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Bad Kissingen
Erwin Pelzing - "Der wunde Punkt"
Frank-Markus Barwasser stellte im Regentenbau in Bad Kissingen als Erwin Pelzig seine Analysen über die coronageprägte Gesellschaft dar.
Erwin Pelzig im Max-Littmann-Saal.       -  Erwin Pelzig im Max-Littmann-Saal.
Foto: Klaus Werner | Erwin Pelzig im Max-Littmann-Saal.
Klaus Werner
 |  aktualisiert: 17.08.2022 02:45 Uhr

Ein bisschen Seneca , ein wenig Verschwörungstheoretiker, etwas Stuttgart 21 , ein Schuss vor-pandemischer Normalität, ein Spritzer alter und neuer Geschichte, ein paar Tropfen Psychologie, das Ganze abgeschmeckt mit Kindheitstrauma sowie Fakten und sprachgewaltig. Serviert bei einer zweistündigen Reise durch die Schizophrenie des Alltags - Reiseführer im Regentenbau war Erwin Pelzig alias Frank-Markus Barwasser . Reisebegleiter waren 500 Gäste, die aufmerksam den irrwitzigen Verknüpfungen folgten und sich am Ende mit Standing Ovations bedanken.

Tisch, Stuhl und drei Getränke standen für den Mann mit Hut und Herrentäschchen im Max-Littmann-Saal bereit. Die Show war fast ausverkauft. Das Abnehmen von Mund-Nasen-Bedeckung sei nicht gestattet, so eine Stimme aus dem Off, die trotzdem "Viel Vergnügen" wünschte und damit für die erste Erheiterung des Abends sorgte. Für Pelzig war es der "Tag X" als er vor den Bühnenvorhang trat und gestand: "Viele sind in der Covid-Zeit merkwürdig geworden - ich net."

Corona-Gewinner

Da hält er es mit den Stoikern, die die große Katastrophe erwarten und mit einer "Bardy" reagieren, wenn es nicht eingetreten ist. Auch der griechische Philosoph Seneca musste für seine pandemische Analyse herhalten, denn: "Wer heute Schlimmes erwarte, soll an morgen denken - da könnte es noch schlimmer werden." Versehen mit einem herzlichen Gruß von Karl Lauterbach .

Corona habe bei Pelzig anfangs den Eindruck geweckt: "Wir sitzen alle in einem Boot". Doch letztlich habe sich gezeigt, dass manche auch auf einer Luxusyacht sitzen und so nebenbei ihr Vermögen wachse. Oder mit Maskengeschäften à la Sauter das eigene Konto im Visier haben. Auch Andreas Scheuer sei so ein rotzfrecher Corona-Gewinner, denn keiner spreche mehr von der halben Milliarde, die dem Steuerzahler die Maut gekostet habe.

Der Höhepunkt der Autonomie

Doch nicht nur die da oben, sondern auch die Mitte der Gesellschaft bekam ihr Pandemie-Fett weg: Die allseits präsenten Verschwörungstheoretiker sind für Pelzig eine "Schwurbler"-Gruppe - ein buntes Konglomerat aus Covid-Leugnern, Aluhut-Trägern, Reichsbürgern und Waldorf-Lehrern, die sich ohne Berührungsängste zusammenfinden, die alles wissen, die durch Widerspruch bestärkt werden und die in der Zusammensetzung an seine Therapiegruppe erinnern.

Und aus dieser Mitte der Gesellschaft entstehe ein Hass , der sich in massiven Beleidigungen widerspiegele - im Netz namentlich und mit 47 Ausrufen gekennzeichnet - "der Kalaschnikow des kleinen Mannes".

Mit kleinen Schnitten ging die gesellschaftliche Kabarett-Operation immer tiefer. Wie ein Chirurg inszenierte Pelzig diesen Abend. Er entführte das aufmerksame Publikum an die "Normalität der guten alten Zeit", wenn man endlich wieder in die Fußgängerzonen einfallen kann, den Kauf von Frischkäse-Zubereitung und Luftfilter als "Höhepunkt der Autonomie" feiert und sich angesichts von 10 000 Gegenständen, die ein Mitteleuropäer durchschnittlich hat, mit dem Buch belohnt: "Wie räum ich auf? Was schmeiß ich weg?"

Schwerverdauliche Wahrheiten prasselten von der Bühne auf das Publikum ein. Doch Pelzig verstand es immer wieder blendend, mit harmlosen Zwischenbemerkungen dem Gesagten die Schärfe zu nehmen und den Gästen ein Lachen zu entlocken. So ließ er seine beiden Protagonisten - Hartmut und Dr. Göbel - über ihre Kinderstube und ihre Familiengeschichte räsonieren, bevor er zu den katastrophalen Kindheitserlebnissen von Stalin , Hussein oder Clinton überleitet und erstaunt feststellt: "Komisch - von Trump hörte man nichts."

Er freute sich über die Tochter von AfD-Ehrenvorsitzenden Gauland, die sich als evangelische Pastorin für Flüchtlingskinder einsetzt, und ergänzte mahnend: "Das Familienklima von heute ist das politische Klima von morgen." Von daher verstehe er die Jugendlichen , die nach den Einschränkungen feiern und sich austesten wollen.

Zapfhahn oder Zapfhenne

Ruhelos, gestikulierend, voller Mitteilungsdrang - so präsentierte Pelzig seinen "Zapfhahn oder Zapfhenne oder Zapfdivers" als ironische Übertreibung der Gender-Debatte mit ihrem semantischen Bestreben nach Gerechtigkeit. Er bereicherte die "Unsterblichkeits-Phantasie" um die Möglichkeit des "Mind-Uploading", bei dem Wissen und Geist nach dem Ableben in der Cloud bereitliegen.

Anschließend lieferte er einen versöhnlichen Ausblick - verbunden mit ein wenig "Baddos" - auf die einzig wahre Überlebensstrategie: Freundlichkeit. In dem überschäumenden Jubel der Gäste bedankte und verneigte sich Pelzig alias Frank-Markus Barwasser vor seinem Publikum.

 
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