40 Jahre sind für eine Orgel eigentlich kein Alter, das man unbedingt feiern müsste. "Eine gut gebaute und gut gepflegte Orgel kann 250 Jahre halten", sagt Kirchenmusikdirektor Jörg Wöltche. Aber die Kurzlebigkeit der "Königinnen der Instrumente" hat in der Erlöserkirche eine gewisse Tradition. Vier Orgeln in 152 Jahren, das ist bemerkenswert.
Als 1846/47 auf Betreiben der - evangelischen - bayerischen Königin Therese, die als Prinzessin von Sachsen Hildburghausen 1825 Ludwig I. geheiratet hatte, nach Plänen von Friedrich von Gärtner auf der grünen Wiese ein protestantisches Bethaus errichtet wurde - damals noch kürzer und ohne Türme - baute die Bamberger Orgelfirma von Carl Friedrich Geyer auch eine Orgel ein. Für den Raum mit 600 Sitzplätzen war das Instrument mit seinen zehn Registern viel zu klein, aber es genügte zumindest den Minimalansprüchen. Man muss nur berücksichtigen, dass es damals in Kissingen keine evangelische Gemeinde gab - das hatte Peter Heil im Dreißigjährigen Krieg mit seinen Bienenkörben verhindert. Der Ort war streng katholisch.
Aber die Zahl der evangelischen Badegäste hatte so stark zugenommen, dass in der Saison von Schweinfurt ein Vikar sonntags herüberkam und zunächst im Saal des Landgerichts Gottesdienste abhielt. Das waren, ausgerichtet an den Interessen der Besucher, Wortgottesdienste. Die Kirchenmusik spielte damals noch keine große Rolle. Erst 1864 bekam Kissingen eine eigene Pfarrei.
1885 hatte sich bei den Verantwortlichen die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Orgel nicht mehr ausreichend ist. Die Königlich-Bayerische Hof-Orgel- und Harmonium-Fabrik G. F. Steinmeyer in Oettingen bekam den Auftrag, ein neues Instrument zu bauen. Aber 1891 wurde die Kirche erweitert auf 800 Sitzplätze - damals wurden die Türme und ein neuer Chorraum errichtet. Die evangelische Gemeinde hatte damals bereits 600 Mitglieder. Aber jetzt reichte auch diese Orgel nicht mehr, und das nicht nur, weil viele Besucher hinter den Säulen saßen.
1910 rückten wieder die Orgelbauer an. Damals war es wieder die Firma Steinmeyer, die zwar das Gehäuse der alten Orgel verwendete, aber das Innenleben nach den modernsten Kriterien für die gestiegenen Anforderungen ertüchtigte. Aber dieses neue Innenleben erwies sch nicht als allzu haltbar.
Ab 1950 häuften sich die Klagen über den Zustand der Orgel. Aber der den Stein höhlende stete Tropfen musste bis Mitte der 60er Jahre tropfen, bis der Kirchenvorstand den Beschluss fasste, eine neue Orgel anzuschaffen. Aber das war erst der Beschluss. Dann ging erst einmal ein neues Gemeindehaus (1969) vor. 1979 konnte der Orgelbau realisiert werden. Wieder - bei der vierten Orgel - war es die Firma Steinmeyer, die den Auftrag erhielt.
Damals gab es eine heftige Diskussion, wo die neue Orgel überhaupt aufgestellt werden sollte. Der Kirchenvorstand und der Schweinfurter Dekan Johannes Strauß plädierten für den Chorraum, nicht zuletzt deshalb, weil die Kirchenmusik mittlerweile erheblich an Bedeutung gewonnen hatte. Die Pfarrer waren dagegen, weil sie die Kantoren nicht unmittelbar neben sich haben wollten. Wer sich durchgesetzt hat, ist bekannt. Der damalige Kantor Gerd Jacob sorgte dafür, dass die Orgel auf der Empore ganz an die Rückwand versetzt wurde, weil er Platz haben wollte für die Kantorei und Instrumentalisten, die er von der Orgelbank aus dirigieren wollte. Das war gut gedacht und gemeint, sollte sich aber im Laufe der Jahre als Nachteil erweisen. Denn mittlerweile ist der Schalldruck der Orgel so stark abgesunken, dass er, wenn er die Emporenbalustrade überklettert hat, nur noch zu zwei Dritteln bei den nächsten Zuhörern ankommt.
1993 rückten noch einmal die beiden Orgelbauer Jean-Paul Edouard und Michael Stumpf der Steinmeyer-Orgel zu Leibe. "Offiziell war das eine Orgelreinigung", sagt Jörg Wöltche. Das war es auch, aber darüber hinaus auch ein Umbau. Sie erhöhten den Winddruck wieder um ein Drittel, was sehr arbeitsaufwendig war, weil die Pfeifenanschlüsse verändert werden mussten. Und sie bauten drei Register aus der alten Orgel der Stadtpfarrkirche ein. Und, was sicher am leichtesten hörbar war: Sie intonierten die Orgel so, dass auch das französische romantische Repertoire spielbar wurde - ein "Steckenpferd" des damaligen Kantors Stefan Kagl.
Mit dieser Orgel feiert Stadt- und Bezirkskantor Jörg Wöltche jetzt deren 40. Geburtstag.
Und bei Geburtstagen kann man sich ja etwas wünschen. Eigentlich ist er ja mit dem Instrument ganz zufrieden, weil man mit den nur 36 Registern erstaunlich vielfältige Klangfarben erreichen kann, auch wenn stilistisch vielleicht nicht alles darstellbar ist. Aber er hat Überlegungen angestoßen, die Orgel wieder nach vorne an die Brüstung zu holen. Dann kann sich der Schall besser entwickeln und verbreiten, dann müsste er auch keine 96 Dezibel mehr ertragen. Und einen Chor, der vor der Orgel Platz finden müsste, gibt es schon lange nicht mehr. Und es fehlen drei oder vier grundtönige oder auch 16-Fuß-Register, die das Bassfundament der Musik und damit ihre Durchsetzungskraft stärken.
Noch wichtiger ist ihm aber etwas, was Edouard und Stumpf seinerzeit nicht gemacht haben: der Einbau einer elektrischen Traktur, also der Verbindung zwischen Taste und Pfeife. So etwa ist heutzutage nicht mehr teuer und einfach zu machen.
Jörg Wöltche: "Ich traue mich schon lange nicht mehr, prominente Organistenkollegen einzuladen." Als vor einiger Zeit Matthias Grünert, der Kantor der Dresdner Frauenkirche da war, klagte er nach zwei größeren Stücken über erhebliche Sehnenschmerzen in Händen und Armen. Sein Kollege Wolfgang Dallmann (Heidelberg) sprach schon 2000 von einer "Zumutung".
Jörg Wöltche weiß natürlich, dass ihm seine Geburtstagswünsche jetzt nicht auf den Gabentisch gelegt werden können. Das würde die Gemeinde finanziell überfordern. Denn auch jetzt geht es vor allem um ein neues Gemeindehaus. Und dann sollte auch erst die Innenrenovierung der Kirche abgeschlossen sein, dass die Orgel nicht aufwendig staubsicher verpackt werden muss. Vielleicht klappt's ja zum 50. Geburtstag der Steinmeyerin.
Doppeltes Jubiläum
40-jähriges Jubiläum feiert nicht nur die Steinmeyer-Orgel in der Erlöserkirche, sondern es gibt dort noch etwas zu feiern: 40 Jahre Kantor Jörg Wöltche.
1979 unterschrieb Mutter Wöltche in Breuberg-Wald-Amorbach einen Arbeitsvertrag für ihren Sohn, der mit seinen 16 Jahren noch nicht geschäftsfähig war. Und damit begann die Kantorenlaufbahn. Sie führte ihn zunächst nebenamtlich nach Breuberg-Sandbach und Hirschberg-Leutershausen an der Weinstraße. Seine erste hauptberufliche Stelle trat er 1991 in Garding in der Nähe von St. Peter-Ording an der Nordsee. 1997 wechselte er an die Erlöserkirche in Bad Kissingen. Zwei Ereignisse fielen in diese Zeit: 2008 wurde die Organistenstelle wegen ihrer Bedeutung für das Kurwesen in eine A-Stelle umgewandelt. 2014 verlieh die Evangelische Landeskirche Bayern Jörg Wöltche den Titel des Kirchenmusikdirektors.
Programm
Hauptfeiertag ist der Sonntag, 7. April. Um 10.45 Uhr, nach dem Gottesdienst, gibt Jörg Wöltche eine etwa 20-minütige Matinee zum Jubiläum. Abend um 19.30 Uhr kommt die junge Organistin Lisa Hummel. Man kann sie getrost als Shooting Star der Orgelszene bezeichnen, denn sie war Preisträgerin bei den wichtigsten europäischen Orgelwettbewerben. Sie gewann unter anderem die Dublin International Organ Competition und den 3. Preis beim Internationalen Orgelwettbewerb in St. Petersburg. Bei der Internationalen Orgelwoche Nürnberg 2016 erhielt sie den 2. Preis und den Publikumspreis. Sie spielt Werke von Johann Sebastian Bach, Franz Liszt und Marcel Dupré.
Am Pfingstsonntag, 9. Juni, ist großer "Orgeltag". Wieder gibt es um 10.50 Uhr eine Orgelmatinee. Um 14 und 15 Uhr können die Kinder (und ihre Eltern) die Orgel von innen und außen erkunden (übrigens auch am Sonntag, 8. September, 14 und 15 Uhr). Und um 19.30 Uhr gibt Jörg Wöltche ein Orgelkonzert mit Werken von Johann Sebastian Bach und Franz Liszt.
Und am Samstag, 14., 16 Uhr, und Montag, 16. Dezember, 10 Uhr (für Schüler) kommen Hein Flöt und Käpt'n Orgelbär mit einer weihnachtlichen Erzählgeschichte in die Erlöserkirche. Wer die beiden sind? KMD Karin und KMD Thomas Riegler aus Bad Neustadt.