"Es sieht alles so leicht aus, so beschwingt", meint Günter Steiner, der extra aus Bad Brambach zum Tanzturnier angereist ist, "dabei ist es Hochleistungssport". Der leidenschaftliche Laientänzer nimmt sogar in Kauf, dass er nicht neben seiner Frau sitzen kann. Aber die beiden wollten unbedingt in der ersten Reihe auf dem Balkon sitzen, um beste Sicht auf das Tanzparkett zu haben. Es trifft sich im Regentenbau ein eigenes Völkchen - wenig bekannte Gesichter im Publikum- zum Teil weit angereist, das Tanzen zu seinem Hobby gemacht hat und die Vorbilder des Tanzsports in einem großen Turnier live erleben will.
Tanztempel Regentenbau
Das bestätigt auch Martin Pastor: "Bad Kissingen ist das Highlight der fünf Tour Veranstaltungen im Lateinamerikanischen Tanz", meint der stellvertretender Direktor der Profession Division der Grand Prix Serie des Deutschen Tanzsport Verbandes (DTV PD). Die Tänzer aus ganz Europa lieben dieses Format, erklärt Pastor, weil hier kein Ranking zählt, nicht verbissen um jeden Wertungspunkt für die Rangliste gekämpft wird, weil eben nur dieser eine Abend zählt, bei dem es als Kür auch noch einen Show-Tanz gibt. Nicht zuletzt aber, weil man nicht nur unter sich ist, sondern weil auch das Publikum tanzen darf. "Aber", macht auch der eloquente Moderator Tassilo Lax deutlich, "wer Kissingen gewonnen hat, der ist schon wer". Zum dritten Mal hintereinander ist der Regentenbau Tanztempel für die "Latinos", und Lax hofft, dass man sich auch im nächsten Jahr wieder, erst zum Kongress und dann als Abschluss "in diesem wunderschönen Saal zum Turnier treffen kann", versucht er der Kurdirektorin Silvie Thormann eine Zusage zu entlocken, was sie charmant, aber gekonnt, umschifft, weil sie nicht spontan zusagen kann.
Europäische Spitzenklasse
So stellen sich also zehn Profi Tanzpaare aus Deutschland, Niederlanden, Rumänien, Litauen und der Slowakei der Jury . Übermütig ausgelassen beim Cha-Cha-Cha, mit einer Mischung aus Hingabe und Flucht beim Rumba, wellenförmig beim brasilianischen Samba oder als Darstellung des Stierkampfs mit Flamenco-Anklang beim Paso Doble. Das Noris Swingtett sorgt für die schmissig exakte musikalische Begleitung, denn es sind entsprechend der Metronomzahl genaue Vorgaben zu erfüllen sind: Viervierteltakt und 28 ausdrucksstarke Takte pro Minute beim Samba oder deutlich schneller beim Paso Doble im Zweivierteltakt aber mit 62 Takten pro Minute.
Die Herren in duftdurchlässigen Hemden, engen Hosen und Lackschuhen, die Damen in Glitzer, wehenden Fähnchen als Turnieroutfit, üppigem Make-up, ausdrucksstarken Wimpern und halsbrecherischen Stilettos. Durchtrainierte Traumkörper sind ein Muss. Dann gelingen Stepps, Stopps, Drehungen, Kniefälle und schwingendes Erobern der Tanzfläche. Eine Mischung aus Ballett, Akrobatik und Hebefiguren, die man vom Eiskunstlauf kennt. Den Körper zu formen, fließende lateinamerikanische Bewegungen zu kreieren, mit dem Partner zu harmonieren und die Musik gemeinsam auszudrücken ist das Ziel. Kokett zu flirten beim Cha-Cha-Cha, das rote Tuch des Toreros darzustellen beim Paso Doble, afrikanische Lebensfreude zu toben beim Jive. Dazu lächeln, lächeln und lächeln, als sei es das einfachste der Welt. "Keep on Smiling" ist die passende Musik dazu.
Punktgenaue Schrittfolge
Angestachelt vom Beifall des Publikums, bringen sie Höchstform, faszinieren mit einstudierten Bewegungen im Sekundentakt, sind mit drei Schritten quer durch das Parkett geflogen und werden doch kritisch beäugt von den Wertungsrichtern. Punktgenau auf den Schlag der Musik die Schritte! Hier der Kopf zu weit unten, da fehlt Körperspannung, das Aufsetzen nach der Hebefigur einen Sekunden-Bruchteil zu spät. Für den Laien nicht erkennbar. Da fasziniert rasantes Tempo, das lässige Zu-Boden-Gleiten und die große Schluss-Geste. Sieger sind eigentlich alle. Nicht nur die sieben, die in den Endkampf kommen. Drei Paare müssen ihre Siebensachen in den Rollkoffer packen. Zurück ins Hotel. Heute hat's eben nicht ganz gereicht.
Für die Kür wird das Outfit gewechselt. Lässig in Alltagskleidung, aufgepeppt im Flamenco-Stil. Die Musik wird verfremdet, "Mozart meets Kuba" oder Frank Sinatras "My way", als fetziger Latinsalsa. Die Musik jetzt vom Band.
Dann das Endergebnis. Für die Paare wichtig, für die Zuschauer, die lang ausharren müssen, eher Nebensache. Jiri Hein und Lucia Krncanová aus der Slowakei werden Dritte. Den zweiten Platz ertanzen sich Frank Zegels und Laura Zegels-Jottay aus den Niederlanden. "Kissingen gewonnen" haben Lars-Eric Pastor und Natalia Szypulska vom Grün Gold Club Bremen. Tanzen soll inspirieren. Auftrag grandios erfüllt.