
Sobald für den Deutschen Herbst ein Jahrestag ansteht, rückt auch Bad Kissingen ins Blickfeld. Wenn sich die Öffentlichkeit der Bundesrepublik an jene Wochen im September und Oktober vor 40 Jahren erinnert, als die Entführungen des Arbeitgeberpräsidenten Hans-Martin Schleyer und der Lufthansa-Maschine Landshut durch Terroristen und die unnachgiebige Haltung des Staates auf der anderen Seite die Atmosphäre im Land prägten, macht sich auch die Kurstadt bewusst, dass sie nicht nur gekrönte Häupter beherbergt hat, sondern zu Zeiten auch gesuchte Terroristen.
Lange vor dem Deutschen Herbst
Dabei hat die Kissinger Randnotiz zu diesem Kapitel der Zeitgeschichte, gar nicht direkt mit dem deutschen Herbst zu tun. Die Baader-Meinhof-Gruppe hatte zwar tatsächlich für kurze Zeit ihr Hauptquartier in die beschauliche Kurstadt verlegt. Aber das war schon im Dezember 1970.
Aufgespürt worden ist die Rote Armee Fraktion, wie sich die Gruppe später nannte, in Kissingen damals nicht. Dass die Episode bekannt ist, liegt an einem Gerichtsverfahren im Jahr 1972 und dem ausführlichen Bericht des Magazins Der Spiegel darüber.
Bekanntschaft mit der Eigentümerin
Hintergrund des kurzzeitigen Umzugs nach Kissingen war die Bekanntschaft einiger Mitglieder der Gruppe mit Monika Seifert. Die Tochter des Psychoanalytikers Alexander Mitscherlich war die Eigentümerin des ehemaligen Sanatoriums an der Bergmannstraße. Sie habe der Gruppe das Haus nicht bewusst zur Verfügung gestellt, erklärte sie später. Aber: „Wir haben den Schlüssel wahllos jedem gegeben.“ Sie sei ja im Grunde froh gewesen, „wenn da jemand im Haus war“, zitierte sie der Spiegel.
Verwahrloster Eindruck
Das hatte unter anderem mit dem Zustand des Anwesens in jener Zeit zu tun. Das ehemalige Sanatorium habe einen „verwahrlosten Eindruck“ gemacht, berichteten Mitglieder der Gruppe laut Spiegel, „der Garten war ungepflegt und verwildert“. Die Eigentümerin bestätigte das. „Im Haus sah es schlimm aus, es waren auch kaum noch Möbel drin.“ Am 14. Dezember 1970 sei deshalb erst einmal eine zweiköpfige Vorhut nach Kissingen gefahren, um das Haus „in einen halbwegs bewohnbaren Zustand zu versetzen“, hieß es im Spiegel. Als Ulrike Meinhof und Holger Meins zwei Tage später eintrafen, sei der Rest der Gruppe aber schon da gewesen.
In Bad Kissingen selbst aktiv geworden ist die Baader-Meinhof-Gruppe damals nicht. Aber Pläne gemacht habe man im Sanatorium, hieß es in dem beschriebenen Prozess. Unter anderem sei die Rede davon gewesen, schrieb der Spiegel 1972, „Prominente zu entführen, um politische Gefangene freizubekommen“.
Der Hamburger Verleger Axel Springer, Franz Josef Strauß und der damalige Bundeskanzler Willy Brandt seien von den Terroristen als Ziele von Entführungen in Erwägung gezogen worden.
Aufbruch zu Überfällen
Umgesetzt wurden solche Entführungspläne da noch nicht. Banküberfälle gehörten aber bereits zum Programm. „Am Morgen des 19. Dezember“, schrieb der Spiegel, „brachen die Baader-Meinhof-Leute“ von Kissingen aus in fünf Autos zu geplanten Bankrauben in drei Städten auf. Allzu viel lief dort aber nicht nach Plan. In der folgenden Nacht wurde jenes Mitglied der Gruppe verhaftet, aus dessen Gerichtsverhandlung das Nachrichtenmagazin später berichtete.