Mit großer Intensität zeigte die Balletttruppe Dance Works Chicago, die beim 34. Theaterring der Stadt Bad Kissingen im Kurtheater zu Gast war, schon bei der ersten ihrer sieben Choreographien, dass sie anders sind als die vielen Kompagnien, die seit Jahrzehnten aus den USA kommen und die europäische Kulturszene bereichern.
Dance Works Chicago verzichten fast völlig auf jegliche Showeffekte, Requisiten, raffinierte Lichtregie und konzentrieren so die Aufmerksamkeit ihrer Zuschauer auf das Wesentliche: "Always Moving" ist die Devise der Gruppe von sechs Tänzerinnen und Tänzern. Aber wie intensiv dieses Prinzip der ständigen fließenden Bewegung wirken kann, zeigten sie schon bei "Nocturnal Sense" von James Gregg. Zu einem Medley aus Ausschnitten aus Sinfonien und langsamen, die Gefühlsklaviatur bedienenden, äußerst sinnlichen Arien von Antonio Vivaldi zeigten die sechs jungen Tänzer, was das Besondere an der Ästhetik der berühmten Gründer ihres 2007 gegründeten Ensembles ist.
Emotionen und Minimalismus
Julie Nakagawa und Andreas Böttcher, schon als Leiter des Lou Conte Dance Studios und Hubbard Street 2 seit Jahrzehnten bekannt, sind mit dieser jungen Truppe offenbar den Weg in die Intensivierung durch Reduzierung der Äußerlichkeiten und gleichzeitige Intensivierung der tänzerischen Ausdrucksmöglichkeiten gegangen. Dass sie dabei nicht bei barockem Wohlklang ausharren wollen, zeigt Greg Blackmons "Pack: And For All the Lost Ones" eine Elegie für einen plötzlich verstorbenen Kollegen zum verstörenden Song "All Alright" der isländischen Band Sigùr Ros.
Die Gegenüberstellung von hoher Emotionalität und musikalischem Minimalismus im Soundtrack geriet in der Darstellung der Tänzer zu einem berührenden Erlebnis mit sehr differenzierter individueller Gestaltung. In den ersten Nummern zwang die sehr zurückgenommene Beleuchtung zu großer Konzentration, in Joshua Manculichs "Scenic Route" wurde diese Art von Besinnung zur zentralen Aussage beim Übergang von lebhafteren Rhythmen von "Genesis" zu Claude Debussys "Clair de Lune", bei dem Tanz und Musik zu kongenialer Dichte verschmolzen.
Faszinierende Konstellationen
Ebenfalls von Joshua Manculich war die Choreographie zum Ende des ersten Teils, "The Rate In Which I Am", die von Dance Works Chicago nicht in der ursprünglichen Form als Solotanz, sondern in unterschiedlichen Formationen von allen sechs Tänzern in den gleichen dunkelroten Trikots in immer neuen faszinierenden Konstellationen zur Musik des Pianisten Dustin O'Halloren aus seiner auf seiner CD "Lumiere" getanzt wurde. Es gehört zum langjährigen Repertoire der Truppe und wurde 2013 von DWC uraufgeführt.
Direkt in die gegenwärtige Arbeit der jungen Tänzer aus Chicago führte Shannon Alvis' "Heartsong", ein Quartett aus zwei Tänzerinnen und zwei Tänzern, deren Einheit durch gleiche Kostüme betont wird, mit dem 2018 die Heimstätte der Dance Works im Ruth Page Center for the Arts in Chicago wiedereröffnet wurde. In der Gestaltung der vier wurde die minimalistische, aus intensiven rhythmischen Akzenten bestehende Musik der von Färöer-Inseln stammenden Band Kiasmus (zusammen dem deutschen E-Pianisten Nils Frahm) zu einer eindrucksvollen Demonstration kraftvollen und gleichermaßen sensiblen Gestaltens im zeitgenössischen Tanz.
Zwei erzählende Choreographien völlig unterschiedlicher Art standen am Ende des Programms. Den Anfang machte eine köstliche Neu-Gestaltung des klassischen Pas-de-deux vor dem Höhepunkt eines klassischen Ballettabends: In Harrison McEldowneys "Call the Whole Thing Off" tanzt ein Paar zur Musik von Sammy Cahn, Mose Allison und George und Ira Gershwin eine Art Mini-Musical-Nummer vom Streit eines Paares über das Zuspätkommen des Mannes, der sich in Entschuldigungen und Versöhnungsversuchen abzappelt und seiner zunächst mit Selbstbewunderung anlässlich eines neuen Kleides beschäftigten Frau, die den Partner erstmal abblitzen lässt und beschimpft, bevor sich die beiden dann natürlich doch zum einvernehmlichen Finale wiederfinden. Das war witzig choreographiert und wurde vom Publikum mit hörbar großem Amusement begleitet.
Ikone des Balletts
Auf diese fröhliche Parodie des Höhepunkts weihevoller Ballettabende im Stil des 19. Jahrhunderts vergriff sich Dance Works Chicago auch noch an einer der der Ikonen des klassischen Balletts. In "Swan" unterlegt Hanna Brictson in ihrer brandneuen Choreographie (Premiere 22. März 2019) Auszügen aus Tschaikowskis Ballettmusik "Schwanensee" Szenen und witzige Beobachtungen von Sportlern bei einer Olympiade. Sie lässt die sechs Tänzer Sierra Herrera, Jade Monet Hooper, Cameron Lasater, Racquel Mar, Elijah Richardson und Imani Williams in schneeweißen Trainingsanzügen und Stirnbändern sportlerische Selbstinszenierungen, kleine fiese Behinderungen für die Konkurrenten und pathetische Siegerposen zur Wiedererkennungsfreude des Publikums durchspielen.
Das Publikum staunt
Auch diese lange Passage lebte wieder vom Atem der ständigen und ständig neu gestalteten Bewegung, vom unermüdlichen Engagement Truppe und vom Staunen des Publikums angesichts des darstellerischen Variantenreichtums der Tänzer . Kein Wunder, dass die sechs Akteure erst nach vielen Verbeugungen und frenetischem Beifall des Publikums von der Bühne entlassen wurden.