Michael Back war zehn Jahre beim Sanitätszug Steinach aktiv. Bei Explosionen oder Katastrophenfällen hätte er Hilfe leisten müssen. Zu derlei Ereignissen kam es zum Glück nie. Trotzdem brannte sich die Zeit beim Sanitätszug in sein Gedächtnis. Dafür sorgte ein besonderer Einsatz: Die Versorgung der DDR-Flüchtlinge in Oerlenbach und Hammelburg im Herbst 1989. Dabei fotografierte die inzwischen verstorbene Redakteurin Angelika Braun den damals 32-Jährigen. Das liegt mittlerweile 30 Jahre zurück. Anlässlich dieses Jahrestags veröffentlichte die Saale-Zeitung eine Bilderseite, auf der sich der Steinacher wiederfand, und Kontakt zur Redaktion aufnahm, um über die Ereignisse im Herbst 1989 zu sprechen.
"Es war Sonntagmittag gegen halb zwölf", erinnert sich der Steinacher. "Ich war gerade beim Mittagessen, als die Alarmierung kam." Welche Aufgabe ihn erwarten sollte, war ihm und seinen Mitstreitern zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar. "Ich habe dann alles liegen und stehen gelassen", sagt der 62-Jährige. Etwa sechs bis acht Ehrenamtliche des Sanitätszugs fuhren daraufhin gemeinsam nach Oerlenbach "Wir haben dann erfahren, dass wir die Flüchtlinge aus der DDR versorgen sollen." Über die offene tschechische Grenze flohen die DDR-Bürger in den Westen. Einen Teil von ihnen brachten Züge und Busse auch nach Hammelburg und Oerlenbach.
"Eigentlich sollten die neuen Bundesbürger um 14.30 Uhr eintreffen", sagt Back. Doch fehlgeleitete Busse verzögerten deren Ankunft. Statt am frühen Nachmittag kamen die ersten Flüchtlinge in den Abendstunden des 1. Oktobers an. Die Wartezeit überbrückten Back und seine Kollegen damit, alles vorzubereiten. "Es war alles da, was die Leute gebraucht haben." Neben Kleidung gab es Waschpulver oder Hygieneartikel. Selbst Genussmittel standen bereit. "Es gab Camel-Zigaretten im Fünfer-Pack", erinnert sich Back. Zuständig für die Anlieferung der Waren war der Bundesgrenzschutz. Dafür waren mehrere Lkw im Einsatz. "Als der Ansturm kam, waren alle auf ihrer Position - dann ging's los."
Darauf vorbereitet waren die Helfer nicht. Das Übungsszenario "Grenzöffnung" gab es bei den jährlichen Übungen in Riedenberg nicht. Nützlich waren die Übungen trotzdem, gerade was die Rollenverteilung jedes Einzelnen anging. "Dadurch hat das dann gut geklappt", sagt der 62-Jährige.
"Man war ständig im Einsatz, es war ja eine Masse an Menschen", sagt er. Für Bedürfnisse wie Essen oder Trinken, blieb den Helfern von da an keine Zeit. "Ich habe nicht mal registriert, dass die Presse da war und mich fotografiert hat". Beim Verteilen der Waren hatte jeder seine feste Funktion. Im Gedächtnis geblieben sind ihm auch seine Gedanken während des Einsatzes. "Ich musste an meine Jugendclique zurück denken. Wir hatten mal darüber gesprochen, ob die Grenze jemals geöffnet wird." Doch ein großes gedankliches Abschweifen war nicht möglich: "Wir mussten darauf achten, dass die Leute nicht einfach was aus den Kartons rausnehmen."
"Die Menschen waren völlig ermüdet, andere waren richtig happy trotz der Strapazen", sagt Back. Um die Neubürger zu stärken, gab es Suppe. "Das war ein Erlebnis, das unter die Haut ging. Es waren viele junge Familien mit Kindern dabei." Noch heute hat er davor Respekt. "Dazu gehört großer Mut, die Leute haben vieles in der DDR zurücklassen müssen. Sie hatten ihr Leben in Koffern und Taschen dabei."
Körperlich sei der Einsatz eine Strapaze gewesen. Bis zum frühen Morgen verteilte Back Hilfsgüter an die neuen Bürger. Erholung gab es für die Helfer erst nach dem Einsatz. "Wir sind wegen unseres Einsatzes von der Arbeit freigestellt worden", sagt der 62-Jährige. Nur wenige Tage später war Back erneut im Einsatz, als weitere Flüchtlinge in Hammelburg ankamen.
135 Flüchtlinge aus der DDR waren in Oerlenbach untergebracht.