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Bad Kissingen
Endlich einen Schlussstrich ziehen
Nach einem Wildunfall fanden sich drei Beteiligte plötzlich wegen versuchten gemeinschaftlichen Betrugsauf der Anklagebank wieder. Und obwohl alle drei ihre Unschuld versicherten, zahlten zwei am Ende für die Einstellung des Verfahrens.
Wildunfall ja oder nein, das war jetzt  die Frage vor Gericht in Bad Kissingen. Ihr Vertrauen in einen Versicherungsmakler kam jetzt zwei Unfallbeteiligte teuer zu stehen. Einmal mehr wird deutlich: Bei Wildunfall immer die Polizei rufen.Susann Prautsch/dpa       -  Wildunfall ja oder nein, das war jetzt  die Frage vor Gericht in Bad Kissingen. Ihr Vertrauen in einen Versicherungsmakler kam jetzt zwei Unfallbeteiligte teuer zu stehen. Einmal mehr wird deutlich: Bei Wildunfall immer die Polizei rufen.Susann Prautsch/dpa
| Wildunfall ja oder nein, das war jetzt die Frage vor Gericht in Bad Kissingen. Ihr Vertrauen in einen Versicherungsmakler kam jetzt zwei Unfallbeteiligte teuer zu stehen.
Kerstin Väth
 |  aktualisiert: 17.08.2022 11:15 Uhr

Es war ein Wildunfall, wie er täglich in der Zeitung steht. Ein 55-jähriger Autofahrer trifft in der Abenddämmerung auf eine Wildschweinrotte, die die Fahrbahn quert, und rutscht beim Ausweichversuch in den Graben. Er ruft seine Tochter herbei, seinen Versicherungsmakler und den zuständigen Jagdpächter. Letzterer zieht den Unfallwagen aus dem Graben, und ein Abschleppfahrzeug bringt ihn auf den Hof einer Werkstatt. Einen Zeugen , der anhält um seine Hilfe anzubieten, schickt der Verunglückte weiter. Schaden: Rund 7300 Euro. Das war vor fünf Jahren.

Jetzt standen der Unfallfahrer , der Jagdpächter und der Helfer, der den Lichtkegel des Unfallautos und die Wildschweinrotte gesehen hatte, vor Gericht und mussten sich wegen versuchten gemeinschaftliche Betrugs beziehungsweise Beihilfe dazu verantworten. Zwei Familienväter, davon einer Dachdecker und Landwirt, einer Bauunternehmer, sowie ein Rentner. Was für den einen "als Jagdpächter Routine" war ("ich bekomme im Jahr 15 bis 20 solcher Anrufe wegen eines Wildunfalls") und den anderen zutiefst betrübte, weil er als Betrüger hingestellt wurde, war für die Staatsanwaltschaft Vortäuschung eines Wildunfalls.

Folgeverfahren

Ins Rollen gekommen war der aktuelle Fall, nachdem "die Machenschaften des Versicherungsmaklers" - so der Staatsanwalt - ans Tageslicht kamen. Der 36-jährige Finanzmakler aus dem Kreis Bad Kissingen wurde 2016 in einem vorausgegangenen Verfahren zu zwei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, ein 51-jähriger Kfz-Meister aus dem Kreis Schweinfurt zu einem Jahr und drei Monaten, jeweils auf Bewährung. Beiden legte das Schöffengericht rund 20 Fälle gemeinschaftlich begangenen Versicherungsbetrugs zur Last.

Auf dem Laptop des verurteilten Maklers fand die Polizei auch den Email-Verkehr zu besagtem Wildunfall. Die Rechnungen dazu hatte die Versicherung zum großen Teil nicht beglichen, wegen Widersprüchen, die auch bei den Ermittlungen der Polizei sowie im zivilrechtlichen Verfahren zutage kamen. 2017 wurde Anklage erhoben, 2018 folgte der Strafbefehl. Im Mai 2019 wurde das Hauptverfahren eröffnet und nach etlichen Anläufen war die Richterin nun "froh, dass es heute endlich klappt".

Zu gutgläubig?

Offenbar hatte der Versicherungsmakler, bei dem sowohl der Unfallfahrer als auch der Jagdpächter sowie dessen Firma ihre Versicherungen abgeschlossen hatten, im Namen der Beschuldigten Anträge formuliert und Bescheinigungen handschriftlich ergänzt, zumal der Verunglückte seinem Makler vertraute und alles unterschrieben hatte. Das wurde ihnen jetzt zum Verhängnis.

So stand auf der Wildunfallbescheinigung der Jagdpächter hätte Blut und Borsten am Wagen festgestellt. Nach eigenen Angaben fand er jedoch nur Borsten und lediglich am nächsten Tag bei der Nachsuche Schweiß in der Nähe, von dem er nicht sicher sagen konnte, dass er von dem Unfall stammte. Das stand auch so in der Email an den Versicherungsmakler und das habe er auch so zu Protokoll gegeben.

Ausschlaggebend war für die Richterin jedoch, dass der Gutachter, der das Fahrzeug drei Tage später an der Werkstatt unter die Lupe nahm und der ebenfalls als Zeuge geladen war, keine Wildspuren feststellen konnte. Und die gebe es normalerweise immer, sonst handele es sich um einen Wildausweichunfall. Auch der Hinweis des Verteidigers, selbst Jäger und Sachverständiger, dass es ja schließlich unterschiedlich starke Schäden bei Wildunfällen gebe und dass es geregnet habe, überzeugte das Gericht nicht.

Keine Dokumentation oder Polizei

Fotos gab es leider keine. Auch hier wunderte sich die Richterin, dass der Versicherungsmakler nicht darauf hingewiesen hatte, wenn er schon vor Ort gewesen sei. Die Polizei hatte der Verunglückte nicht gerufen, weil "meine Frau ein Jahr vorher fast an der gleichen Stelle einen Wildunfall hatte und da ist die Polizei nicht gekommen".

Darüber hinaus gab es verschiedene Datumsangaben. "Da wurde am 15.9.2015 frühs die Versicherung informiert, obwohl erst abends der Unfall passiert sein sollte", legte ein als Zeuge geladener Polizist dar. Ein Zeuge , der beim Abschleppen geholfen hatte, konnte jedoch belegen, dass sich der Unfall am Abend des 14.9. zugetragen hatte, weil er von einer Versammlung weggerufen worden war. Der Verteidiger eines Angeklagte hielt die unterschiedliche Datierung damit schlichtweg für ein menschliches Versehen. "Außerdem: Wenn man einen Unfall absprechen will, ist doch wohl das Dümmste, was passieren kann, dass man ein unterschiedliches Datum angibt", sagte er. Das spreche seiner Meinung nach gerade dafür, dass der Unfall nicht abgesprochen war. Doch auch davon wollte das Gericht nichts wissen.

Das Wetter stellten alle, die sich erinnert konnten, als nass beziehungsweise nieselig dar. Lediglich der Auszug des Deutschen Wetterdienstes , den der ermittelnde Polizist angefordert hatte, sprach von trockenem Wetter. Allerdings stand da auch Oktober statt September. Damit war unklar, ob der Auszug verwendbar ist. Für den Verteidiger ein weiteres Beispiel dafür, dass dort wo Menschen sind Fehler passieren.

Zu viele Ungereimtheiten?

Dem Gericht reichten die Aussagen der fünf Zeugen offenbar. "Menschen können sich irren, aber das sind schon viele Zufälle", sagte die Richterin. Noch vor der Aussage des sechsten Zeugen , der Versicherungsmakler, bot sie den drei Angeklagten die Einstellung des Verfahrens gegen Geldzahlung an, weil "sie ja schließlich nichts davon hatten", wie sie feststellte. Das hatte sie bereits vor zwei Jahren getan. Doch damals lehnten die Angeklagten ab, denn das sei für sie ein Schuldeingeständnis und sie hätten schließlich nichts getan. Und auch jetzt stand ihnen die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben. Für den Jagdpächter war es "eine Katastrophe, dass er hier überhaupt sitzt". Die Jagd sei für ihn ein wichtiges Hobby; "wenn hier was gelaufen ist, dann ohne mich, ich hatte nichts davon, sowas würde ich nie machen!"

Auch sein Verteidiger war sicher: "Der Makler ist sehr überzeugend, der hat meines Erachtens so viele reingerissen, das ist verrückt". Der Staatsanwalt hingegen hielt das Angebot für gut und auch die Richterin machte deutlich, sie habe kein Problem damit "die Angeklagten heute zu verurteilen".

Und so überzeugten die beiden Verteidiger dieses Mal ihre Mandanten zu zustimmen. Lediglich der dritte, der nur helfen wollte, verweigerte die Zustimmung. Seine damalige Lebensgefährtin habe seine Zeugenaussage aufgeschrieben, weil sie eine schönere Handschrift habe und er habe unterschrieben. Dafür dass er helfen wollte, bezahle er bestimmt nicht, blieb er hartnäckig. Auf Vorschlag eines Verteidigers stellte die Richterin das Verfahren gegen ihn wegen geringer Schuld ohne Zahlung ein.

Zusätzliche Anklage

Der Jagdpächter, der zusätzlich wegen einer Scheibenreparatur eines Lkw in der Firma seiner Eltern angeklagt war, die er später übernahm und die der Versicherungsmakler offenbar doppelt abgerechnet hatte, muss nun 750 Euro bezahlen. Der Unfallfahrer , der eigenen Angaben zufolge bereits über 12 000 Euro für die Auto-Reparatur und Anwalts- sowie Gerichtskosten bezahlt hat, muss 1500 Euro entrichten. Er war sichtlich verzweifelt: "Heute früh habe ich noch an die Gerechtigkeit des Staates geglaubt", sagte er nach dem Verfahren. Doch am Ende wollten die Beschuldigten nur eines: "Endlich einen Schlussstrich unter das ganze ziehen!"

 
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