Im blau-weiß-gestreiften Hemd sitzt Georg Gilbergs-Schnarr auf einem dunklen Lederdrehstuhl. Hinter ihm die Bücherwand mit medizinischer Literatur, vor ihm der Schreibtisch mit Bildschirm, Terminkalender, Rosenstrauß und Buddha. Der Blick aus dem Fenster fällt auf die herbstlich gefärbten Hügel der Rhön. Seit vier Jahren ist der Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin ärztlicher Direktor im Rehazentrum Bad Bocklet (Landkreis Bad Kissingen).
Bis in die 90er Jahre war Georg Schnarr Wirt der „Waschküch“ und lebte in seiner Kneipe: wenn er nicht hinter dem Tresen stand, dann davor. „Es war eine wunderschöne Zeit“, sagt er heute über diese Phase. „Ich habe intensiv gelebt.“
Begonnen hat alles im Herbst 1977. Vier junge Würzburger bekamen von der Distel-Brauerei das überraschende Angebot, ein Lokal zu übernehmen. Nach nächtlicher Beratung fiel der Entschluss: Wir machen eine eigene Kneipe auf. Und anders als ähnliche Spinnereien löste sich diese im nüchternen Licht des nächsten Tages nicht auf, sondern wurde immer konkreter.
Wenig später übernahmen die vier Würzburger Peter Krones, Karl-Georg Rötter, Georg Schnarr und Werner Schwenkert die „Barbarossaklause“ in der Oberthürstraße und bauten sie zur Studenten-Kneipe um. Am Samstag, 15. April 1978, um 16 Uhr wurde „Die Waschküch“ eröffnet.
Kneipe mit Sportverein
Studentengerechte Preise, ein bisschen Kleinkunst und eine entspannte, lockere Atmosphäre – die Neu-Gastronomen verwirklichten in ihrer Kneipe das, was sie bislang in Würzburg vermisst hatten. Denn die Auswahl war in den 70er Jahren überschaubar: Die junge Szene verteilte sich im wesentlichen auf „Bundschuh“, „Pille“ und die Diskotheken „Caveau“ und „Studentenkeller“.
Der Kneipe „Waschküch“ folgte im selben Jahr der Sportverein. „Wir waren alle Sportler und wollten nicht nur rauchen und trinken,“ sagt Gilbergs-Schnarr. Also wurde der Verein „Sportfreunde Waschküch Würzburg von 1978 e.V.“ mit zunächst einer Basketballmannschaft gegründet. Auch dieses alternative Vereinsleben fehlte bislang in Würzburg und schnell wuchsen die „Sportfreunde Waschküch“ um Hand-, Volley- und Fußballmannschaften. Legendär waren die Turniere mit großen Feiern und das Kinderwagenrennen „3 x um die Waschküch“. Schorsch war nicht nur einer der Wirte, sondern trainierte auch erfolgreich die Basketballdamen.
Fürs Medizinstudium blieb da wenig Zeit. Wieviel Semester er studiert hat? „Keine Ahnung,“ sagt er. „Ich war 40, als ich das Examen gemacht habe und froh, dass mein Vater das noch erlebt hat.“
Doch bereut hat er seinen Umweg nie. Er habe ihm einen Gewinn an Menschenkenntnis gebracht und das Gefühl, nichts versäumt sondern viel ausgekostet zu haben: „Ich habe diese Jahre nicht verloren, sondern sie genossen.“ Heute genießt er das ruhige Leben auf dem Land mit seiner Frau Sandra, im eigenen Haus mit Garten, um den er sich kümmert. Sein Arbeitstag beginnt um 7 Uhr und macht ihm Spaß: Optimal sei die Tätigkeit als Chefarzt in der Reha-Klinik mit der in seiner eigenen Praxis zu vereinbaren. Gilbergs-Schnarr führt durch seine Räume im Eingangsbereich des Krankenhauses. Wenn er von Naturheilverfahren und Akupunktur erzählt, spürt man die Begeisterung für seinen Beruf.
In seiner Praxis behandelt er vorwiegend Schmerzpatienten, in der Klinik Menschen, die zur Prävention und Rehabilitation ins 400-Bettenhaus in Bad Bocklet kommen. „Das ist die Medizin, die ich immer machen wollte. Es passt zu 100 Prozent,“ sagt er.
„Die Waschküch“ passte irgendwann nicht mehr. Mitte der 80er Jahre fiel das Führungsteam auseinander. Peter Krones und Karl-Georg Rötter verfolgten ihre ursprünglichen Berufsziele und wechselten nach Studium und Kneipenzeit in den Journalismus. Werner Schwenkert ging seinen erfolgreichen Geschäften in München nach.
Schnarr studierte nun zügiger und machte 1989 Examen. Einige Jahre war er noch gleichzeitig Wirt und Arzt im Praktikum. 1992 ging er als Assistenzarzt nach Lüneburg. Die Ära „Waschküch“ war vorbei, die Kneipe wurde von den neuen Besitzern umgebaut und 1993 als „Standard“ neu eröffnet.
Würdiger Nachfolger
1995 begann Schnarr als Oberarzt an einer Kurklinik in Bad Kissingen. 1996 lernte er seine heutige Frau kennen, die er wenig später heiratete: Aus Schorsch Schnarr wurde Georg Gilbergs-Schnarr.
Mit seinen Freunden aus alten Zeiten hat der ehemals gesellige Szenegänger keinen Kontakt mehr. In Würzburg ist er noch ab und zu. Dann trinkt er auch ein Bier im würdigen Nachfolger seiner „Waschküch“. Unlängst wurde das „Standard“ in der Süddeutschen Zeitung als „beste Kneipe Nordbayerns“ gelobt.