Eric Krieter gehört zum Stadtbild von Bad Kissingen. Er ist obdachlos, sitzt seit Jahren praktisch täglich auf dem Gehsteig vor dem Kupsch und hofft darauf, dass ihm Menschen das Überleben ermöglichen, indem sie ihm ein bisschen Geld zustecken. Zum Auftakt unserer neuen Interviewreihe Kissinger Ansichten erzählt Krieter, wovon er lebt. Und wovon er träumt.
Frage: Herr Krieter, ab welcher Temperatur ist es für Sie kalt?
Eric Krieter: So ab zehn Grad minus ist es schon kalt. Ich lebe aber dauernd draußen, da empfindet man Temperaturen nicht mehr so stark. Man gewöhnt sich daran, man hat ja keine andere Wahl.
Und ab wann ist es so kalt, dass Sie Ihren Platz vor dem Kupsch verlassen?
Krieter: Ich würde immer sitzen bleiben, solange bis ich meine notwendigen Einnahmen habe.
Gibt Ihnen das Leben draußen im Winter besondere Verhaltensregeln vor?
Krieter: Ja, die Regeln hat die Natur aufgestellt. Es geht um eine eher geistig-mentale Haltung, eine Art Geisteszustand. Ich setze mich da mit Atemtechnik auseinander, ähnlich wie ein alter Yogi.
Sie sitzen tagaus, tagein, sommers wie winters vor dem Kupsch. Warum?
Krieter: Ich saß einige Zeit an der Post. Da gab's aber Probleme mit einigen Personengruppen. Ich habe mich umgesetzt, um Konflikten aus dem Weg zu gehen. Einen anderen Platz habe ich auch nicht gefunden.
Ich meinte mit meiner Frage eigentlich, warum Sie sich überhaupt in Kissingen an die Straße gesetzt haben.
Krieter: Ich bin 2007 aus gesundheitlichen Gründen nach Bad Kissingen gekommen. Ich hoffte hier über Verbindungen leichter Medikamente zu bekommen, weil ich da schon keine Versicherung mehr hatte. Eine Zeit lang hatte ich ein Zimmer. Ende 2009 habe ich mich aber aus persönlichen, wirtschaftlichen und gesundheitlichen Gründen abmelden müssen. Zunächst bin ich da zur Stadt. aber die haben gesagt 'für Ihre Zwecke haben wir keine Räumlichkeiten'. Ich habe noch versucht, mich bei einem Rechtsanwalt zu informieren, hatte aber auch kein Geld, um den Rechtsanwalt zu bezahlen. Also habe ich mir überlegt, mir eine Parkbank zu suchen. Das war damals im Winter bei Hausen. Und in dieser Notsituation habe ich mich dann vor der Post an die Straße gesetzt – um damit Geld für meinen Lebensunterhalt zu bekommen.
Da saß ich dann einen Tag und noch einen Tag und noch einen und habe mir schließlich gar keine Gedanken mehr gemacht über meine Existenz. Was ich durch gelegentliche Jobs verdient habe, hat nicht gereicht und so hat es sich ergeben, dass aus der Straße etwas Dauerhaftes wurde.
Was bringt das ein?
Krieter: Jeden Tag essen und trinken.
Wieviel Geld brauchen Sie am Tag, um zu überleben?
Krieter: Das ist schwierig zu sagen. Eben so viel, um Lebensmittel kaufen zu können. Sparen kann ich davon nicht großartig. Es gab eine Zeit, da hätte ich mir nicht einmal mehr eine Briefmarke davon kaufen können.
Was essen und trinken Sie so?
Krieter: Ich bin Veganer, also esse ich Obst und Gemüse, Brot ... 'mal ist auch eine Dose zum Warmmachen dabei.
Haben Sie noch anderes Einkommen, Hartz IV zum Beispiel?
Krieter: Nein. Das geht nicht, weil ich nicht gemeldet bin.
Und warum melden Sie sich nicht an?
Krieter: Das geht nicht. Wo sollte ich auch, ich habe ja keinen Wohnsitz. 2015 hatte ich mal eine Einladung von jemand für einen Platz in einem Gewerbegebiet. Ich habe es damit versucht, aber das Meldeamt hat das damals abgelehnt, weil es eben ein Gewerbegebiet war.
Kommen zu Ihnen Menschen, die Ihnen regelmäßig etwas geben?
Krieter: Bestimmte kommen schon regelmäßig. Eine Frau gibt mir beim Einkaufen jeden Tag einen Euro. Sonst ist aber ganz unterschiedlich, was ich bekomme. Manchmal sind es auch Centstücke. Kürzlich bekam ich mal für 15 Euro Centstücke. Als ich das eintauschen wollte, war das nicht möglich, weil ich kein Girokonto habe. Dazu braucht man auch eine Anschrift.
Aber das hat sich doch kürzlich geändert. Es gibt jetzt die Pflicht für Banken, auch Obdachlosen ein Konto zu ermöglichen.
Krieter: Nach meiner Erfahrung stimmt die Nachricht nicht, dass jeder ein Konto anlegen kann.
Was geht Ihnen so durch den Kopf, wenn Sie hier sitzen?
Krieter: Och, (überlegt), in einem bestimmten geistigen Zustand gibt es keine Zeit und keinen Raum mehr. Sie sitzen da stundenlang in einer eigenen Energieform, einer Art Energieglocke. Das kann man mit einem Schlafzustand vergleichen, wo man sehr wach ist. Da kann man sogar manchmal erkennen, was andere denken und fühlen. Manchmal ist das einfach, mit sich selbst im Reinen zu sein. Das kann man nur schwer erklären. Das hat man einfach.
Wie oft in der Woche und wie viele Stunden pro Tag sitzen Sie da?
Krieter: Ich sitze von Montag bis Samstag. Meistens fange ich gegen acht Uhr an und höre unterschiedlich auf, das ist so zwischen vier Uhr und sechs Uhr. Am Samstag sitze ich bis zwölf oder halb eins.
Müssen Sie das bei der Stadt anmelden?
Krieter: Ich glaube nicht. Das ist ja kein Job, ich habe ja keinen Verdienst, ich beziehe auch keine andere Leistung. Groß nachgedacht habe ich darüber aber noch nicht.
Wo leben Sie, wenn Sie nicht vor dem Kupsch sitzen?
Krieter: Eine Zeit lang lebte ich im Luitpoldpark an der Bismarckstraße, da hatte ich ein Zelt über ein Bäumchen gestülpt. Das ging, bis die Polizei kam und sagte, hier kann man nicht schlafen. Dann habe ich ein halbes Jahr an dem offenen Pavillon an der Ludwigsbrücke geschlafen. Da kam auch wieder die Polizei. Da hieß es, die Stadt sehe nicht gerne, dass jemand wie ich sich im Kurgebiet aufhält. In der Au hatte ich dann ein Zelt, das habe ich 400-mal aufgebaut und wieder abgebaut, das ging also weit über ein Jahr. Danach kamen vier weitere Zelte, die ich dann nach und nach wegen Hochwasser entsorgen musste. 2014 fand ich jemand, wo ich meine Säcke in die Garage stellen konnte und da stehen sie noch heute. Damals suchte ich mir auch eine Stelle, wo das Hochwasser nicht hinkommt und da lebe ich seither ohne Zelt.
Was denken Sie sich über all die Menschen mit normalen Leben, die am Tag so an Ihnen vorbeigehen?
Krieter: In dieser untersten Position, die ich einnehme, wo ich zum Teil nur Füße sehe, mache ich mir eigentlich gar keine Gedanken.
Worum geht es Ihnen bei Ihrer Art zu leben, um Freiheit oder vielleicht darum, nicht arbeiten zu müssen?
Krieter: Was ist daran Freiheit? Ich verhalte mich einfach nach meiner Situation. Ich wollte diese Situation eigentlich schon beenden, aber ich habe ja nichts anderes. Aus der Not heraus geht es nicht, das zu beenden.
Was passiert denn, wenn Sie mal krank werden?
Krieter: Ich bin mal in einen kalten Zustand gekommen. Da habe ich eine komplette Unterkühlung durchlaufen. Das wäre eigentlich schon mein Tod gewesen. Damals habe ich ärztliche Hilfe gesucht, hatte aber kein Versicherungskärtchen. Irgendwie habe ich das aber doch überstanden und ich habe mir angewöhnt, mich selbst zu kurieren. Irgendwie bin ich mein eigener Doktor. Ich hatte auch schon Erkrankungen oder offene Wunden. Beim Leben draußen kann sich ja jede kleine Schramme entzünden.
Und im Alter, was ist da?
Krieter: Im Alter? Darüber denke ich wenig nach. Letztlich habe ich da keine Antwort. Ich habe irgendwann abgelegt, mir Sorgen darüber zu machen.
Ich stelle mir so ein Leben wie Ihres ziemlich inhaltsleer vor. Wie empfinden Sie das?
Krieter: Ich kann mit mir persönlich gar nicht unzufrieden sein. Es könnte aber schon besser sein.
Also würden Sie gerne anders leben.
Krieter: Natürlich versucht man, ein anderes Leben zu führen. Die Frage ist nur wie und wovon?
Was wäre Ihr Traum?
Krieter: Ich habe schon manchmal Visionen. Jeder träumt ja irgendwie. Aber wie setzt man ihn dann um, den Traum? Na ja, ich würde schon gerne aus der untersten Position rauskommen.
Wo sehen Sie sich in zehn Jahren, immer noch vor dem Kupsch?
Krieter: Oh, oh, oh, machen Sie mir keine Angst. In zehn Jahren sollte ich eigentlich nicht mehr auf der Straße sitzen. In zehn Jahren sollte ich bereits ein anderes Leben haben.