
Frank-Markus Barwasser tritt auf! – nur wenige kennen den fränkischen Kabarettisten unter diesem Namen. Wenn dagegen auf den Plakaten steht „ Erwin Pelzig kommt nach Bad Kissingen “, dann sind die Karten heiß begehrt und so war es auch beim Bad Kissinger Kabarettherbst: Das Kurtheater war ausverkauft und die Freunde des schmerzhaften, weil sezierenden Kabaretts waren begeistert, wobei Barwasser/Pelzig das Publikum mit seiner Wortakrobatik an die Grenzen des Aufnehmbaren führte.
Fränkischer Trachtenanzug, kariertes Hemd, zerdrücktes Herrenhandtäschle mit Schlaufe und ein zerknittertes Cordhütle – das Äußere hat sich bei der Kunstfigur Pelzig über die Jahrzehnte ebenso wenig verändert wie die Mithilfe seiner Protagonisten Dr. Göbel und Hartmut, wenn es um die teils apokalyptische Deutungshoheit zu den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Verwerfungen in Deutschland und der Welt geht.
Pointen im Minutentakt
Wer zu Pelzig geht, der weiß, was auf ihn zukommt und vor allem am Ende einer Woche, die massive Veränderungen mit sich bringen wird: „Am Mittwoch mit Trump aufwachen, abends ohne Regierung ins Bett gehen“ – dem aufkommenden Gelächter lässt Pelzig keine Chance, denn im Minutentakt legt er nach. Ein Verkehrsministerium, das ohne Minister effektiver arbeite, oder ein Lindner als Sinnbild des Fachkräftemangels oder ein Pate an der Spitze der USA, der von einem Milliardär als Spielfigur genutzt wird – „Man möchte sich auf’s Bahngleis legen, aber wahrscheinlich kommt kein Zug.“
Für ihn als Stoiker sei das kein Problem, denn er rechne immer mit dem Schlimmsten, auch wenn die traumatisierte Welt mit Israel, Gaza, Ukraine, Taiwan und weiteren Krisenherden die Grenze des Schlimmsten immer weiter hinausschiebe: „Da ist Andi Scheuer mit seinen versenkten 230 Millionen Euro Peanuts angesichts der Milliarden für Pandemie, Strompreisbremse oder Klimakatastrophen.“– wobei man die 90.000 Wischmobs nicht vergessen darf, die Hubert Aiwanger zum Entfernen des Corona-Virus besorgt habe. Wir sind „veränderungserschöpft“, so Pelzigs Analyse, und vor diesem Hintergrund explodierten die Verschwörungstheorien, die mit einer „unumstößlichen Wahrheit“ die drei Seiten einer Medaille erklärten und alternativ das Weltjudentum, die Stadt Mainz oder Bill Gates für den Schlamassel verantwortlich machten.
Gemeinsamer Feind schweißt zusammen
Es sei ein „Baukasten des Wahnsinns“ entstanden, der dank der Erleuchtung durch die sozialen Medien zu Demonstrationen führe, die gegensätzliche Gruppen wie Friedensaktivisten, Veganer und Reichsbürger zusammenbringen: „Der Staat als gemeinsamer Feind schweißt zusammen,“ stehe auf der einen Seite, während „Ein Mangel an Ahnung wird durch ein Übermaß an Meinung ausgeglichen“ die andere Seite darstelle.
Das „Wieso?“ beschäftigt Barwasser, der gerne Anmerkungen bekannter Philosophen wie Seneca einfließen lässt oder psychologische Erkenntnisse aufgreift, und er verweist auf ein „Jahrhundert der Kränkungen“ mit fließenden Übergängen zum „Jahrhundert der Narzissten “. Mal ist es gekränkte Männlichkeit mit dem Auspuffrohr als Phallusersatz, mal ist es der Bär Puh, der in China aufgrund der Ähnlichkeit mit Xi Jinping verboten wird, mal ist es der „Maligne Narzissmus“, der Trump und Co. mit bösartigen Lügen und Intrigen über andere herziehen lässt, mal ist es Putin , dessen Handeln durch Obamas kränkende Wertung von Russland als „Regionalmacht“ bestimmt werde.
Angesichts dieses Ausmaßes bliebe nur ein Fazit übrig: „Wir sind nicht die Kröne der Schöpfung, sondern der Arsch.“ Und dieser Arsch werde früh geprägt, eigentlich schon in der Kindheit, „weil da das Menschenbild entsteht“. Beispiele für eine vermurkste Kindheit mit blutigen Erlebnissen gibt es genug, so Pelzig, von Kaiser Wilhelm bis Saddam Hussein , und die Folge sei Empfindungslosigkeit gegenüber dem Schmerz anderer.
Negative Auswirkungen sichtbar
Sein Fazit: „Das Familienklima von heute ist das Politklima von morgen.“ Und dass es hierbei schon negative Auswirkungen gibt, zeigen Studien zum Wahlverhalten , wenn ein Großteil von unter 34-Jährigen kein Vertrauen mehr in die Demokratie hat. Demokratie als „alte Dame mit guten Absichten“ sollte gerechter, wehrhafter und repräsentativer sein, so seine Forderung, wobei man bei allen Defiziten ein Merkmal herausheben sollte: „Jeder kann bei uns behaupten, dass wir eine Diktatur sind“ – bei uns folgenlos, woanders gehe man dafür ins Gefängnis.
Mal sind es die „Silberrücken mit blauen Pillen und Pedelec“, die Pelzig mit mitleidigen Anmerkungen überzieht, mal ist es das Gendern, das Pelzig einerseits als Teil einer lebendigen, sich verändernden Sprache respektiert, andererseits fördere es nicht das Verständnis, wenn „Muttermilch zu Menschenmilch“ transformiert werde. Mal ist es der Traum von Unsterblichkeit, der den Tod als Kränkung empfindet und das „Minduploading“ zur Ablage des Bewusstseins in der Cloud und als IGeL-Leistung der Krankenkasse empfiehlt, mal ist es KI als Risiko für die Menschheit, „denn wenn alles falsch sein kann, dann ist nichts mehr wahr“. „Was bleibt?“, so Pelzigs philosophisch-rhetorische Frage. Seine Antwort mit „Bathos“: „Freundlichkeit als Alleinstellungsmerkmal sowie Mut als Grundlage der Zukunft und als Gegenstück zu den Trumps dieser Welt.“ Ansonsten helfe nur, so der mit begeistertem Beifall verabschiedete und sichtlich berührte Kabarettist, das eigene Gemüt: „Rechnen Sie mit dem Schlimmsten. Bleiben Sie Stoiker !“

