Sergei Redkin
Dass Sergei Redkin der 2. Preis zuerkannt wurde, hatte der 21-Jährige aus Krasnojarsk, der vor zwei Jahren Dritter beim Moskauer Tschaikowsky-Wettbewerb wurde, vor allem zwei Stücken zu verdanken: zum einen einer sensationell guten Interpretation von Franz Schuberts Lied "Der Müller und der Bach" aus der "Schönen Müllerin" in der tiefgründigen Bearbeitung von Franz Liszt, dessen extreme Emotionalität er geradezu körperlich spürbar machte - Schubert/Liszts "Der Aufenthalt" erreicht nicht ganz diese Tiefe.
Und zum anderen seiner Gestaltung der 2. Sonate d-moll op. 14 von Sergei Prokofiev, glasklar und mit enormem Zugriff gespielt, machte Redkin deutlich, in welch hohem Maß in dieser frühen Sonate bereits der charakteristische Stil Prokofievs angelegt ist: starke Rhythmik und Motorik, wobei er diese nicht überzog, sondern auch den lyrischen Passagen ihr Recht ließ.
Beethovens Es-dur-Sonate "Les Adieux" op. 81a begann er mit großer Leidenschaft des Abschiedsschmerzes. Aber spätestens bei der "Rückkehr" schob sich seine Technik zu sehr in den Vordergrund. Den drei schubertschen "Soirées de Vienne" fehlte ein bisschen der elegante Walzercharme. Und bei Nikolai Kapustins "Zehn Bagatellen" hätten auch fünf genügt: Sie sind sich alle sehr ähnlich.

Viktor Soos
M it seinen 21 Jahren war Viktor Soos aus Backnang das "Nesthäkchen" des Sextetts, was ihn nicht daran hinderte, sich auf den 3. Platz zu spielen. Und dabei beschritt er durchaus unbequeme Wege, etwa mit Beethovens D-dur-Sonate op. 10/3 mit ihrem ungewöhnlich langen ersten Satz, die er sehr differenziert gestalten konnte, weil er sehr sparsam mit dem Pedal umging. Eine tiefgründige Gestaltung gelang ihm mit Brahms' 6 Klavierstücken op. 118, auch wenn ihm aufgrund seiner Jugend vielleicht ein bisschen der rückschauende Aspekt fehlte. Aber das ist nur eine Frage der Zeit.
Aufsehen erregte Viktor Soos mit den "Incises" von Pierre Boulez, einem kurzen, in teuflischem Zeitraffer zu spielenden Satz, wo es ihm gelang, trotz des Tempos den Anschlag gestaltend zu variieren und Metastrukturen zu entwickeln
Es sprach auch für seinen Mut, zum Ende Liszts h-moll-Sonate zu spielen. Was ihm ausgezeichnet gelang, war, die Architektur dieses groß angelegten Werkes zu zeigen und die Teile spannungsvoll zusammenzuhalten, wobei vor allem die schwierige Fuge fabelhaft musiziert war. Aber er neigte auch dazu, vor allem gegen Ende die langen Crescendi zu früh hochzuziehen und sich in dynamische Extreme zu locken, die den gestalterischen Spielraum einengten.

Emre Yavuz
Wenn man es recht bedenkt, war der Wahl-Wiener Emre Yavuz, 1990 in Izmir geboren und Schüler von Fazil Say, Karl-Heinz Kämmerling, Roland Batik und derzeit Arie Vardi (eine prominente Liste) so etwas wie der ideale 1.-Preis-Gewinner des 15. KlavierOlymps. Denn sein Auftritt war so etwas wie ein Gesamtkunstwerk. Er war derjenige, der sich nicht nur als Pianist vorstellte, sondern auch als Komponist. Und er hatte ein durchkomponiertes Programm entwickelt, das verblüffend gut funktionierte.
Das Gerüst bildeten die 10 Préludes op. 23 von Sergej Rachmaninov (selten ist das 1. Prélude derart delikat zu hören), die sich mit Werken anderer Komponisten abwechselten: mit der "Pazar günü Sonati", der "Sonntagssonate", von ihm selbst, mit Beethovens Sonate op. 101, zwei Sonaten von Scarlatti, einer Eigenbearbeitung einer Ballettmusik aus Rameaus Oper "Les Indes galantes" - die so raffiniert gemacht war, dass man den Übergang zum 5. Prélude kaum bemerkte - mit zwei Schubert-Liederbearbeitungen von Liszt und ihm selbst, mit der Aksask-Etüde von Ahmed Adnan Saygun und Chopins Nocturne op. 55/1 - alles stilistisch nuanciert und doch immer mit dem Blick auf ein harmonisches Gesamtgefüge musiziert. Spannender geht's nicht.
 
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