1984 fing Christian Teichmann im Büro Grellmann und Leitl in Würzburg an. Seit 1996 lag der Schwerpunkt seines Schaffens in Bad Kissingen. Er und sein Architekten-Team waren hier im Auftrag des Freistaats intensiv mit der Sanierung der bedeutendsten historischen Kurbauten beschäftigt. Albert Geul (Luitpoldbad), Friedrich von Gärtner (Offene Arkaden), Balthasar Neumann (Kurgarten) und Max Littmann (Wandelhalle, Regentenbau, Kurhausbad) - Teichmann hat die Werke dieser alten Baumeister während all dieser Jahre bis ins Detail seziert. Der gebürtige Würzburger arbeitete 2019 auch im städtischen Team der Unesco-Bewerbung "Great Spas of Europe" mit. Eigentlich völlig klar, dass auch er, der Bad Kissinger Baumeister der Moderne, dereinst in die städtischen Annalen eingehen wird, vielleicht sogar als einer der Wegbereiter des Bad Kissinger Welterbes.
Christian Teichmann: Wir arbeiten seit 1996, also seit 27 Jahren, hier. 1998 haben wir unser Büro in Bad Kissingen eröffnet. Da fühlt man sich schon ein bisschen zu Hause. Mein Auto fuhr irgendwann von Würzburg allein hierher und ich kenne natürlich sehr viele Leute hier aus allen Branchen und Behörden.
Teichmann: Wenn ich an die Zeit denke, als Wandelhalle und Regentenbau saniert wurden, hatte ich eine Sechs-Tage-Woche mit 50 bis 60 Stunden. Es gab immer etwas zu regeln, denn die Arbeiten sollten ja im Zeitplan bleiben. Norbert Böhm, der Leitende Baudirektor des Staatlichen Bauamts, war zum Glück flexibel, wenn es um einen drohenden Zeitverzug wegen fehlender Arbeitskraft oder Material ging. Er konnte schnell entscheiden. Beim Regentenbau hatten wir gar keinen Ausfall, arbeiteten zum Teil sogar im Zwei-Schichten-Betrieb.
Teichmann: Die schwierigste war wohl der Regentenbau, zum einen weil wir die Auflage hatten, dass trotz Sanierung der Kissinger Sommer und der Winterzauber stattfinden sollten. Zum andern galt es zu modernisieren, ohne die weltberühmte Akustik im Großen Saal zu gefährden. Die Ausgangslage war: Es gab keinerlei Brandschutz, die Elektrokabel waren mit Stoff ummantelt, die Lüftungsanlage war verstaubt und die Statik nach heutigen Regeln nicht nachweisbar. Da musste ich mit dem Statiker schon manchmal verhandeln und gangbare Kompromisse finden.
Teichmann: Das war in der Tat höchst spannend, denn wie kann man ein altes Bauwerk herrichten, ohne dass sich die wertvolle Raumoberfläche verändert? Wir haben auch ein sehr gutes Akustik-Büro aus Köln vorgeschlagen. Die haben dann mit uns alles durchgespielt. Denn der Große Saal ist wie ein Geigenkasten, wie ein schwingender Resonanzboden. Man kann diesen Geigenkasten nicht einfach mit Inhalt füllen.
Teichmann: Gut. Zum Beispiel habe ich mit einer Schweizer Möbelfirma den "Kissinger Stuhl" erfunden, der schmaler ist als die alten Stühle und gestapelt werden kann. Die Akustik-Spezialisten stellten Berechnungen an und legten die Stühle so aus, dass sie die Akustik im Saal nicht beeinträchtigen. Das heißt, egal ob der Saal halb oder voll besetzt ist, bleibt die Akustik nun die gleiche.
Teichmann: Eigentlich alle, obwohl sie ganz unterschiedlich sind. Wenn man bedenkt, dass im Luitpoldbad jetzt Schreibtische stehen, wo früher Badewannen waren… Faszinierend war für mich auch, dass im Innenhof des Behördenzentrums ein Platz für Konzerte entstehen konnte.
Teichmann: Max Littmann hat wirtschaftlich gebaut. Er hat das Material sparsam und hochwertig eingesetzt, zum Beispiel Stahlbetonträger minimalisiert. Und siehe da, alles hält, ist über die Jahrzehnte nicht eingefallen. Lernen kann man von ihm, wie wichtig alte Handwerkstechniken sind. Bei uns hier ist das Handwerk in manchen Sparten bereits am Aussterben, dann muss man für bestimmte Arbeiten schon Spezialisten zum Beispiel in Tschechien suchen.
Teichmann: Gute Frage. Wenn man ein historisches Gebäude betritt, spürt man oft eine positive Ausstrahlung. Die Kunst des Architekten ist es, diesen Charme zu erhalten und die Funktion des Gebäudes nicht zu gefährden. Denn trotz manchmal neuer Funktion oder zeitgemäßer Haustechnik darf sich die Haptik der Oberflächen und der Maßstab, die gute Proportion, nicht verändern. Wenn man ein gutes Team bildet, wenn Bauherr, Denkmalpflege, Nutzer und Planer übereinstimmen, kann die Gestaltung harmonisch gelingen.
Teichmann: Die Zusammenarbeit mit Baudirektor Böhm und Abteilungsleiter Erwin Full vom Staatlichen Bauamt war sehr harmonisch. Wir haben öfter Kompromisse überlegt und dort, wo es gefahrlos möglich war, auch mal eine DIN-Norm zu Gunsten des Denkmals ausgelegt.
Teichmann: Die Treppenhäuser im Luitpoldbad wären, nach heutiger DIN-Norm, nicht tragfähig gewesen. Eine Spezialfirma hat empirisch ausgetestet, wie viel Last die Treppen aushalten. Das Resultat war, dass wir sie guten Gewissens im Original stehen lassen konnten. Diese Untersuchungen haben den Freistaat zusätzlich Geld gekostet, aber auch Ertüchtigungskosten gespart. Das war schon toll, dass man den Weg mitgegangen ist. Und 2018 wurde die Sanierung des Luitpoldbads sogar mit der Silbermedaille des Bayerischen Denkmalpreises bedacht.
Teichmann: An den Treppen waren keine originalen Geländer mehr. Die Eisenornamente der alten Stufen haben wir erst wieder unter dem Putz hervorgeholt. Dabei fanden wir einen Hinweis auf den damaligen Hersteller, die Eißengießerei Joly aus Wittenberg. Wir haben alte Kataloge gewälzt und sind auf das damals verbaute Modell "Neorenaissance" gestoßen, das wir nachbauen ließen. Zwischen Stufen und Geländer gab es aber Lücken. Da hätte ein Kind seinen Kopf hindurchstecken und herunterfallen können. Also musste das sicherer gemacht werden. Die "Locke" ist ein Gusseisen-Ornament, das diese Lücke schießt.
Teichmann: Auf jeden Fall. Nehmen wir mal die Akustik im Regentenbau: Was wäre passiert, wenn die nach der Sanierung Schaden genommen hätte? Oder wenn die Rakoczy-Quelle, die unter der Wandelhalle entspringt, nach der Sanierung versiegt wäre? Womöglich wäre die Stadt danach ihren Titel "Bad" los gewesen? Das hätte man dann dem Architekten angekreidet und ihn gefragt, ob er akribisch alle gesetzlichen Vorgaben eingehalten hat.
Teichmann: Bei jedem einzelnen Bauwerk, das heißt Wandelhalle, Regentenbau, Luitpoldbad etc. waren jeweils etwa 100 Handwerker und rund 30 Büros und Ämter involviert. Da muss man wie bei einem Orchester schauen, dass jeder sein Können gezielt einsetzt. Aber auch die psychologische Komponente ist wichtig. Ein Architekt muss nicht nur das Orchester, sondern auch die Öffentlichkeit mitnehmen, um am Ende Beifall zu bekommen.
Teichmann: Es stellt ein Stück Zeitgeschichte dar. Auf jeden Fall muss man es in die moderne Zeit hinüberbringen. Das Gebäude ist ein wesentliches Ensemble der Stadt und steht an einer exponierten Stelle, es ist sozusagen ein Markenzeichen an der Saale.
Teichmann: Der Welterbe-Titel war für unser Büro das i-Tüpfelchen auf unsere Arbeit. Es hat mich ein wenig stolz gemacht! Dass ich als einziger freier Architekt im städtischen Projektteam für die Unesco-Bewerbung mit dabei war, hat mich sehr gefreut. Die Stadt darf aber jetzt nicht stehenbleiben, sie muss sich weiterentwickeln. Gut wäre es in diesem Zusammenhang, wenn man endlich auch den "Ground Zero" von Bad Kissingen, das frühere Steigenberger-Areal, wieder bespielen würde. Das geplante Kurparkresort ist eine gute Möglichkeit, die Baulücke zu füllen. Beim Fassaden-Realisierungswettbewerb hat unser Büro den ersten Preis gewonnen. Aber momentan verzögert sich alles.
Teichmann: Nein, in Rente gehe ich erst in zwei bis drei Jahren. Mein Arbeitspensum habe ich aber zurückgefahren und bin nur noch beratend für mein Büro tätig. Die Bad Kissinger Filiale in der Prinzregentenstraße ist übrigens aufgelöst, weil das Landesamt für Lebensmittelsicherheit die Räume in Zukunft braucht. Und ich lebe jetzt teilweise in Italien auf der Südseite des Lebens. Die Liebe zu Italien habe ich ja sozusagen im Blut, denn meine Oma ist aus Triest.
Das Bild vom Fassaden-Realisierungswettbewerb für das geplante Kurparkresort in Bad Kissingen zeigt welch ein imposantes Gebäude das neue Steigenberger werden könnte, auch wenn es nicht von Steigenberger gebaut wird. Man muss daran nichts ändern und ich hoffen der Freistaat kommt endlich in die Gängen und baut das neue Hotel genau nach den Vorgaben von Herrn Teichmann, Besser könnte man Bad Kissingen nicht darstellen. Die Stadt muss in der Angelegenheit aber noch ein paar Schippen Anspruch in Richtung München drauflegen.