Russlands Präsident Putin dreht den Gashahn immer mehr zu, die Lieferungen nach Europa sind seit letzter Woche um 40 Prozent gedrosselt worden, Deutschland ruft die Gaswarnstufe 2 aus. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will, dass für die Stromerzeugung weniger Gas verwendet wird und die Industrie spart. Bis die Gasspeicher wieder gefüllt sind - bis etwa Ende März 2024 - sollen Kohlekraftwerke stärker eingesetzt werden. Vom Klima-Minister zum Kohle-Minister - so hat sich das wohl kein grünes Mitglied ausgerechnet. Fragen dazu an die Hammelburger Staatsministerin Manuela Rottmann (Grüne).
Der Ausstieg aus der Kohlegewinnung zur Energieversorgung ist per Gesetz für 2038 festgelegt worden. Wie war das für Sie als Grüne, als das beschlossen wurde?
Dr. Manuela Rottmann : Ich halte sogar einen früheren Ausstieg aus der Kohleverbrennung für nötig und machbar. Deswegen hat sich die neue Regierungskoalition ja auch darauf geeinigt, dass der Ausstieg möglichst schon bis 2030 erfolgen soll. Das Datum 2038 war ein Kompromiss - aber ein über viele Jahre hart erkämpfter Kompromiss. Und als Signal, dass Deutschland, eines der wichtigsten Industrieländer, die Kohleverbrennung beenden wird, war der Beschluss von sehr großer Bedeutung.
Der Krieg Russlands gegen die Ukraine entwickelt sich mehr und mehr zu einem weltumspannenden Energiekrieg. Schon im März erwog Ihr Parteikollege Wirtschaftsminister Habeck, dass bei einem Gaslieferstopp aus Russland Kohlekraftwerkeweiter laufen könnten. Nun scheint es soweit zu sein, nachdem Russland den Gashahn auch für Deutschland weiter zudreht. Ausgerechnet ein Grüner reaktiviert die umweltschädlichen Kohlekraftwerke, um Gas zu sparen. Wie bitter ist diese Kehrtwende für Sie persönlich?
Bitter ist, dass wir in diese Situation geraten sind. Dass unsere Warnungen vor der steigenden Abhängigkeit von russischen Gasexporten nicht gehört wurden und wir die letzten Jahre nicht besser genutzt haben, vor allem auch zum Ausbau der Erneuerbaren. Wir müssen trotzdem so schnell wie möglich runter von der Verbrennung von Kohle, Gas und Öl. Deshalb halten wir an dem Ziel des Kohleausstiegs bis 2030 fest. Die Verlängerung der Laufzeiten einzelner Kohlekraftwerke ist ein Notnagel, den wir nutzen müssen, um Gasbedarfe kurzfristig zu ersetzen. Aber eine grundsätzliche Kehrtwende schließe ich aus.
Wie lange würde Deutschland im günstigsten Fall brauchen, um jetzt mit Tempo die Energiewende anzugehen? Wie lange würden wir brauchen, um uns mit Solarkraft, Wasserkraft oder Geothermie unabhängig zu machen?
Die Klimaziele der Bundesregierung sehen Klimaneutralität Deutschlands bis 2045 vor. Ich rechne eher damit, dass die Verschärfung des Konflikts um fossile Energieträger die Energiewende mittelfristig deutlich beschleunigen wird. Mein Vorgänger im Bundestag , Hans-Josef Fell , und Kreisrat Norbert Schmäling haben im Jahr 2020 schon eine Berechnung vorgestellt, wie eine vollständige Versorgung unseres Landkreises Bad Kissingen aus Erneuerbaren Energien bis 2030 gelingen kann. Seither sind schon wieder zwei Jahre vergangen, in denen vor Ort nicht viel passiert ist. Die Wende beim Strom erscheint mir sehr schnell erreichbar. Wir lösen dafür gerade im Bund die Bremsen. Den enormen Anteil, den Wind und Sonne heute zur Stromversorgung beitragen, hätten sich ja vor zwanzig Jahren selbst Optimisten kaum vorstellen können. Die größere Herausforderung sehe ich bei der Umstellung der Wärmeversorgung. Dafür müssen viele Hauseigentümer, viele Kommunen vor Ort tätig werden. Vielleicht brauchen wir auf dem Land dafür ganz neue Akteure und Instrumente, zum Beispiel Kreiswerke oder kommunale Sanierungs- und Contractinggesellschaften. Wir dürfen auch den Verkehr nicht vergessen. Dort werden die Klimaziele noch deutlich verfehlt.
Ich habe den Eindruck, dass es nur am Rand darum geht, für ein behagliches Zuhause der BürgerInnen im Winter zu sorgen. Der viel größere Druck scheint für die Politik zu sein, dass die Wirtschaft unüberhörbar Alarm schlägt. Heiligt hier der Zweck die Mittel? Mit Kohle gegen die Wirtschaftskrise? Die Frage: Ist das nicht reaktionär?
So einfach ist die Lage leider nicht. Es gibt in der Industrie viele gasbasierte Prozesse, die sich nicht kurzfristig durch andere Energieträger ersetzen lassen. Da geht es um die Herstellung von Medikamenten oder die Verarbeitung von Lebensmitteln. Bürger und Wirtschaft sind keine getrennten Sphären. Sondern die Wirtschaft stellt mit Gas Produkte her, die für Bürgerinnen und Bürger oft genauso unverzichtbar sind wie Warmwasser in der Wohnung.