
Für ihr traditionelles Dreikönigskonzert hatten das Bayerische Kammerorchester Bad Brückenau und ihr Chefdirigent Sebastian Tewinkel ein Programm zusammengestellt, das neugierig machen konnte. Denn abgesehen von Wolfgang Amadeus Mozarts bekannter A-Dur-Sinfonie KV 201 zum Abschluss waren es drei Werke, die nicht unbedingt zum Standardrepertoire gehören, sich aber, nicht nur im Rückblick, auf jeden Fall lohnten, weil sie viel vermitteln können.
Den Auftakt machte die Streicherserenade e-Moll op. 20 des komponierenden Autodidakten Edward Elgar , die schon deshalb interessant ist, weil sie das erste Werk war, das der Komponist selbst für gelungen hielt. Darin finden sich viele Ideen aus früheren Arbeiten, aber auch Aspekte, die auf spätere Werke hinweisen. Die Brückenauer spielten die drei Sätze mit starker Expressivität zwischen Melancholie und Heiterkeit. Aber das eigentliche Verdienst war die analytische Spielweise, die die Musik so strukturierte, dass man ihren Entstehungsprozess ein bisschen nachverfolgen konnte, aber andererseits auch einen guten Gesamteindruck bekam.
„Glück im Pech“ hatten die Brückenauer bei dem zweiten Werk des Abends: „Les Illuminations“ op. 18 von Benjamin Britten nach Texten von Arthur Rimbaud . Denn die norwegische Sopranistin Berit Norbakken musste aus Erkältungsgründen kurzfristig absagen. Die Suche nach einer Einspringerin war heftig und zunächst erfolglos. Denn derzeit ist üblicherweise die eine Hälfte aller Sopranistinnen erkältet, und die andere Hälfte hat das schwierige Werk nicht drauf.

Ungewöhnliche Lösungen
Die Erlösung kam drei Tage vor dem Konzert in der Gestalt der 25-jährigen russisch-amerikanischen Sopranistin Erika Baikoff, die nach ihrem Studium an der Londoner Guildhall School und einer Blitzkarriere seit dieser Spielzeit Ensemblemitglied an der Münchner Staatsoper ist. Sie hatte nicht nur den Britten drauf, sondern sah auch kein Problem darin, in den verbleibenden zwei Tagen die große (und schwierige) Konzertarie „Ah. Lo previdi – Deh, non varcar“ KV 272 von Wolfgang Amadeus Mozart zu lernen, um das Programm nicht verändern zu müssen.
„Les Illuminations“ ist ein interessantes Werk, in dem sich zwei Lebensstationen treffen. Mit den neun Texten beendete Rimbaud seine dichterische Tätigkeit. Durchaus verständlich, denn was hätte er danach noch schreiben sollen? Er soll ja bei der Abfassung der zum Teil nur einsätzigen Gedichte schon ein bisschen unter Drogeneinfluss gestanden haben. Und wenn man sie liest, braucht man auch ein paar Pastis, um zur Sinnsuche aufzubrechen. Trotzdem wurden sie zu einem Orientierungspunkt der Surrealisten und Impressionisten. Auf der anderen Seite war Benjamin Britten am Beginn seiner Komponistenkarriere, der mit vielen Ideen experimentierte und ungewöhnliche klangliche und strukturelle Lösungen entwickelte.
Es war erstaunlich, welch differenzierte Emotionalität Erika Baikoff in diesen Texten und Wortspielereien fand und wie expressiv sie diese gestaltete, wie sie die Wörter zu Klangfarben machte. Und wie souverän sie mit den nicht geringen virtuosen Anforderungen umging. Man musste den französischen Text nicht unbedingt verstehen, um trotzdem höchst beeindruckt zu sein von ihrer Stimmkraft und Gestaltung. Die Interpretation war Genuss genug.
Ungemein klar und präzise
Das lag allerdings auch an dem Orchester, das ungemein klar und präzise die Brittenschen Experimente in Musik umsetzte, das verfremdete Klangfarben erzeugte – wann hört man in einem Streichorchester schon eine Trompete? – und Strukturen offenlegte. Eine durchaus denkwürdige Interpretation.
Ihren zweiten Auftritt hatte Erika Baikoff nach der Pause mit Mozarts Konzertarie „Ah. Lo previdi“. Der hat die in Mannheim für Aloysia Weber geschrieben – die er lieber geheiratet hätte als ihre Schwester Konstanze. Und wenn Mozart die Adressaten kannte, baute er gerne persönliche Schwierigkeiten ein, zum Beispiel gefährliche Intervallsprünge. Erika Baikoff konnte er damit nicht in Verlegenheit bringen; sie scheint keine technischen Probleme zu kennen. Und sie traf sich bestens mit Sebastian Tewinkels Konzept, die große Dramatik, die in dem Werk steckt, die Melancholie und das Aufbegehren auch wirklich zum Ausdruck zu bringen mit einem starken Vortrieb die starke Spannung zu erzeugen, in die Andromeda gerät, die einem Seeungeheuer geopfert werden soll.
Beeindruckende Einheit
Auch hier fanden Solistin und Orchester zu einer beeindruckenden Einheit. Als Zugabe sang Erika Baikoff das „Alleluja“ aus Mozarts Solomotette „Exsultate, jubilate“ mit mitreißendem Schwung.

Mozarts Sinfonie A-Dur KV 201 wirkte da im Vergleich geradezu wie ein gemütliches Ausschwimmen – zumindest zu Beginn, als sich die Musik mit charakteristischen Oktavsprüngen ins Bewusstsein schleicht, um allmählich aufzublühen. Das Orchester, jetzt um zwei Oboen und zwei Hörner erweitert und farblich verstärkt, musizierte absolut locker und leichthändig, aber auch mit einem sehr konturierten, aber dennoch weichen Klang, der vor allem den bekannten Andante-Satz zu einem Erlebnis machte. Der aber auch im rhythmisch pointierten Menuetto nicht verloren ging. Und der kurioserweise deutlich werden ließ, dass der junge Mozart trotz allem Schwung und aller Energie auch spannendere Schlusssätze geschrieben hat.
Als Zugabe sang (!) das Orchester den viersätzigen Chorsatz „An Irish Blessing“ – für einen Amateurchor höchst bemerkenswert. Aber wir wissen natürlich nicht, ob wirklich alle mitgesungen haben.