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Bad Kissingen
Älteste Buchhandlung feiert 140-jähriges Bestehen
Ungewöhnliche Jubiläumsfeier mit kaiserlichem Gast in Bad Kissingen: Asfa-Wossen Asserate zeigt in seinem Buch typisch Deutsches und seine Liebe zu seiner zweiten Heimat auf.
Buchvorstellung zum Jubiläum       -  Prinz Asfa-Wossen Asserate bei seiner Lesung im alten Solereservoir in der Salinenstraße.
Foto: Sigismund von Dobschütz | Prinz Asfa-Wossen Asserate bei seiner Lesung im alten Solereservoir in der Salinenstraße.
Sigismund von Dobschütz
 |  aktualisiert: 23.10.2024 02:47 Uhr

Seit 140 Jahren besteht die älteste Buchhandlung Bad Kissingens, die seit 2018 unter dem Namen „seitenweise. Die Buchhandlung“ in der Ludwigstraße 21 firmiert.

Aus Anlass dieses für diese Branche seltenen Jubiläums hatte sich Inhaberin Claudia Bollenbacher am vergangenen Freitag mit dem zum Eigenheim restaurierten Solereservoir an der Salinenstraße nicht nur einen ungewöhnlichen Veranstaltungsort ausgewählt, sondern mit dem deutschen Unternehmensberater und Autor Dr. Asfa-Wossen Asserate (75) sogar einen Prinzen der einstigen äthiopischen Kaiserfamilie als Ehrengast zum Vortrag eingeladen.

Asserate las vor 25 geladenen Gästen Auszüge aus seinem neuesten Buch „ Deutsch vom Scheitel bis zur Sohle“ und ließ in der anschließenden Fragerunde seine Zuhörer an seinen Erfahrungen aus 35-jähriger Beratertätigkeit in deutsch-afrikanischen Beziehungen teilhaben: „Wir müssen unsere Verschiedenheit in der Einheit leben.“

Vielen noch als "Reinisch" bekannt

Eigentlich ist die renommierte Buchhandlung in der Ludwigstraße sogar schon 150 Jahre alt, wurde sie doch bereits zehn Jahre lang als Filiale der in Meiningen ansässigen Verlagsbuchhandlung Brückner & Renner geführt, bevor sie am 1. Januar 1884 von Filialleiter Otto Levin „für eigene Rechnung weiter geführt“ wurde, wie die Kundschaft damals informiert wurde.

Buchvorstellung zum Jubiläum       -  Gründungsanzeige der Bad Kissinger Buchhandlung Otto Levin vom 1. Januar 1884.
Foto: Sigismund von Dobschütz | Gründungsanzeige der Bad Kissinger Buchhandlung Otto Levin vom 1. Januar 1884.

Sein Sohn Rudolf übernahm das Geschäft als Buch-, Kunst- und Musikalienhandlung mit Antiquariat . Viel mehr über die weitere Geschichte der Buchhandlung ist heute kaum noch zu erfahren.

Bis heute ist das Geschäft bei vielen Alteingesessenen immer noch unter dem Namen Reinisch bekannt, wurde es doch über Jahrzehnte von Isolde Worjahn-Reinisch und anschließend von Viktor Reinisch geführt.

"seitenweise" seit 2018

Ihm folgte Christel Buschmann-Rompf als Inhaberin, bis schließlich Claudia Bollenbacher im Januar 2018 das Ladengeschäft übernahm und nach kurzer Renovierung am 17. Februar unter dem Namen „seitenweise. Die Buchhandlung“ wiedereröffnete.

Nach ihrem Studium der Theaterwissenschaften, Geschichte und Amerikanistik in München begann Bollenbacher, die schon als Fünfjährige lesen konnte und fortan alles Gedruckte las, was ihr in die Hände fiel, ihre Berufslaufbahn rund ums Buchgeschäft zunächst als Einkäuferin bei Karstadt , wechselte dann als Filialleiterin zur Buchhandelskette Thalia, wo sie schließlich den Zentraleinkauf übernahm.

Die nächsten Jahre war sie als Consultant selbstständig, arbeitete in Produktentwicklung und Veranstaltungsmarketing, bis sie sich schließlich entschloss, die renommierte „Buchhandlung Reinisch“ in der Ludwigstraße zu übernehmen.

Großneffe des letzten äthiopischen Kaisers

„Ich habe schon überall, in Buchgeschäften, Festsälen und Palästen gesprochen, aber noch nie in einem so urigen Ambiente“, bewunderte der 75-jährige Vortragsgast Asfa-Wossen Asserate den kleinen musealen Veranstaltungsraum im einstigen Solereservoir.

Sein zweites Kompliment galt Claudia Bollenbacher und ihrer Buchhandlung. „Es ist selten, dass man in Deutschland auf so alte private Buchgeschäfte trifft“, forderte der weltgewandte Autor etlicher Sachbücher zum Bücherkauf in diesen immer seltener werdenden Ladengeschäften auf.

Es waren unruhige Zeiten an Deutschlands Universitäten, in die Asserate, Großneffe des letzten äthiopischen Kaisers Haile Selassie , im Sommer 1968 geriet, als er aus Addis Abeba zum Studium nach Tübingen kam.

Familie ermordet und verhaftet

Zehn Jahre später promovierte er an der Universität Frankfurt . Inzwischen war 1974 der Kaiser in Äthiopien vom Militärregime gestürzt, Asserates Vater als hoher Regierungsbeamter ermordet und seine Mutter mit den übrigen Kindern ins Gefängnis gekommen.

„Ich war der einzige meiner Familie in Freiheit.“ Asserate war gezwungen, im deutschen Exil zu bleiben und nahm 1981 die deutsche Staatsbürgerschaft an.

„Ich war als fließend Deutsch Sprechender mit schwarzer Hautfarbe sicher ein Kuriosum“, erinnerte er sich schmunzelnd an jene Jahre. Integration, wie man sie heute kennt, gab es damals nicht.

„Aber ich war schon integriert, bevor ich nach Deutschland kam“, scherzte er. Als Kind war er von einem deutschen Kindermädchen erzogen worden - „Tante Vera hat in mir die Liebe zur deutschen Küche geweckt“ - und besuchte die Deutsche Schule bis zum Abitur .

Kritisch, ironisch und mit viel Liebe zur zweiten Heimat

In Asserates Büchern wird seine tiefe Liebe zur deutschen Kultur, zu den klassischen Dichtern und Denkern spürbar. „Die dunkle Geschichte Deutschlands hat die hellen Seiten leider aus dem Blick geraten lassen“, bedauerte der einstige Immigrant, der sich „Land und Leute durch die Lektüre kluger Bücher erschlossen“ hat, und ergänzt kritisch: „Der Hang der deutschen Selbstkritik gleicht einem Hang zur Selbstverfluchung.“

Doch seine Dankbarkeit und Liebe zu Deutschland hat ihn keineswegs blind gemacht.

Buchvorstellung zum Jubiläum       -  Cover des Buches 'Deutsch vom Scheitel bis zur Sohle' von Asfa-Wossen Asserate.
Foto: Sigismund von Dobschütz | Cover des Buches "Deutsch vom Scheitel bis zur Sohle" von Asfa-Wossen Asserate.

Kritisch, nicht selten auch ironisch geht er in seinem neuen Buch den „typisch deutschen“ Eigenheiten, Marotten und Klischees auf den Grund und schildert seine Beobachtungen in seiner „zweiten Heimat“: Alphabetisch springt er von der Autobahn zur Bratwurst, von der Freikörperkultur zum Gartenzwerg, von der Kehrwoche zur Kuckucksuhr und von der Waldeinsamkeit zum Zapfenstreich.

Seinen Vortrag schloss der Beobachter Deutschlands, der eingesteht, nach bald 60 Jahren „selbst zu sehr darin verstrickt“ zu sein, mit Selbstkritik: „Wir Deutsche sind manchmal zu treu.“

Informationen zum Buch: Asfa-Wossen Asserate : „ Deutsch vom Scheitel bis zur Sohle“, Verlag: Die andere Bibliothek, gebunden, 288 Seiten, Preis: 26 Euro, ISBN ‎978-3847720546

 

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