Vor fünf Jahren war der Tenor Simon Bode das erste Mal beim Kissinger Sommer - damals mit dem Pianisten Nicolas Rimmer im Kloster Maria Bildhausen. Man wusste sofort, dass man sich den Namen würde merken müssen. Und man sah sich sofort bestätig, als er seitdem noch zweimal wiederkam, diese beiden Male mit Igor Levit als Klavierpartner .
Da boten die beiden im jedes Mal ausverkauften Rossini-Saal zwei Programme, die sich wunderbar und mitreißend gestalten lassen - wenn man es so kann wie die beiden: Franz Schuberts "Schöne Müllerin" und "Winterreise". Da wurde nicht das klassische Deutsche Kunstlied zelebriert, sondern da wurde davon gesungen und gespielt, dass ein junger Mann an der Liebe zugrunde geht - schauerlich schön.
Umso irritierender war jetzt die Rückkehr der beiden in den Max-Littmann-Saal - weniger von der Radikalität, mit der Simon Bode den Haaren seiner oberen Kopfhälfte den Garaus gemacht hatte, sondern von er unerwarteten Art seines Singens. Dass er am Anfang noch einmal neu ansetzen musste, war wirklich kein Drama; das kann passieren, und das ist auch beim Kissinger Sommer schon mehrfach passiert. Solistisches Singen ist nun einmal die gnadenloseste Ausübung von Musik. Vielleicht ging es ihm auch nicht gut. Denn sein körpersprachliches Singen war total heruntergefahren, und er stand vor dem Flügel und presste die Merkelraute in seine Magengrube.
Und er kam nicht wirklich rein in die fünf Rückert-Vertonungen von Gustav Mahler . Die waren als Konzerteinstieg allerdings auch nicht glücklich gewählt. Lieder wie "Ich bin der Welt abhanden gekommen" oder "Um Mitternacht" sind nicht geeignet, sprühende Freude zu verbreiten, drücken die Stimmung. Und vielleicht hat das auch Simon Bode so empfunden, denn er ging in keinem der Lieder, auch nicht in "Liebst du um Schönheit" über ein defensives Mezzoforte hinaus, war auch nicht immer gut verständlich. Die emotionalen Gestaltungen blieben im Flachen. Da hatte man sich offen gestanden mehr erwartet. Igor Levit reagierte auf diese Zurückhaltung, indem er seinen Part gewohnt pointiert gestaltete, aber dynamisch angepasst unter der Decke hielt, um seinen Partner nicht unter Druck zu setzen.
Man konnte nicht sagen, dass das bei den sechs Schubert-Vertonungen plötzlich vollkommen anders war, aber es setzte eine schnelle Besserung ein. Auch wenn Simon Bode körpersprachlich noch stumm blieb - das blieb er eigentlich bis zum Schluss - begann er zunehmend mit seiner Stimme zu spielen. Bei "Du bist die Ruh" zeigte er sehr schön in seiner differenzierten Gestaltung, dass es auch eine durchaus instabile Gefühlsebene unterhalb des Textes gibt. Und in "Sei mir gegrüßt" konnte Igor Levit seinen Partner schon provozieren, und der machte plötzlich auf, wenn auch noch mit ein bisschen Rückversicherung. Aber bei "Du liebst mich nicht" waren sich beide ihrer Sache sicher. Da zeigten sie, dass Schubert für seine raffinierte Musik bei der Vertextung durch August von Platen , Heines Intimfeind, ein paar Regalbretter zu tief gegriffen hatte.
Bei Richard Strauss waren alle Vorbehalte beseitigt. Etwa in der "Heimlichen Aufforderung" mit ihrem Umschlag vom Übermütigen ins Intime oder dem von beiden außerordentlich delikat artikulierten "Die Nacht" und "Leises Lied". Bei " Allerseelen " hätte Simon Bode nach der stark introvertierten Einleitung von Igor Levit vielleicht ein bisschen nachdenklicher sein können. Dafür erreichte er am Ende von "Zueignung" den gut vorbereiteten dynamisch-euphorischen Höhepunkt des Abends.
Und dann noch einmal Mahler mit seinen Wunderhorn-Liedern. Das war alles sehr gut gesungen, und Simon Bode ließ sich da auch von den heiteren Vorlagen von Igor Levit anstecken, sei es bei "Wer hat dies Liedlein erdacht", "Rheinlegendchen" oder "Des Antonius von Padua Fischpredigt". Aber am Ende kamen dann doch wieder zwei "Downturner", die das Publikum zum Tod entließen: "Wo die schönen Trompeten blasen" und "Das irdische Leben". Bei Letzterem hätte sich Simon Bode stärker am Klavier orientieren und weniger distanziert singen können. Dass die Mutter immer hilfloser und genervter werden würde und das Kind am Ende tot sein würde, könnte in der Spannungskurve von Beginn an eigentlich schon angelegt sein. Es ist schließlich kein Dokumentarfilm.
Die Zugabe war schon deshalb interessant, weil auch Diana Damrau und Helmut Deutsch sie zwei Tage zuvor ausgesucht hatten: Richard Strauss " "Morgen". Die Verhältnisse waren genau umgekehrt. Helmut Deutsch hatte eine sehr konkrete Konfliktsituation entwickelt, in die sich Diana Damrau gehörheischend hineinschmeichelte, fast als hätte sie ein schlechtes Gewissen. Jetzt entwickelte Igor Levit eine stark nach innen gewendete, getrübte Stimmung, in die Simon Bode kurzerhand eingriff: "Jetzt wird nicht mehr gejammert! Morgen scheint wieder die Sonne." Zwei überraschend unterschiedliche Deutungen. Aber beide sind gültig.