
Dass das Klavierduo Yaara Tal & Andreas Groethuysen zu den besten seiner Zunft gehört, hat sich herumgesprochen. So war es nicht erstaunlich, dass sie bei ihrem (zweiten) Kissinger-Sommer-Auftritt in einem ausverkauften Rossini-Saal spielten. Was auch ein bisschen an dem Programm lag: Schubert zu vier Händen zieht immer, und fast noch mehr das große Oktett op. 20 von Felix Mendelssohn-Bartholdy – freilich in ungewohnter Form.
Nicht für die großen Podien gemacht
Franz Schuberts Six Grandes Marches et Trios D 819, von denen Tal & Groethuysen die Märsche Nr. 1 Es-Dur und Nr. 2 g-Moll spielten, sind durchaus unterhaltsam. Und so waren sie auch von Schubert gedacht. Er schrieb sie nicht für die großen Podien, sondern zur Unterhaltung und Belustigung der Freunde bei den häuslichen „Schubertiaden“. Die flossen ihm aus der Feder, da musste er nicht lange grübeln und im Tiefsinn schürfen. Trotzdem nahm das Duo – und das galt auch für das ebenso unterhaltsame Rondo A-Dur D 951 – diese Musik absolut ernst, spielte mit größter Genauigkeit und rhythmischer Gewichtung der Märsche im Kontrast zu ihren Trios und mit klarer Differenzierung der Rondo-Teil. Aber das Schöne war, dass diese Gebauigkeit den Märschen den Märschen auch eine Prise Ironie abluchste.
Kraftvolle Darbietung
Bei der Fantasie f-Moll D 940, seinem größten und wichtigsten Werk für vier Hände, meinte es Schubert ernst: Da kamen die Emotionen ins Spiel. Nach der berühmten lrischen, leicht melancholischen Einleitung mit ihrem Rufmotiv, die schon ein bisschen drängte, entwickelte sich, befeuert durch ein zweites, kämpferisches Thema, eine hochdramatische Auseinandersetzung, die immer wieder in kraftvollen Ausbrüchen kulminierte, dazwischen aber immer wieder Raum gab für Nachdenklichkeit – aber nie lange. Die Gestaltung war absolut schlüssig mit prägnanten Spannungsbögen und konzeptioneller Klarheit. Und dann, kurz vor Schluss die höchst spannende Generalpause, die einer Wiederkehr des Anfangs den Rücken freihält: ein höchst versöhnlicher Schluss.
Quartett statt Oktett
Und dann das berühmte Mendelssohn-Oktett oder doppeltes Streichquartett . Das ist ein Werk, für das man Umwege macht, wenn es irgendwo aufgeführt wird. Nur wird es halt selten aufgeführt, weil es teuer ist, denn man braucht zwei Streichquartette , die sich auch noch mögen sollten. Jetzt stand das Werk im Rossini-Saal auf dem Programm, allerdings nicht in der Originalfassung, sondern in einer Bearbeitung für Streichquartett und Klavier zu vier Händen von Carl Burchard. Das muss ein ungemein fleißiger Mensch gewesen sein, der so gut wie nie seine Arbeitsstube verlassen hat. Denn über seine Biographie wissen wir heute so gut wie nichts: Er wurde 1818 oder 1820 in Hamburg geboren, lebte zumindest einige Zeit in Dresden - wir wissen das von einer von ihm unterschriebenen Honorarquittung - und starb 1896. Aber er hat ein immenses Werk hinterlassen: keine eigenen Kompositionen, aber lauter Arrangements für Klavier zu vier bis acht Händen von den großen Beethoven-Sinfonien bis zu kleinsten Kammermusiken – und immer mal wieder unter Hinzuziehung von weiteren Instrumenten. Wobei das nicht immer Verkleinerung bedeutete: Frédéric Chopins A-Dur-Polonaise pumpte er auf zu einem Spektakel für zwei Klaviere zu acht Händen.
Ensemble zeigte ein leidenschaftliches Spiel
Man hört analytischer, wenn man Bekanntes plötzlich in anderer Gestalt hört, sagt man. Für die Oktettbearbeitung galt das allerdings nur bedingt. Denn etwas Neues musste man schon deshalb nicht hören, weil die Inhalte und Strukturen in dem übrig gebliebenen Quartett ja noch vorhanden waren. Gut, es war plötzlich eine neue Klangfarbe im Spiel, aber besonders auffällig war das nicht. Das „Problem“ waren die vier Streicher: Lena Neudauer und Ayaka Uchio (Violine), Nils Mönkemeyer (Viola) und Wen-Sinn Yang (Violoncello) spielten, als wäre der Teufel hinter ihnen her: vier pure Lustmusiker, die wirklich miteinander spielten, sich provozierten und jagten – auch an extrem virtuosen Stellen, In ständigem Blickkontakt waren sie ganz bei sich. Das war ein durchaus mitreßendes Erlebnis. Die Opfer waren Yaara Tal & Andreas Groethuysen. Denn mit ihrer Spielweise marginalisierten die vier das Klavier, das im Hintergrund nicht immer gut zu hören war. Eigentlich schade, denn was man so hörte, klang höchst überlegt und substanziell passend. Andererseits war es ein großes Vergnügen, die vier derart engagierten Streichenden zu hören, die ganz nebenbei bewiesen, dass das Oktett als Quartett auch genügt hätte. Da fehlte nichts.
Als Zugabe spielte die Gruppe das wunderbare Adagio aus dem Sextett für zwei Violinen, Viola, Violoncello und Klavier zu vier Händen op. 100 von Salomon Jadassohn (1831 – 1902), einem Breslauer, der am Leipziger Konservatorium ein gesuchter Lehrer war. Bei diesem Satz wurde der Unterschied zu Burchards Mendelssohn deutlich: In dieser Originalkomposition konnte sich das Klavier bestens behaupten, weil es von Anfang an konzeptionell als eigenständig mitgedacht war.