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Bad Kissingen
Erdtmann beleuchtet den Fall Joseph Süßkind Oppenheimer
Raquel Erdtmanns im April erschienene Biografie über Joseph Süßkind Oppenheimer erzählt die Geschichte eines Justizmords im 18. Jahrhundert. Bisher gab es nur wenige, die sich dem Fall so näherten.
Raquel Erdtmann schreibt über den Justizmord an Joseph Süßkind Oppenheimer. Die Biografie erschien im Steidl Verlag.       -  Raquel Erdtmann schreibt über den Justizmord an Joseph Süßkind Oppenheimer. Die Biografie erschien im Steidl Verlag.
Foto: Steidl Verlag | Raquel Erdtmann schreibt über den Justizmord an Joseph Süßkind Oppenheimer. Die Biografie erschien im Steidl Verlag.
Sigismund von Dobschütz
 |  aktualisiert: 19.06.2024 02:54 Uhr

Am 4. Februar 1738 wurde der erst 40-jährige jüdische Großkaufmann Joseph Süßkind Oppenheimer – in den Jahren ab 1732 als Hof- und Kriegsfaktor und ab 1736 als geheimer Finanzrat des württembergischen Herzogs Carl Alexander tätig – unmittelbar nach des Herzogs überraschendem Tod aufgrund judenfeindlicher Anschuldigungen und Verleumdungen enteignet, angeklagt, nach Festungshaft elf Monate später hingerichtet und sein Leichnam sechs Jahre lang in einem hoch aufgehängtem Käfig zur Schau gestellt.

Wir meinen, die Geschichte über diesen Justizmord zu kennen. Aber kennen wir sie tatsächlich? „Es ist nicht leicht, sich einer Person zu nähern, über die so viel geschrieben wurde, obwohl sich bislang nur eine Handvoll Leute tatsächlich mit den Prozessakten des Falles Oppenheimer beschäftigt hat“, schreibt Raquel Erdtmann im Nachwort zu ihrem im April beim Steidl Verlag veröffentlichten Buch „Joseph Süßkind Oppenheimer. Ein Justizmord“.

Interesse blieb lange gering

Tatsächlich waren die Prozessakten des Falles bis 1918 unter Verschluss. „Sehr groß war und ist das Interesse bis heute nicht“, schreibt Erdtmann. Zwar hatte nur wenige Jahre später Lion Feuchtwanger diesen historischen Justizmord in seinem Roman „ Jud Süß “ (1925) bereits verarbeitet, ebenso wie die Historikerin und Judaistin Selma Stern (" Jud Süß . Ein Beitrag zur deutschen und zur jüdischen Geschichte ", 1929/1973), während die Nazis für ihren gleichnamigen antisemitischen Propaganda-Film des Jahres 1940 wohl eher Wilhelm Hauffs Novelle „ Jud Süß “ (1828) als Vorlage missbraucht haben sollen.

Doch erst Anfang der 1990er Jahre hatte sich der im Februar verstorbene Historiker Hellmuth G. Haasis über zwei Jahrzehnte intensiv mit den Prozessakten und weiteren Originaldokumenten befasst und mehrere Bücher zum Thema veröffentlicht, so auch die Biografie „ Joseph Süß Oppenheimer , genannt Jud Süß . Finanzier, Freidenker, Justizopfer“ (1998).

Akten vermitteln einseitiges Bild

Inzwischen ist wieder eine Generation vergangen. „Es liegt in der Natur der Sache, dass sich jede Generation aus ihrem eigenen Blickwinkel und mit dem eigenen Gepäck der Geschichte nähert“, betont Erdtmann nun ausdrücklich im Nachwort. Als gelernte Journalistin hat sich die erfahrene Gerichtsreporterin für ihre historische Spurensuche durch acht Meter Archivbestand gearbeitet. Doch „eine gewisse Unschärfe bleibt“, sichert sich die Autorin vorsorglich ab: Auch die originalen Prozessakten vermitteln nur „ein gefärbtes, ganz und gar einseitiges Bild“, verfasst vom mehrheitlich aus Gegnern Oppenheimers zusammengesetzten Gericht.

Oppenheimer passte sich nicht an

Als Ergebnis ihrer Recherche schildert Erdtmann nun das überaus erfolgreiche Leben des ungewöhnlich intelligenten und selbstbewussten Joseph Süß Oppenheimer , der aufgrund seiner geistigen und kaufmännischen Überlegenheit sich für Juden damaliger Epoche ungebührliche Freiheiten herausnimmt, die ihn sowohl bei seinen Glaubensgenossen, erst recht aber bei den Christen im kleinstaatlichen, bürgerlich strukturierten Württemberg hochmütig und arrogant wirken lassen.

Vom katholischen Herzog gefördert, schafft sich der unangepasste Oppenheimer durch sein den Christen gleiches barockes Auftreten nicht nur bei den im Ghetto lebenden Juden, sondern durch seine allzu revolutionären Staatsreformen auch im protestantischen Ständestaat nur Feinde und Neider. Deshalb sagen selbst seine Nutznießer vor Gericht später gegen ihn aus – auch um angesichts allgemeiner Rachegelüste ihre eigene Haut zu retten.

Keine Deutungsversuche

Erdtmann vermeidet literarische Interpretationsversuche, hält sich strikt an Fakten und Original-Zitate, stellt manche einander gegenüber, um deren Aussage zu bestätigen oder Widersprüche aufzuzeigen. Interessant sind dabei nicht nur ihre Ergänzungen über das Leben der Juden und ihre gesellschaftliche Stellung im 18. Jahrhundert, sondern auch die Einschübe aus alttestamentarischen und jüdischen Schriften, als deren Kennerin sie sich schon 2014 mit ihrem Kinderbuch „Die Geschichte von Purim. Das Buch Esther“ erwiesen hat.

Auch für Nicht-Historiker spannend

Das Buch „Joseph Süßkind Oppenheimer. Ein Justizmord“ ist eine Mischung aus historisch interessanter Biografie über Aufstieg und Fall eines überaus ungewöhnlichen Mannes, zugleich aber auch eine spannende Gerichtsreportage, durch die wir viel über das württembergische Justizsystem im 18. Jahrhundert erfahren. Raquel Erdtmann ist es auf nur 270 Seiten vorbildlich gelungen, die Vielzahl historischer Fakten und Zitate zwar sachlich korrekt, dennoch in einem lockeren, teilweise sogar schnoddrigen Ton zu einer auch für Nicht-Historiker leicht lesbaren und spannenden Lektüre werden zu lassen.

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Informationen zum Buch:

Raquel Erdtmann: „Joseph Süßkind Oppenheimer. Ein Justizmord“, Steidl Verlag, gebunden, 272 Seiten, Preis: 24 Euro, ISBN ‎978-3969993262

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