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BAD KISSINGEN
Eine Kissinger Institution sagt ade
Ingeborg Menge gibt auf: Ihr Kissinger Traditionsgeschäft Schreibwaren Rath schließt spätestens zum 30. September.
Foto: Sigismund von Dobschütz | Ingeborg Menge gibt auf: Ihr Kissinger Traditionsgeschäft Schreibwaren Rath schließt spätestens zum 30. September.
Von unserem Mitarbeiter Sigismund von Dobschütz
 |  aktualisiert: 12.06.2013 18:57 Uhr

Seit genau 50 Jahren steht Ingeborg Menge (71) als Inhaberin von Schreibwaren Rath hinter dem Ladentisch. Spätestens am 30. September hört sie damit auf. „Ich habe die Altersgrenze erreicht. Einen Nachfolger gibt es nicht.“ Deshalb hat sie schon im vergangenen Jahr das ganze Haus Marktplatz 6 an einen auswärtigen Immobilienmakler verkauft.

Haus unter Denkmalschutz

Eigentlich habe sie nie daran gedacht, Einzelhändlerin zu werden. Sie sei 1962 dazu überredet worden. Hundert Jahre zuvor hatte Carl Rath 1867 seine Druckerei und den Schreibwarenhandel gegründet. Nach wechselndem Geschäftssitz, so auch in den Räumen der heutigen Ludwigsapotheke und im Alten Rathaus, kaufte Rath vor der Jahrhundertwende den „dreigeschossigen verputzten Traufsteinbau mit Satteldach aus dem 18. Jahrhundert“, wie das denkmalgeschützte Gebäude amtlich beschrieben wird. Besonders auf die barocken Fensterrahmungen wird in der bayerischen Denkmalliste verwiesen.

Rath ließ das Erdgeschoss umbauen. Sein Geschäft florierte. Auf den Firmengründer folgte Tochter Ida als Inhaberin. Sie führte den Laden mehrere Jahrzehnte allein. Da sie aber keine Nachkommen hatte, kamen sie und der ihr freundschaftlich verbundene Steuerberater Adolf Burko auf die Idee, dessen Tochter Ingeborg solle als Mitinhaberin einsteigen. So geschah es. Ab Januar 1963 war Ingeborg Menge plötzlich Mitinhaberin des bekannten Schreibwarengeschäftes. Als Ida Rath 1980 starb, wurde sie alleinige Inhaberin.

Damals waren es noch gute Zeiten. Nicht nur Kissinger kauften bei Rath. Auch die Kur florierte, die Gästezahl wuchs. „Unsere beste Zeit waren die Jahre zwischen 1970 und 1985“, erinnert sich Menge. Danach wurde das Geschäft schwieriger. Eine neue Generation wuchs heran. Immer neue Artikel mussten ins Sortiment aufgenommen werden. „Wir brauchten das Neue, durften aber auf das Alte nicht verzichten.“ Der graue Leitz-Ordner aus hartem Karton wurde ebenso verlangt wie der modische pinkfarbene Plastikordner. Es wurde immer enger im Laden. Zu jener Zeit führte Schreibwaren Rath bis zu 30 000 verschiedene Artikel und hatte 150 000 Einzelstücke auf Lager. Viel zu viel, gemessen am rückläufigen Umsatz.

Schlimmer sei es dann nach der Gesundheitsstrukturreform ab 1996 geworden. Nachdem schon seit Jahren die Computer-Nutzung das umfangreiche Geschäft mit Formularen überflüssig gemacht hatte („Wir belieferten alle Büros und Amtsstuben mit Formularen.“), blieben jetzt auch noch die Kunden weg. Wäre Ingeborg Menge nicht Hauseigentümerin gewesen, hätte sie eine Miete für das Schreibwarengeschäft nicht mehr aufbringen können. „Früher waren 15 Mitarbeiter beschäftigt, heute sind es fünf, manche nur in Teilzeit.“

Unter diesen Bedingungen war es auch unmöglich, einen Nachfolger für das Geschäft zu finden. Die eigene Tochter hat als Informatikerin andere berufliche Interessen. Menge: „Ich hätte ihr auch abgeraten.“ Wer wolle sich heute noch auf tägliche Arbeitszeiten von 6.30 bis 23 Uhr einlassen, fragt Menge? An vielen Wochenenden habe sie auf Fachmessen gehen müssen. Außerdem: Die junge Generation kaufe im Internet. Diese Branche sei am Aussterben.

Füllfederhalter mit Namensgravur

Im Juni gibt Ingeborg Menge schon einen 30-Prozent-Rabatt auf alle Artikel, ab 1. Juli sogar 50 Prozent. Bis 30. September soll alles verkauft sein, möglichst noch eher. Danach wird es eine Familientradition in der Kurstadt nicht mehr geben: Viele Kissinger erinnern sich noch als Erwachsene an ihren ersten Füllfederhalter mit goldener Namensgravur, den sie einst zur Kommunion oder zur Konfirmation geschenkt bekamen. Die Eltern hatten ihn selbstverständlich bei Schreibwaren Rath gekauft.

 
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  • J. N.
    Stimmt - ich hatte auch so einen. Und der war - revolutionär in den 70ern! - nicht rot oder blau, sondern orange! grinsen

    Ja, Schreibwaren Rath war tatsächlich eine Institution. Ich erinnere mich noch sehr gut an die drangvolle Enge in dem kleinen Laden - da war's immer rappelvoll, besonders zu Schuljahresbeginn drückten sich die Leute fast tot, aber irgendwie kam man dann doch raus und hatte alles Gewünschte. Und es roch nach diesen Radiergummis mit Fruchtaroma.

    Früher gab's ja noch nebendran den "Adam", aber da war nie so viel los.
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