
Schaut Friederike Ferkinghoff aus dem Fenster ihres Outlets für Herrenmode in der Kissinger Straße 39, dann blickt sie auf zwei Supermärkte. Vor 13 Jahren sah es dort ganz anders aus. Da dominierte die Stelle ein nüchternes Bürogebäude. Dahinter gruppierten sich Werkhallen - seit Jahrzehnten Produktionsstätte des Bekleidungsunternehmens Ferkinghoff. Nichts davon steht mehr. Zum Jahresende schließen Friederike Ferkinghoff und ihr Mann Bernhard Fick auch ihren Outlet - und beenden damit eine Familientradition, die 92 Jahre währte.
Alles hatte 1932 begonnen. Da gründete Johann Georg Ferkinghoff in Würzburg eine Herren-Bekleidungsfabrik. 1938 entstand ein Zweigwerk in Rothenfels am Main, zwischen Lohr und Marktheidenfeld. Dorthin wurde die Produktion ausgelagert, als das Würzburger Stammwerk im Zweiten Weltkrieg ausgebombt war.
Firma 1953 nach Brückenau gekommen
1953 holte der damalige Bürgermeister und Freund der Familie Egid Trost das Unternehmen nach Brückenau. Es siedelte sich als einer der ersten Industriebetriebe in der Kissinger Straße an. In ihren besten Zeiten beschäftigte die Firma J.G. Ferkinghoff bis zu 230 Mitarbeiterinnen. Sie nähten vorrangig Anzüge und Sakkos, bis Ende der 80er- und Anfang der 90er-Jahre auch Mäntel und Blousons - zuletzt 130.000 Kleidungsstücke pro Jahr in mehr als 100 Größen.
Bis ins Jahr 2000 konnte Ferkinghoff für sich in Anspruch nehmen, ausschließlich in Deutschland zu produzieren. Die danach zunächst in die Türkei, danach nach Polen ausgelagerten Produktionsteile umfassten nur einen geringen Anteil, nicht mehr als fünf Prozent, so die frühere Geschäftsführerin.
Ferkinghoff mit dem Unternehmen verwachsen
Friederike Ferkinghoff ist quasi im Familienunternehmen aufgewachsen - und war fest mit ihm verwurzelt. Am 8. Juli 2011 musste sie ihren wohl schwersten Gang als Firmenchefin antreten und für die J.G. Ferkinghoff GmbH & Co. KG Insolvenz anmelden. Hauptgrund war, dass die Hausbank dem Unternehmen die Kredite kündigte und die Konten, auf die die Geschäftspartner einzahlten, einfror. Offensichtlich traute man der Firma kein solides Überleben in der schwierigen Textilbranche mehr zu. Und das, obwohl Ferkinghoff damals angab, dass die Auftragsbücher für Herbst und Winter 2011/12 voll seien.
Der Insolvenzauftrag war der Anfang vom Ende der Produktion in Bad Brückenau. Ein Investor fand sich unter der Ägide mehrerer Insolvenzverwalter nicht; die Produktion lief im März 2012 aus. Vier Jahre später fielen die Werkhallen und das markante Bürogebäude Abrissbaggern zum Opfer. Und schließlich siedelten sich auf dem ehemaligen Werksgelände Supermärkte an.
Mit dem Outlet seit 2015 in der Bahnhofstraße
Zu dem Zeitpunkt hatten Friederike Ferkinghoff und Bernhard Fick sich schon eine neue berufliche Existenz geschaffen. Seit Dezember 2005 hatte die Firma auf dem eigenen Gelände einen Fabrikverkauf angeboten. Dieser wurde als Ferkinghoff GmbH neues Betätigungsfeld für das Unternehmer-Paar. 2015 zog man mit dem Outlet in ein 600 Quadratmeter großes Untergeschoss des Frankfurter-Hof-Komplexes in der Bahnhofstraße.
Fprtan waren dort Restbestände aus eigener Produktion erhältlich, aber auch Zukäufe von anderen deutschen Herstellern, die aber längst im Ausland produzieren. Die guten Kontakte aus dem früheren Geschäftsleben waren ja noch vorhanden.
Nach vier Jahren Umzug in die Kissinger Straße
Vier Jahre ging das gut, dann hatten die Ferkinghoffs wieder Pech. Der Eigentümer des Frankfurter Hofs, die Firma Rothkegel aus Volkers, ging pleite. Der neue Besitzer des Komplexes hatte andere Pläne, wollte im rückwärtigen Gebäudeteil ein Fitnessstudio unterbringen (was später auch geschah). Das Outlet musste sich eine neue Heimat suchen.
"Es war ein Riesenaufwand, das Geschäft aufzulösen. Wir haben damals schon gedacht, wir hören damit auf, aber auch, wir gehen es nochmal an", erinnert sich Friederike Ferkinghoff.
Es fand sich doch ein neues Domizil in der Kissinger Straße 39. Die Räume dort hatten einige Jahre leer gestanden; vorher residierten dort ein Ofenstudio und davor ein Fahrradgeschäft. "Von der Lage her haben wir uns einen positiven Effekt durch die Supermärkte versprochen. Das Einkaufsverhalten in Bad Brückenau hat sich ja hierher verschoben", berichtet Bernhard Fick. Der Effekt habe sich aber nicht eingestellt.
Mehrere Beweggründe für Schließung
Dies ist nur ein - eher kleinerer - Beweggrund, warum er und seine Frau das Outlet bald schließen. Als weit bedeutendere Gründe nennen sie, dass sich Einkaufen immer mehr online abspielt und dass nach Corona-Pandemie, Ausbruch des Ukraine-Krieges, Energiekrise und starker Inflation eine gewisse Kaufzurückhaltung eingetreten ist. Anzüge und Sakkos seien ja eigentlich Luxusartikel.
Ferkinghoff ergänzt, dass sich ja auch die Bekleidungsgewohnheiten geändert haben. Ein Beispiel: In der Bank gehe es legerer zu; Sakkos seien nicht mehr unbedingt Pflicht.
Lokale Entwicklungen haben den Kundenzustrom ebenfalls reduziert: die Sperrung des Hammelburger Berges, das Aus für das Gesundheitsresort Regena, die Tatsache, dass die Malteserklinik Weckbecker mehr weibliches Klientel anzieht (was schlecht ist für ein Männer-Outlet). Allen voran nennt die Unternehmerin aber, dass die Therme Sinnflut als Zugpferd fehlt. "Früher haben die Kunden aus Fulda und Umgebung einen ganzen Tag in Bad Brückenau verbracht. Viele sind in die Sinnflut gegangen, dann zum Einkaufen in die Supermärkte oder zum Friseur. Manche haben dann hier noch zu Abend gegessen."
"Es macht einfach wirtschaftlich keinen Sinn mehr", fasst Fick die Lage im Outlet, das auch einige Teilzeitkräfte beschäftigte, zusammen. Ganz davon abgesehen haben beide das Rentenalter so ziemlich erreicht. Friederike Ferkinghoff hat mehr als vier Jahrzehnte im Familienbetrieb verbracht - was selten eine geregelte Arbeitszeit bedeutete. "Viele jüngere Bekannte sind schon im Ruhestand."
Letzter Öffnungstag steht noch nicht fest
Wann das Outlet zum letzten Mal öffnen wird, wissen die Bad Brückenauerin und ihr aus Schweinfurt stammender Mann noch nicht genau. Das hänge auch davon ab, wieviel Zeit der Vermieter ihnen gewähre, um die Einrichtung abzubauen. Das ist - das wissen die beiden aus den Erfahrungen früherer Umzüge - gestaltet sich recht aufwendig. Vermutlich sei es in der Weihnachtszeit soweit.
Die Geschäftsaufgabe sieht Friederike Ferkinghoff - auch mit Blick auf das frühere Firmengelände gegenüber - mit dem berühmten lachenden und weinenden Auge. Einerseits sei sie froh, die ständige Belastung nicht mehr zu haben. Früher habe sie selten Betriebsferien gehabt; für Messebesuche waren oft komplette Wochenenden weg. Bald sei vielleicht mehr Zeit, den eigenen Haushalt besser zu ordnen.
Andererseits endet ausgerechnet mit ihr ein 92 Jahre währende Familientradition. Das stimme natürlich traurig.
Bilder von alter Betriebsstätte im Supermarkt
Übrigens: Wer wissen will, wie es bei Ferkinghoff in der Kissinger Straße früher ausgesehen hat, muss nur in den Rewe gegenüber dem Outlet gehen. In der Gemüseabteilung hängen Bilder aus vergangenen Zeiten.
Mehr aus der Bad Brückenauer Geschäftswelt lesen Sie hier: