
Heidi Kirchners Dessous-Paradies in der Ludwigstraße in Bad Kissingen der Anlaufpunkt für Frauen, die professionelle Beratung und erstklassige Qualität für ihre Unterwäsche suchen. Dass sie Ende des Jahres ihr „Dessous-Paradies“ in der Bad Kissinger Ludwigstraße schließt, hat sich mittlerweile unter den Kundinnen herumgesprochen. Reaktion: Für viele ist es ein Schock. Denn so etwas wie das Miniaturgeschäft gibt es wohl kein zweites Mal in der sehr weiten Umgebung.
Im Dezember 2024 wird Heidi Kirchner 82 Jahre alt wird, das ist ihr nicht anzusehen. „Gute Gene“, schmunzelt sie, ihre Mutter – die Schuberts Lotte, Wirtin der gleichnamigen früheren Weinstube – wurde 102.
Kissinger Kind aus der Weinstube Schubert
Aus der traditionsreichen Weinstuben-Familie kommt sie, sie war die Jüngste von vier Kindern. Dem Ältesten, Otto, wurde die Weinstube vererbt. Und Heidi konnte sich mit 37, als sie schon Mutter zweier erwachsener Buben war, selbstständig machen. Sie eröffnete zunächst 1980 in der Badgasse das Geschäft „Mieder-Mode“, nach vier Jahren zog sie in die Kirchgasse und blieb dort 20 Jahre. Als der Laden aus allen Nähten zu platzen drohte, packte sie BHs , Badeanzüge , Bademäntel und Slips und zog in die Ludwigstraße.
Und hier, im „Dessous-Paradies“, zieht sie seit 20 Jahren Mädchen und Frauen an, „teilweise kommen jetzt die Enkelinnen meiner ersten Kundinnen“. In dieser Zeit florierte das Geschäft. „Aus dem ,Steigenberger‘ kamen viele Kundinnen“, erinnert sie sich, mit dem Niedergang des Fünf-Sterne-Hotels fielen diese Frauen weg.
Teurer, aber umso haltbarer und exklusiver
Wer nun glaubt, nur die Reichen leisteten sich ihre Produkte, der irrt. Ja, selbstverständlich sind Marken wie Fürstenberg, Maryan Mehlhorn, Marie Jo oder Prima Donna hochpreisiger als BHs und Slips aus dem Kaufhaus. Aber die Kundinnen kamen und kommen von weit her, um sich formschöne, passgenaue, wilde, bunte oder romantische Mode für drunter bei ihr zu besorgen, BHs , die zwar um die 100 Euro kosten, dafür aber nach fünf Jahren noch immer fast aussehen wie neu. „Meine weiteste Kundin kommt aus New York. Sie hat familiäre Wurzeln hier, wenn sie da ist, deckt sie sich ein“, erzählt Heidi Kirchner.

Doch all die schönen Büstenhalter wären nichts ohne die Beratung von Heidi Kirchner und ihren vier Mitarbeiterinnen. Kerstin Fehr zum Beispiel unterstützt Heidi Kirchner schon seit knapp 30 Jahren, später hinzugekommen und geblieben sind Waltraud Reith, Michaela Beck und Irmgard Söder.
Die Brüste vermisst sie schon mit den Augen
„Viele Frauen wissen immer noch nicht, welche Größe sie haben“, erzählt Heidi Kirchner. Oft kämen die Frauen in den Laden und sagen im Brustton der Überzeugung, sie hätten eine 75-C-Größe. Für Männer sei hier angemerkt: Ex-Super-Modell Heidi Klum sagte in einem Interview, sie trage eine 80-D. „75-C, die hatten wir alle mal“, schmunzelt sie dann. Erst mit dem richtig passenden Stück auf der Haut bemerkten die Frauen, um wie viel wohler sie sich fühlen und um wie viel besser sie angezogen sind.
Heidi Kirchner braucht kein Maßband, um die richtige Größe herauszufinden. Nach 44 Jahren reicht ein Blick, auch auf die noch angezogene Kundin: Hier eine 95-E, dort 100-D, 75-F – und sie hat die Größen da.
Immer individuelle Beratung
Jede ihrer Kundinnen, sagt die 81-Jährige, sei ihr Aushängeschild. „Ich kann keine Frau aus dem Laden lassen, bei der ich sehe, dass ihr beispielsweise die Farbe des Badeanzugs nicht steht“, bekennt Heidi Kirchner. So direkt ist und war sie natürlich nie, auch wenn man ihr eine gewisse resolute Art nicht absprechen kann. „Ich bitte sie dann, das gute Stück in einer anderen Farbe zu probieren“ – und am Lächeln der Kundin sieht sie, dass die Frau nun wirklich zufrieden ist, weil sie das Ergebnis auf ihrer Haut, in ihren Augen sehen kann. „Unsere Kundinnen gehen glücklicher aus dem Laden, als sie hineingekommen sind.“
"Wir haben Schweigepflicht"
Bei der BH-Anprobe entsteht immer Nähe, entsteht Intimität. Plötzlich stehst du halbnackt vor einer Fremden. Doch Heidi Kirchner ist von der mütterlichen Sorte. Ihr fachfrauliches Zugreifen - hier den Träger lockern, dort einen Haken verstellen - fühlt sich normal und selbstverständlich an. Von vielen Kundinnen kennen sie und ihre Mitarbeiterinnen die Lebensgeschichte, „wir sind Anwältinnen, Ärztinnen, Psychologinnen und haben Schweigepflicht“, sagt Heidi Kirchner. Was in der Kabine gesprochen wird, bleibt in der Kabine: Gespräche über Krebsoperationen oder Brustvergrößerungen etwa.
Natürlich kaufen auch Männer ein. Apropos: Wenn die früher nach der Größe der Brust der Frauen gefragt wurden, die sie beschenken wollten, formten fast alle hilflos ihre Hände zu Körben. „Jetzt sind sie cleverer“, lacht Heidi Kirchner, „jetzt fotografieren sie die Größe am alten BH ab.“
Martin Raussau von "Waltraud und Mariechen" Stammkunde bei "Schlüpfer-Heidi"
Im Laden bleibt auch, wenn Frauen gestehen, dass sie ein wirklich erotisches Stück für den geheimen Lover suchen. Oder auch, wenn Männer für sich selbst einkaufen, weil sie sich in Damenwäsche schön finden. „Natürlich gibt es die. Nur findet dann hier keine Anprobe statt“, zu irritierend wäre es für die meisten Kundinnen, wenn aus der Kabine plötzlich ein Mann käme. Ein Mann aber kauft regelmäßig und voller Freude bei ihr ein: Martin Rassau, die „Waltraud“ im Duo mit Volker Heißmann, der das „Mariechen“ mimt. „Der sagt immer, dass er jetzt zu ,seiner Schlüpfer-Heidi‘ einkaufen geht, wenn er für seine Kostüme was Gutes und Hochwertiges für untendrunter braucht“, kichert Heidi Kirchner.

Wie viele Brüste sie im Laufe ihres Lebens gesehen hat, kann sie beim besten Willen nicht sagen. Und keine Frau hat sich wegen dieser Blicke beschwert – im Gegenteil. Denn dank ihres kritischen, fachkundigen und immer auch ein wenig mütterlichen Blicks gehen Frauen mit einem guten Gefühl aus ihrem Geschäft.

Am 31. Dezember wird Heidi Kirchner, die Institution für Intimes, zum letzten Mal ihr Geschäft öffnen. Bis dahin möchte sie es ausverkauft haben. Viele edle Teile sind schon jetzt teilweise um 50 Prozent reduziert. Warum lief in den letzten Jahren das Fachgeschäft nicht mehr? Sie zuckt resigniert die Schultern. „Damit Fachgeschäfte laufen, müssen Kunden dort auch einkaufen“ – so einfach ist die Rechnung, die in Zeiten des Online-Handels aufgemacht wurde. Die Verlierer sind, einmal mehr, die kleinen Fachgeschäfte.
Nach ausführlicher Beratung ins Netz
„Ja, es gibt auch Frauen, die beraten wir sehr lange. Und die sagen uns dann tatsächlich, dass sie sich den BH jetzt im Internet bestellen“, sagt Kerstin Fehr. Das könnte man Beratungsdiebstahl nennen. Was sie sehr versöhnt: „Wenn ich mit Handschlag verabschiedet werde und sich die Kundin für die gute Beratung bedankt. Das macht mich dann auch glücklich“, sag sie lächelnd.
Heidi Kirchner freut sie sich vor allem ab Januar auf eins: „Dass mir noch viel Zeit bleibt, die ich jetzt mit meinem Mann, meinen Söhnen und Enkeln genießen kann. Und ich möchte wie meine Mutter 102 werden und wie sie auch noch einen Schoppen genießen dürfen.“