Bad Kissingen
Erste Begegnung
Das Citiy of Birmingham Symphony Orchestra mit seiner neuen Chefdirigentin Mirga Grazinytè-Tyla und der Pianist Herbert Schuch wurden gefeiert.
Auch wenn man es kaum glauben mag: Es war keine Premiere! Mirga Grazinytè-Tyla war nicht die erste Dirigentin beim Kissinger Sommer. Die Premiere war Ende der 80er Jahre, als Agnieszka Duczmal mit ihrem Orpheus Chamber Orchestra im Großen Saal gastierte. Aber das war "nur" ein Kammerorchester. Als Chefin eines vollsinfonischen Schlachtschiffs war die junge Litauerin tatsächlich die Erste.
Sie hat ihre Sache verdammt gut gemacht. Was freilich nicht im Geringsten überrascht. Wer mit 29 Jahren zur Generalmusikdirektorin des City of Birmingham Symphony Orchestra berufen wird, um - im vergangenen Sommer - die Nachfolge von Andris Nelsons anzutreten, muss ganz einfach verdammt gut sein. Denn die Konkurrenz, gegen die sie sich durchgesetzt hat, ist gnadenlos mächtig.
Mirga Grazinytè-Tyla hat einen ganz eigenen Dirigierstil mit hohem Wiedererkennungswert. Sie scheint auch vom Ballett herzukommen, denn sie tanzt ihr Dirigat - man denke zum Vergleich an Lorin Maazel, der sich nur bewegte, bis er das Pult erreicht hatte. Und sie schleudert wie eine Bogenschützin ihre Impulse weit von hinten ausholend in das Orchester - zum Glück sind ihre Arme gut an den Schultern befestigt. Das sieht alles nach guter Laune und Freude an der Arbeit aus. Und das ist es auch. Vor allem ist es ihr gelungen, ihre Leute damit anzustecken. Das CBSO ist bestens in Schuss, ist bereit, sich auf sie einzulassen. Man kann verstehen, warum das Orchester ausgerechnet Mirga Grazinytè-Tyla gewählt hat.
Das Konzert, das zum Debüt des Orchesters im Regentenbau wurde, begann mit einem überraschenden Werk: "Der Bote" oder auch "The Messenger" für Streicher, Klavier und Synthesizer des Ukrainers Valentin Silvestrov. Er hat den Satz aus einem Klavierstück gefertigt, als 1996 seine Frau Larissa Bondarenko gestorben war. Der Synthesizer liefert lediglich leise Windgeräusche und ein Klima der Kälte. Es sind leise, stockende Fetzen von Mozarts Musik, die durch den Saal wehen, vom Klavier aufgegriffen und individualisiert. Es ist eine Musik, die von den Streichern enorme Konzentration fordert, weil sie völlig ohne Vibrato absolut exakt bleiben müssen und nie einmal etwas entspannend lauter werden dürfen. Anrührender kann eine Trauermusik kaum sein.
Ja, und dann das Klavierkonzert b-moll op. 23 von Peter Tschaikowsky, eines der ganz großen Monumente der Klavierliteratur. Da bot sich ein interessanter Vergleich zum Vorjahr. Daniil Trifonov hatte das Werk ein bisschen ins Dämonische gezogen. Jetzt spielte Herbert Schuch eine erstaunlich persönliche Version - was sicher auch daran lag, dass er in Mirga Grazinytè-Tyla einen stärkeren Widerpart hatte, der ihn wirklich forderte, gegen den er sich erst einmal durchsetzen musste und die ein klares Konzept vom ständigen Wechsel zwischen Dramatisch und Lyrisch hatte. Und so waren die ersten Akkordschläge nicht nur laut, sondern stark konfrontativ aromatisiert.
Dieser Kurs zog sich durch das gesamte Konzert, wobei er sich allerdings keineswegs nur in Lautstärke äußerte. Schuch unterstellte Tschaikowsky, dass er keineswegs nur donnern wollte, sondern dass er sich seine schwierige gesellschaftliche und vor allem psychische Situation von der Seele schreiben wollte, und er entdeckte sehr viel Persönliches, Melancholisches, auch Verstörtes, das er mit viel Feingefühl und Differenziertheit und mit ein bisschen verträumten Kadenzen gestaltete. Mirga Grazinytè-Tyla ließ ihm da viel Freiraum, hörte sehr genau hin in der Begleitung und hielt sich mehr oder weniger raus, wenn es im zweiten Satz zu wunderschönen Dialogen mit den Einzelstimmen im Orchester kam. Dafür übernahm sie wieder die Herrschaft in dem fulminanten Satz mit seinen Anflügen von tänzerischer Derbheit, in dem sie das Orchester von der Leine ließ. Herbert Schuch freilich ging nicht unter. Er hielt mit, und nicht nur gerade so, sondern als eine kräftige Farbe im Tumult. Ein tolles Finale!
Für die Zugabe griff Herbert Schuch in die Kiste der sich darstellenden Virtuosität: zu Franz Liszts Etüde "La Campanella".
Im zweiten Teil konnte sich das Orchester noch einmal von seiner besten Seite zeigen: bei Igor Strawinskys "Pulcinella-Suite - eigentlich eine Toccata für Orchester, in der der Komponist zeigen wollte, was die einzelnen Instrumente an Klängen, auch an ganz ungewöhnlichen, bieten können. Das Orchester nahm das Angebot an und zauberte mit tollen Klangfarben, mit Freude an schwierigen Rhythmen, an extremen Kombinationen und an den Eigenheiten der Jahrmarktsmusik. Und Mirga Grazinytè-Tyla tanzte. Schließlich war es ja Ballettmusik. Für den Zuhörer boten sich in jedem Augenblick ganz neue Eindrücke, ständig war er auf der Suche nach der Herkunft der Klänge. Nein, kurzweiliger und präziser zugleich, kann man diese ansteckende Musik nicht spielen.
Den stürmischen Beifall beantwortete das CBSO mit "Golliwogg's Cakewalk von Claude Debussy - durchaus passend zu "Petruschka". Denn auch Golliwogg ist eine Puppe.
Sie hat ihre Sache verdammt gut gemacht. Was freilich nicht im Geringsten überrascht. Wer mit 29 Jahren zur Generalmusikdirektorin des City of Birmingham Symphony Orchestra berufen wird, um - im vergangenen Sommer - die Nachfolge von Andris Nelsons anzutreten, muss ganz einfach verdammt gut sein. Denn die Konkurrenz, gegen die sie sich durchgesetzt hat, ist gnadenlos mächtig.
Mirga Grazinytè-Tyla hat einen ganz eigenen Dirigierstil mit hohem Wiedererkennungswert. Sie scheint auch vom Ballett herzukommen, denn sie tanzt ihr Dirigat - man denke zum Vergleich an Lorin Maazel, der sich nur bewegte, bis er das Pult erreicht hatte. Und sie schleudert wie eine Bogenschützin ihre Impulse weit von hinten ausholend in das Orchester - zum Glück sind ihre Arme gut an den Schultern befestigt. Das sieht alles nach guter Laune und Freude an der Arbeit aus. Und das ist es auch. Vor allem ist es ihr gelungen, ihre Leute damit anzustecken. Das CBSO ist bestens in Schuss, ist bereit, sich auf sie einzulassen. Man kann verstehen, warum das Orchester ausgerechnet Mirga Grazinytè-Tyla gewählt hat.
Das Konzert, das zum Debüt des Orchesters im Regentenbau wurde, begann mit einem überraschenden Werk: "Der Bote" oder auch "The Messenger" für Streicher, Klavier und Synthesizer des Ukrainers Valentin Silvestrov. Er hat den Satz aus einem Klavierstück gefertigt, als 1996 seine Frau Larissa Bondarenko gestorben war. Der Synthesizer liefert lediglich leise Windgeräusche und ein Klima der Kälte. Es sind leise, stockende Fetzen von Mozarts Musik, die durch den Saal wehen, vom Klavier aufgegriffen und individualisiert. Es ist eine Musik, die von den Streichern enorme Konzentration fordert, weil sie völlig ohne Vibrato absolut exakt bleiben müssen und nie einmal etwas entspannend lauter werden dürfen. Anrührender kann eine Trauermusik kaum sein.
Ja, und dann das Klavierkonzert b-moll op. 23 von Peter Tschaikowsky, eines der ganz großen Monumente der Klavierliteratur. Da bot sich ein interessanter Vergleich zum Vorjahr. Daniil Trifonov hatte das Werk ein bisschen ins Dämonische gezogen. Jetzt spielte Herbert Schuch eine erstaunlich persönliche Version - was sicher auch daran lag, dass er in Mirga Grazinytè-Tyla einen stärkeren Widerpart hatte, der ihn wirklich forderte, gegen den er sich erst einmal durchsetzen musste und die ein klares Konzept vom ständigen Wechsel zwischen Dramatisch und Lyrisch hatte. Und so waren die ersten Akkordschläge nicht nur laut, sondern stark konfrontativ aromatisiert.
Dieser Kurs zog sich durch das gesamte Konzert, wobei er sich allerdings keineswegs nur in Lautstärke äußerte. Schuch unterstellte Tschaikowsky, dass er keineswegs nur donnern wollte, sondern dass er sich seine schwierige gesellschaftliche und vor allem psychische Situation von der Seele schreiben wollte, und er entdeckte sehr viel Persönliches, Melancholisches, auch Verstörtes, das er mit viel Feingefühl und Differenziertheit und mit ein bisschen verträumten Kadenzen gestaltete. Mirga Grazinytè-Tyla ließ ihm da viel Freiraum, hörte sehr genau hin in der Begleitung und hielt sich mehr oder weniger raus, wenn es im zweiten Satz zu wunderschönen Dialogen mit den Einzelstimmen im Orchester kam. Dafür übernahm sie wieder die Herrschaft in dem fulminanten Satz mit seinen Anflügen von tänzerischer Derbheit, in dem sie das Orchester von der Leine ließ. Herbert Schuch freilich ging nicht unter. Er hielt mit, und nicht nur gerade so, sondern als eine kräftige Farbe im Tumult. Ein tolles Finale!
Für die Zugabe griff Herbert Schuch in die Kiste der sich darstellenden Virtuosität: zu Franz Liszts Etüde "La Campanella".
Im zweiten Teil konnte sich das Orchester noch einmal von seiner besten Seite zeigen: bei Igor Strawinskys "Pulcinella-Suite - eigentlich eine Toccata für Orchester, in der der Komponist zeigen wollte, was die einzelnen Instrumente an Klängen, auch an ganz ungewöhnlichen, bieten können. Das Orchester nahm das Angebot an und zauberte mit tollen Klangfarben, mit Freude an schwierigen Rhythmen, an extremen Kombinationen und an den Eigenheiten der Jahrmarktsmusik. Und Mirga Grazinytè-Tyla tanzte. Schließlich war es ja Ballettmusik. Für den Zuhörer boten sich in jedem Augenblick ganz neue Eindrücke, ständig war er auf der Suche nach der Herkunft der Klänge. Nein, kurzweiliger und präziser zugleich, kann man diese ansteckende Musik nicht spielen.
Den stürmischen Beifall beantwortete das CBSO mit "Golliwogg's Cakewalk von Claude Debussy - durchaus passend zu "Petruschka". Denn auch Golliwogg ist eine Puppe.
Themen & Autoren / Autorinnen