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Bad Brückenau
Fatale Monopolstellung trifft Schwangere im Raum Bad Brückenau
Die Geburt eines Kindes ist für Frauen ein wunderbares, aber herausforderndes Ereignis. Deshalb stehen ihnen Hebammen zur Seite - doch der Mangel an Fachkräften ist teils immens, auch im Raum Bad Brückenau. Sinntals einzige Hebamme berichtet.
BU: Hebamme Doris Wytopil (links) und Studentin Nele Krämer mit Übungspuppe 'Nina' in ihrer Praxis in Züntersbach.    Foto: Marah Naumann       -  BU: Hebamme Doris Wytopil (links) und Studentin Nele Krämer mit Übungspuppe 'Nina' in ihrer Praxis in Züntersbach.    Foto: Marah Naumann
| BU: Hebamme Doris Wytopil (links) und Studentin Nele Krämer mit Übungspuppe "Nina" in ihrer Praxis in Züntersbach. Foto: Marah Naumann
Redaktion
 |  aktualisiert: 20.09.2022 13:02 Uhr

Doris Wytopil ist Hebamme aus Leidenschaft. Seit 33 Jahren unterstützt sie Frauen vor und nach der Geburt. Im März 2021 eröffnete sie in Züntersbach eine eigene Praxis, davor war sie in Bad Brückenau ansässig und ist immer noch in der Kurstadt und den Nachbarorten tätig.

"Hebammen-Entwicklungsland"

Mit dem Umzug nach Hessen hat Wytopil auch ihren Patientinnenkreis verändert: "80 Prozent der Frauen, die ich betreue, kommen aus Sinntal." Darüber hinaus ist sie für Frauen im Umkreis von rund 25 Kilometern zuständig. Was geschäftsfördernd klingt, ist ein fataler Umstand, denn die Hebammen-Versorgung in der Region ist laut Wytopil "eine Katastrophe", die Gegend zwischen Würzburg und Kassel bezeichnet sie scherzhaft als "Hebammen-Entwicklungsland". Die derzeit einzige Hebamme in Sinntal berichtet, dass es auch in der Umgebung nur wenige Kolleginnen gibt. In Bad Brückenau selbst praktiziere mit Ulrike Haas nur noch eine weitere Hebamme ; in Motten gebe es noch eine junge Kollegin. Gelegentlich komme jemand aus Gersfeld herüber.

Erst Richtung Gelnhausen sieht es laut Wytopil besser aus. Die Folge: Sie muss viele Frauen ablehnen. Derzeit kommen etwa sieben bis zehn Schwangere pro Monat hinzu, "aber die Betreuung der Frauen in Wochenbett und Stillzeit geht ja weiter".

Wer keine Hebamme findet, muss nötige Untersuchungen von Haus-, Frauen- und Kinderarzt vornehmen lassen. Dabei ist die Betreuung durch eine Hebamme während und nach einer Schwangerschaft enorm wichtig. Von Geburtsvorbereitung bis Abstillen ist Doris Wytopil als Ansprechpartnerin für die Frauen da.

Keine Hausgeburten im Angebot

Der ländliche Raum und ihre "Monopolstellung" in Sinntal bringen weitere Nachteile mit sich: Bevor Wytopil ihre Praxis hatte, fuhr sie teilweise über 100 Kilometer pro Tag zu Hausbesuchen. Auch jetzt noch besucht sie frischgebackene Mütter zu Hause, teilt ihnen jedoch bereits beim Erstgespräch vor der Geburt mit, dass sie auch bereit sein sollten, für Untersuchungen und Kurse in die Praxis zu kommen. "Die Frauen sind diesbezüglich zum Glück sehr entgegenkommend", ist die Hebamme erleichtert. Hausgeburten bietet die Hebamme gar nicht erst an. "Das ist mir einfach zu riskant. Denn wenn etwas passiert, dauert es hier auf dem Land schon länger, bis ein Notarzt da ist."

Investitionen und Vorschriften

Wie bei vielen anderen selbstständig tätigen Menschen musste auch Doris Wytopil einiges an Geld in ihre Züntersbacher Praxis investieren; die Hürden an Vorschriften für Hebammenpraxen seien schwieriger zu bewältigen. Auch das Thema Bürokratie nehme immer mehr Zeit in Anspruch. Deshalb hat die Hebamme vor Kurzem eine Hilfskraft für die Büroarbeit eingestellt, die sie zuvor immer nachts oder am Wochenende erledigt hat.

Trotz der Hilfe und dem Wegfallen vieler Fahrtwege musste sich Wytopil wegen der großen Nachfrage der Frauen aus Zeitgründen von einem ihrer liebsten Angebote trennen: "Ambulante Geburten waren immer mein Herzstück. Aber die Betreuung ist sehr zeitintensiv, weil die Frauen direkt nach der Geburt im Krankenhaus nach Hause gehen. Dann muss man teilweise sogar zwei Mal täglich zu der Frau nach Hause fahren. Hinzu kommt der Bereitschaftsdienst, denn der wird nicht bezahlt."

Beim Hebammenmangel gibt es immerhin Hoffnung: Das duale Studium für den Beruf ist sehr gefragt, wie Nele Krämer, Praktikantin von Doris Wytopil und Studentin am Klinikum Fulda, berichtet: "Auf zwei Stellen gab es über 500 Bewerbungen aus ganz Deutschland. Die Nachfrage ist auf jeden Fall da."

Geburtsstationen fehlen

Neben Hebammen fehlt es aber auch an Geburtsstationen: Nach den Schließungen in Schlüchtern und Bad Brückenau müssen die Frauen nun bis in die Kliniken nach Fulda oder Gelnhausen fahren, "einige fahren bis Schweinfurt", berichtet Wytopil. "Gerade habe ich mir ein neues CTG-Gerät gekauft, um eine adäquate Schwangerenvorsorge bieten zu können." Denn auch Gynäkologen seien in der Region mittlerweile Mangelware.

Allen Schwierigkeiten zum Trotz hat Doris Wytopil ihre Berufswahl nie bereut und bildet sich stetig fort. Durch eine Zusatzqualifikation ist es ihr unter anderem möglich, Frauen nach traumatischen Geburten und bei Schlaf- und Schreiproblemen der Babys psychologisch zu betreuen. Praktikantin Nele Krämer fasst es passend zusammen: "Der Beruf ist unheimlich vielfältig. Das macht ihn auch so spannend." Marah Naumann und Steffen Standke

Aufgabenkatalog

Für Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett stehen Frauen und ihren Familien bis zum Ende der Stillzeit Hebammen zur Seite. Sie begleiten werdende Mütter medizinisch und psychosozial.

Sofern keine Risikoschwangerschaft vorliegt, können Hebammen fast alle vorgesehenen Vorsorgeuntersuchungen durchführen. Sie kontrollieren etwa Gewicht und Blutdruck, stellen Lage und Größe des Kindes fest und prüfen die Herztöne.

Daneben bieten Hebammen zudem verschiedene Kurse vor und nach der Geburt an.

Bei jeder Geburt in Deutschland muss gesetzlich eine Hebamme anwesend sein. Sie darf somit eine Geburt allein vornehmen, ein Arzt jedoch nicht - außer in einem dringenden Notfall.

Nach der Geburt versorgt die Hebamme Mutter und Kind während der Zeit des Wochenbetts. Sie hilft Frauen, eine gute Beziehung zu ihrem Kind aufzubauen sowie beim Stillen . Sie beobachtet außerdem die Rückbildung und Abheilung.

Speziell ausgebildete Familienhebammen betreuen Mütter mit verstärkter Hilfestellung, etwa Teenagermütter, Familien mit Migrationshintergrund, oder chronisch kranke Frauen. (Quelle: Deutscher Hebammenverband) / mln

 
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