
Es war der Silvesterabend 2017, als Joachim Hunger seinen letzten großen Auftritt hatte. Als geflügelter "Engel Aloisius" "schwebte" er auf dem Motorrad in den Veranstaltungssaal des Regena Gesundheitsresorts ein. Nach einer kurzen Umziehpause gab er unter den Klängen von "Über den Wolken" einen Flugkapitän, begleitet von schicken Stewardessen. Ein Lotse, der den Jumbo Regena sicher durch alle Unbilden steuerte. Seit 25 Jahren.
Niemals hätte der heute 62-Jährige gedacht, dass nur wenige Wochen später der Absturz erfolgen sollte. Nicht nur sein eigener, sondern auch der des Regena. Fakt ist: Nach Pfingsten fungierte Hunger, der das Haus seit 1993 geleitet hatte, nicht mehr aktiv als Direktor , war kaltgestellt. Zum beruflichen kam ein privater Umbruch - und die absolute Krise.
Darauf näher eingehen möchte der gebürtige Bad Harzburger (Niedersachsen) nicht. Auch nicht auf die zwischenzeitliche Neuorientierung des Regenas, das inzwischen geschlossen und an den Reha-Klinikbetreiber Hescuro verkauft ist. Er sagt nur: "Ich habe meinen Frieden geschlossen, denke nur noch an die schönen Dinge. Es war eine schöne Zeit."
Hunger ist seinen früheren Mitarbeitern dankbar und dem Ehepaar Pawelka, das ihn beruflich sehr gefördert habe. Auch seine persönliche Krise sieht er heute positiv. "Ich habe mich neu definieren müssen, habe mehr Zeit für Kontakte gehabt und neue Menschen kennengelernt. Ich war noch nie so bei mir wie heute."
Dem Regena fühlt sich Joachim Hunger auch fast fünf Jahre nach seinem faktischen Ausscheiden tief verbunden. "Ich habe es von ganzem Herzen geliebt." Kein Wunder, wohnte Hunger doch mit seiner Familie samt Hündchen jahrelang in der siebten Etage des Hauses. Sein Junge ist in Bad Brückenau geboren, seine Mutter im Regena gestorben. Heute lebt der 62-Jährige in Sichtweite des früheren Gesundheitsresorts. "Ich gehe immer noch oft dort vorbei und spreche mit dem Haus." Was nicht heißt, dass Hunger ewig gestrig wäre. Aber die insgesamt 29 Jahre - von 1985 bis 1989 fungierte er als Direktionsassistent - prägten sehr.
Die Wende von seinem alten ins neue Leben begann - so sagt es Hunger selbst - 2019. Da sah er im Fernsehen eine Dokumentation über Sternekoch Alfons Schuhbeck . Der berichtete aus seinem vielfältigen, aber auch anstrengenden Leben als Gastronom und Unternehmer. Seine Eindrücke skizzierte Hunger unmittelbar in drei Minuten auf ein Blatt DIN-A4-Papier. Daraus entstand ein sogenanntes Storytelling-Bild im Popart-Stil.
Gemalt hatte der Niedersachse schon immer. In seiner Zeit als Hoteldirektor nahm er sich im Regena ein eigenes Zimmer. Schon damals bedeutete das für Hunger Therapie, wenn er wegen der vielen Gedanken und Probleme, die ihn umtrieben, nicht schlafen konnte.
Inzwischen macht das Malen einen Großteil seines neuen Lebens aus. Schon im März 2018 richtete er sich in der Ludwigstraße einen Abstellraum für seine Bilder ein. Inzwischen ist die "Galerie 17" zum persönlichen Arbeits- und Präsentationsort geworden. Hunger plant, Bilder an Menschen, die im Vorbeigehen einen Blick durch die Schaufenster geworfen haben, zu verkaufen. Oft sind das Gäste der Kurkliniken in Stadt und Staatsbad, die früher potenziell auch zum Regena-Klientel gehörten.
Natürlich lebt Hunger nicht allein von der Malerei. Er berät und begleitet gastronomische Betriebe, bietet "gastrosophische Hunger-Veranstaltungen" an, bei denen er seine Leidenschaft für Bewirtung und Gastlichkeit mit der für Gedichte verbindet. Außerdem übernimmt der 62-Jährige Chaffeurdienste. Finanziell, sagt er, plagen ihn keine Sorgen.
Gute Aussichten fürs Regena
Das ehemalige Regena sieht Joachim Hunger auf einem guten Weg. Die angedachte Nutzung als Privatklinik für Psychosomatik und integrative Medizin werde funktionieren. Eine Perspektive, die nicht nur ihm, sondern auch dem Gebäude guttun werde. Denn, so sagt er, "nichts ist besser für ein Haus, als wenn Leben drin ist".
Derzeit setzt der frühere Hoteldirektor ein malerisches Großprojekt um: Er verziert innerhalb von zwei Jahren einen VW Käfer, Baujahr 1969, in seiner Galerie mit zwölf Acrylbildern. Der Oldtimer gehört Daniel Alt, der ihm auch die Räume zur Verfügung stellt. Die Bilder orientieren sich am Gedicht "Stufen" von Hermann Hesse (1877 - 1962). Hungers Anspruch: "Es soll der schönste und bunteste Käfer der Welt werden."
Auf dem Käfer sollen Prominente unterschreiben, die ebenfalls "Baujahr '69" sind. Und dann will der 62-Jährige eben diese Promis mit dem Kultauto besuchen. Der Hang zum großen Auftritt wie einst im Regena - er ist Joachim Hunger geblieben.