
Bernd Seese ist ärztlicher Direktor und Chefarzt der Pneumologie am Thoraxzentrum in Münnerstadt. Er erklärt, warum wenige Transplantationen viele potenzielle Organspender brauchen und wie sich damit ein Leben komplett ändern kann.
Das Thoraxzentrum in Münnerstadt führt keine Transplantationen durch, aber betreuen Patienten vor und nach einer Transplantationen. Darf das Thoraxzentrum auch Organe entnehmen?
Bernd Seese: Nein, wir selbst nicht. Wir sind in der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) als Entnahmekrankenhaus gelistet, das heißt, dass routinemäßig bei nachgewiesenem Hirntod und der dokumentierten Bereitschaft zur Organspende , die „Organe entnommen werden können. Das machen wir aber nicht selbst, sondern wir nehmen Kontakt zur Deutschen Stiftung Organtransplantation auf, die dann die Entnahme organisieren. Bei uns ist eine Entnahme aber höchst selten, da unsere Patienten älter und kränker sind als zum Beispiel bei einer Unfallchirurgie, wo junge schwerstverletzte Patienten mit schwerer Schädelverletzungen versorgt werden, somit kommen weniger Patienten als potenzielle Spender in Betracht.
Wie viele Ihrer Patienten warten derzeit auf eine Organspende ? Und welche Organe sind das?
Pro Jahr warten etwa fünf bis zehn potenzielle Kandidaten auf eine Organspende und dabei geht es ausschließlich um die Lunge.
Ist eine Lungen-Organspende bei jedem Patienten möglich oder nur unter bestimmten Bedingungen?
Es muss eine klare Diagnose vorhanden sein, die die Transplantationen rechtfertigt. Der Patient muss so eingeschränkt sein, dass eine Transplantation Sinn macht. Wenn sie zu früh geschieht, besteht die Gefahr eines chronischen Transplantatversagens nach circa zehn Jahren und dann ist der Patient vielleicht in einem Alter, in dem er kein Zweitorgan mehr bekommt, das heißt die Transplantation sollte so spät wie möglich erfolgen. Außerdem sind bestimmte Erkrankungen, wie beispielsweise aktive Tumorerkrankungen in der Regel von einer Transplantation ausgeschlossen. Da gibt es klare medizinische Kriterien. Dann ist aber auch die Persönlichkeitsstruktur wichtig. Eine Transplantation ist eine sehr belastende Maßnahme, deshalb muss der Patient psychisch gut belastbar und auch sehr zuverlässig sein, wegen der aufwändigen medikamentöse Behandlung. Es muss also ein starker Charakter sein, der mit vielen Problemen und Belastungen umgehen kann. Klassische Krankheitsbilder für eine Transplantation der Lunge sind Lungenfibrose, Lungenemphysem, Lungenhochdruck und bei jüngeren Patienten zwischen dreißig und vierzig Jahren auch Mukoviszidose.
Welche Organspender kommen für ihre Patienten infrage?
Der Bedarf an Organen ist sehr groß, deswegen werden immer mehr Kompromisse, insbesondere was das Alter angeht, bei den Spendern eingegangen. Die Not führt dazu, dass der Spenderkreis größer wird. Sonst hätten wir noch weniger Organe und fast keine Transplantationen mehr. Grundsätzlich ist jeder gesunde Mensch auch in höherem Alter ein möglicher Organspender .
Wie wichtig ist es bei Ihrer täglichen Arbeit, dass möglichst viele Menschen einen Organspendeausweis haben?
Das Problem ist, das für den Kandidaten passende Organ zu finden, da gibt es viele Abhängigkeiten und viele Kriterien müssen erfüllt sein. Insofern braucht es viele Spenderkandidaten, um das richtige Organ zu finden.
Spüren Sie die Entwicklung in der Organspende-Bereitschaft in Ihrer täglichen Arbeit?
Die Entwicklung hierzu hat sich nicht wesentlich verändert, die Bereitschaft zu spenden ist in Deutschland gering. Es gab viele Bemühungen, die Spendenbereitschaft zu fördern, aber der ganz große Durchbruch ist noch nicht gelungen. Viele Menschen möchten sich nicht gerne mit dem Thema „Tod“ auseinandersetzen. Wobei viele Menschen oft nicht grundsätzlich gegen eine Organspende eingestellt sind, wenn man mit ihnen darüber diskutiert und die zwei Möglichkeiten aufzeigt – entweder man kann nach dem eigenen Tod noch anderen Menschen helfen oder verzichtet darauf, sagen dann viele oft: „das müsste man machen“, gehen aber nicht den konsequenten Schritt zum Organspendeausweis .
Was halten Sie von dem neuen Anlauf für die Widerspruchslösung der Bundestagsabgeordnete Sabine Dittmar ? Wie würde die Widerspruchslösung Ihnen im medizinischen Alltag weiterhelfen?
Ich denke, nur mit der Widerspruchslösung, also wenn man eine Organspende bewusst ablehnt, bekommen wir eine ausreichende Anzahl an Spenderorgane. Ansonsten muss eine Gesellschaft akzeptieren, dass es zu wenige Organspenden gibt. Dann kann dementsprechend auch weniger Menschen durch die Transplantationsmedizin geholfen werden. Ich sehe es wie Frau Dittmar, dass die Widerspruchslösung das Problem der fehlenden Organspenden deutlich verbessern kann.
Wie belastend ist es für die Menschen auf eine Organspende zu warten? Was erzählen Ihnen Ihre Patienten ?
Eine Lungenfibrose oder ein Lungenemphysem tritt nicht schlagartig auf, sondern hat eine jahrelange Geschichte. Die Betroffenen sind nicht mehr belastbar, schon zehn Meter gehen oder das Duschen verursacht Luftnot und auch soziale Kontakte sind nicht mehr möglich. Sie sind zur Inaktivität verdonnert – das ist ein hoher Leidensdruck. Diese Herausforderung kann man sich als gesunder Mensch nicht vorstellen. Die Wartezeit beträgt ungefähr ein bis zwei Jahre und hängt von der Dringlichkeit der Transplantation ab. Wenn dann ein passendes Organ von der zentralen Organisation Eurotransplant in den Niederlanden gefunden wurde, muss der Patient binnen weniger Stunden im Transplantationszentrum sein. Eine extrem angespannte Situation für den Patienten . Deswegen muss er auch psychisch stabil sein. Zudem kann eine Lunge nur zwölf Stunden außerhalb des Körpers konserviert werden. Das erfordert eine sehr enge Vernetzung zwischen Entnahme und Transplantation.
Was erzählen die Patienten vom neu gewonnenen Leben, wenn das neue Organ vom Körper angenommen wurde?
Der Patient ist nach der Transplantation noch drei Wochen im Krankenhaus, danach circa drei bis vier Wochen in Reha und kommt dann ins Alltagsleben zurück. Etwa ein Drittel der Patienten sind wieder arbeitsfähig, selbstständig, unabhängig und können am sozialen Leben teilhaben – das ist ein Wahnsinns-Gewinn! Vorher ist ja kein normales Leben möglich. Deshalb ist die Transplantationsmedizin eine Erfolgsmedizin, weil sie den Patienten aus einem ganz tiefen Tal heraus holt und wieder neues Leben schenkt.
Das Gespräch führte Angelika Despang.
Wie eine Organspende abläuft
Wenn es um Fragen zur Organspende geht, ist die Uniklinik Würzburg der richtige Ansprechpartner. Nephrologin und Leiterin des Transplantationszentrums Würzburg, Dr. Anna Laura Herzog, erklärt, wie ein Organ vom Spender zum Empfänger kommt.
- Was sind die Voraussetzungen auf Spenderseite?
In Deutschland ist eine Spende nur möglich, wenn der Hirntod eingetreten ist (vollständiger, unumkehrbarer Funktionsverlust des gesamten Hirns). „Der muss nach festgeschriebenen Kriterien von zwei unabhängigen Ärzte festgestellt werden, einer davon muss Facharzt für Neurologie oder Neurochirurgie sein. Das muss außerdem zu verschiedenen Zeitpunkten nachgewiesen werden“, so Herzog. Krankheiten wie eine bestehende Krebserkrankung oder schwer zu behandelnde Infektionskrankheiten wie HIV sind Ausschlusskriterien von einer Spende, ansonsten kann jeder unter den obigen Voraussetzungen Spender werden. Liegt keine schriftliche Willensbekundung vor, müssen die nächsten Angehörigen den mutmaßlichen Willen des Verstorbenen kundtun. Am einfachsten legt man seinen Willen im Organspendeausweis fest, „dort kann man auch ankreuzen, wenn man keine oder nur bestimmte Organe spenden möchte.“ - Was passiert, wenn eine verstorbene Person die Voraussetzungen erfüllt?
Das Krankenhaus kontaktiert die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO). Sie veranlasst notwendige medizinische Untersuchungen und leitet die Ergebnisse an die Vermittlungsstelle Eurotransplant weiter. Dort wird der passende Empfänger ermittelt. Im Vordergrund stehen neben der Wartezeit auch Dringlichkeit und Erfolgsaussicht, weiß Herzog. - Wie läuft die Entnahme ab?
Die Entnahme erfolgt über Entnahmeteams und wird durch die DSO koordiniert. Die Operation dauert zwei bis vier Stunden, je nachdem wie viele Organe gespendet werden, und wird von einem Narkosearzt begleitet, der die Vitalfunktionen überwacht. Nach der OP erfolgt der sachgerechte und würdevolle Verschluss der Operationsnarben, so dass der Leichnam aufgebahrt werden kann und die Angehörigen sich in Ruhe verabschieden können, sofern sie das wünschen. - Wie das Organ zum Spender gelangt.
Sobald das Organ im Transplantationszentrum eintrifft, beginnt die eigentliche Operation. Die Vorbereitung findet bereits in den Stunden davor statt. In Würzburg werden jährlich etwa 65 Organe auf schwerkranken Patienten der Eurotransplant-Warteliste transplantiert.