
Eine rotzfreche Berliner Göre mit brillanter Stimme und ein Orchester, das unter ihrem Dirigenten Kai Tietje aufblüht, begeisterten mit Stücken, die vor knapp 100 Jahren als Gassenhauer die Stimmungen des damaligen Berlins widerspiegelten und deren Inhalte eigentlich die Zeit überdauerten. Die Stimme gehörte Katharine Mehrling, die mal schnoddrig, mal lasziv, mal makaber, mal melancholisch Lieder servierte, die aus der Feder von Kurt Weill stammten und von Kai Tietje für das Orchester der Komischen Oper Berlin arrangiert worden sind.
Anspruchsvolle Werke in schillernder Atmosphäre
„Achtung Aufnahme“ – so lautete die Botschaft von Intendant Alexander Steinbeis im Rahmen der Begrüßung zu einem „spannenden und vielseitigen Abend“, denn das Konzert wurde vom Bayrischen Rundfunk aufgezeichnet und wird zu einem späteren Zeitpunkt über BR-Klassik zu hören sein. Über das Radio kann man dann hören, was die Gäste im weiten Rund des Max-Littmann-Saals begeisterte – wobei sie auf den optischen Genuss des Abends verzichten müssen. Dieser bestand nicht nur in der ausdrucksstarken Bühnenpräsenz von Katharine Mehrling, die sich anfangs in violetter Abendrobe mit Beinschlitz, später im grünen Kleid vom schwarzgekleideten Orchester abhob, sondern auch die vielfarbigen Lichtarrangements sorgten bei jedem der 21 Stücke für eine stimmungsvolle Atmosphäre. Dies waren aber nur die passenden Rahmenbedingungen für Kurt Weills Stücke, die oft in kongenialer Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht entstanden sind und in den 1930er Jahren einen neuen „Songstil“ prägten, der anspruchsvollen Kompositionen im Stil populärer Melodien präsentierte und mit Ragtime-, Jazz- und Swing-Elementen oder orientalischen Klangwelten erweiterte. Kai Tietje verdichtete mit seinen Arrangements die jeweiligen Stücke, verstärkte damit die musikalischen Merkmale der Lieder und gab - dank der kraftvollen, vielseitigen Stimme und der hervorragenden Interpretation von Katharine Mehrling – den Liedern eine besondere Intensität und Aktualität.
Einmal durch die Berliner Nacht
Die Zusammenarbeit von Kurt Weill mit Bertolt Brecht prägte das Programm dieses Musiktheaterabends, der der Berliner Nacht mit ihren unterschiedlichen Figuren gewidmet war. Brechts „Die Dreigroschenoper “ stand im musikalischen Mittelpunkt des Konzertabends , der mit dem „Salomon-Song“ begann. Die dynamisch-fetzige „Ballade vom angenehmen Leben“ bereicherte den Abend ebenso wie die melancholische „Zuhälterballade“, dem bedrohlichen „Seeräuber Jenny“ oder der schlüpfrig-makabren „Ballade von der sexuellen Hörigkeit“. Die amerikanische Unter- und Halbwelt wird präsentiert mit Liedern aus Brechts Stück „Happy End“: Schmerzvolle Liebe im Swing-Rhythmus gibt es mit „Surabaya-Johnny“ oder der vom Bigband-Sound getriebenen „Ballade von der Höllen-Lili“ oder das scherzhafte Stück „Bilbao Song“ oder der „Song von Mandelay“, der aus den kraftvollen Synergieeffekten zwischen Katharina Mehrling und dem Orchester schöpfte. Nicht weniger spektakulär waren die Stücke, die aus „Der Silbersee“ oder dem „Berliner Requiem“ präsentiert wurden – so die sehr akzentuierte „Ballade vom ertrunkenen Mädchen“ oder die musikalischen Zwischenspiele, die die Qualität des Orchesters unter der feinfühligen Leitung von Kai Tietje unter Beweis stellten.
Ein abwechslungsreiches Programm
Als schnoddriges Liebeslied präsentierte sich „Der Abschiedsbrief“ nach einem Text von Erich Kästner , makaber-irritierend war dagegen das „Lied vom blinden Mädchen“ (Text: Günther Weisenborn) und wieder anders erging es den Gästen beim martialischen Stück „Und was bekam des Soldaten Weib“ (Brecht/Weill), als zum Ende der Witwenschleier übrigblieb. Orientalisch-jüdische Klänge gab es beim Stück „Ba´a M´nuche“, turbulent wurde es nochmals mit „Berlin im Licht“, das mit fetzigem Rhythmus die wilden 20er-Jahre zum Leben erweckte, und durch die „Moritat von Mackie Messer“, die Katharine Mehrling stimmgewaltig und in neun Sprachen präsentierte und die als Zugabe in einen stürmischen Applaus des begeisternden Publikums überleitete.
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