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Bad Kissingen
Ein Bad Kissinger Hausarzt vom alten Schlag
Wolfgang Ruppert hat 32 Jahre mit seinem Bruder Eberhard als Allgemeinarzt tausende Patienten versorgt. Die Praxis-Schließung beschäftigt viele noch heute.
Wolfgang Ruppert spricht im Interview über seine Praxis. Foto: Benedikt Borst       -  Wolfgang Ruppert spricht im Interview über seine Praxis. Foto: Benedikt Borst
| Wolfgang Ruppert spricht im Interview über seine Praxis. Foto: Benedikt Borst
Benedikt Borst
 |  aktualisiert: 19.08.2022 12:10 Uhr
Wolfgang Ruppert (73) war 32 Jahre als Hausarzt mit seinem Bruder Eberhard tätig. In der Gemeinschaftspraxis in der Martin-Luther-Straße wurden mehrere tausende Patienten behandelt, die Schließung vor acht Jahren beschäftigt viele noch heute. Im Interview für die Serie "Was macht eigentlich?" spricht der Mediziner über die Gründe für die Schließung, die gescheiterte Suche nach einem Nachfolger und über bedenkliche Entwicklungen in der Gesundheitsversorgung in der Region.

Ich habe den Eindruck, dass die Schließung der Praxis Dr. Ruppert noch heute von vielen bedauert wird. Darum zunächst die Frage, wie es Ihnen seitdem ergangen ist?

Wolfgang Ruppert: Ich habe danach noch relativ häufig als Anästhesist als Honorararzt gearbeitet in Bad Neustadt in der Kreisklinik und im St.-Elisabeth-Krankenhaus in Bad Kissingen. Ab und zu habe ich auch eine Praxisvertretung in Oberthulba gemacht, seit fünf Jahren bin ich in Teilzeit angestellt im Ärztezentrum Hammelburg. Im Januar haben die Hammelburger die Praxis von Bernd Newiger in Maßbach übernommen, da bin ich jetzt auch eineinhalb Tage in der Woche in Maßbach.

Sie haben sich nicht recht vom Arztkittel trennen können. Warum wurde die Praxis Ruppert dann im März 2009 geschlossen?

Verdrießlich war die Bürokratie für uns und das ewige Gezerre mit der Kassenärztlichen Vereinigung (KVB) und den Krankenkassen. Da ging es beispielsweise um Regressforderungen. Wir haben nach Jahren noch einmal 4000 Euro zahlen dürfen für zu viel verordnete Ergotherapien. Der Streit ging Quartal um Quartal. Zum Schluss hätten wir vor den Beschwerdeausschuss der KVB in München gekonnt und dann vielleicht noch vor das Sozialgericht. Am Ende haben wir gesagt, wir bezahlen die 4000 Euro, bevor wir vor Ärger einen Herzinfarkt bekommen.

Sie waren damals 65 Jahre alt, Ihr Bruder Eberhard war noch älter.

Richtig. Irgendwo war es dann auch genug. Wir hatten eine relativ große Praxis und haben - zum Schluss zwar nicht mehr so oft - aber zu Beginn 20 Jahre fast alleine den Notarzt in Bad Kissingen betrieben. Wenn du mit dem Notarztdienst dran warst, warst du durchaus drei Mal in der Nacht unterwegs, und morgens war die Praxis wieder voll. Das war schon heftig. Viel Urlaub konnten wir auch nicht machen, weil den anderen, der in der Praxis geblieben ist, den haben die Patienten dann überrannt.

Sie hatten niemanden gefunden, der die Praxis übernimmt. In der Folge waren die meisten Hausärzte in der Stadt überlaufen beziehungsweise sind es bis heute noch. Es gab Patienten, die noch Jahre später auf der Suche nach einem neuen Hausarzt waren.

Wir werden immer noch angesprochen: "Wir finden keinen Hausarzt, es nimmt uns keiner mehr." Das war schon schwierig für die Patienten. Die anderen Kollegen waren auch voll, und wir hatten rund 3000 Kassenfälle im Quartal, plus zehn Prozent Privatpatienten dazu. Die mussten dann irgendwo unterkommen. Wir haben lange gesucht, um einen Nachfolger zu finden. Wir haben annonciert im Bayerischen und Deutschen Ärzteblatt, im Österreichischen und sogar im Ungarischen.

Der Erfolg blieb aus.

Eine Kollegin aus Berlin hatte sich einmal gemeldet und dann hat sie geschrieben, sie wäre kein Workaholic.

Hat die Größe der Praxis abgeschreckt?

Offensichtlich. Ich verstehe es nicht. Ärzte auf dem Land finden ja auch Nachfolger, und Bad Kissingen ist vom Standort her ja eigentlich besser. Es gibt alle Schulen am Ort. Hausärzte kriegen von der Stadt eine Plakette, damit sie bei Hausbesuchen im Parkverbot stehen dürfen, und sie hatten damals schon eine relativ große Dienstgruppe, so dass Wochenenddienste nicht oft anfielen. Bad Kissingen bietet eine hohe Lebensqualität, egal ob Kultur, Natur, kurze Wege und so weiter. Und unsere Praxis war gut eingeführt.

Ein Selbstläufer?

Am Anfang nicht, wir mussten uns schon hocharbeiten: Jeder Patient hatte vorher schon seinen Doktor gehabt. Was ein Arzt kann, ist für den Patienten oft schwer zu beurteilen, aber er merkt, ob er freundlich behandelt wird, ob die Organisation klappt und ob der Arzt auch nachts und am Wochenende erreichbar ist. Inzwischen ist das ja alles ganz anders. Aus meiner Sicht ist das eine Entwicklung, die für den Patienten sicherlich nicht von Vorteil ist.

Inwiefern? Auch einem Arzt steht seine ungestörte Freizeit zu.

Bei den jungen Kollegen ist die Work-Life-Balance die Richtschnur. Sie wollen Freizeit, und gerade junge Ärztinnen wollen ein Kind kriegen. Sie möchten nicht mehr den Job machen, wie wir ihn gemacht haben, was ich auch verstehe. Die Familie leidet unter dem althergebrachten Hausarzt, wo die Patienten auch am Wochenende oder nachts vor der Türe stehen. Der Doktor war erreichbar für seine Patienten. Die sind heute im Vergleich aber schlechter dran.

Muss ein Arzt ständig erreichbar sein?

Mich stört, dass man jetzt die-sen Riesen-Bereitschaftsdienstbezirk hat. Wer da Dienst hat, fährt locker 100 Kilometer in einer Nacht oder noch mehr. Die Leute warten natürlich entsprechend lange, und das führt dazu, dass dann der Notarzt öfter angefordert wird. Dann machen es die Leute eben dringender, weil der Notarzt gleich kommt. Außerdem sitzen die Patienten in den Krankenhäusern in den Ambulanzen und warten stundenlang, bis sie drankommen.

Gerade auf dem Land gibt es Probleme bei der Versorgung mit Ärzten: Praxen tun sich schwer, Nachfolger zu finden und Kliniken werben Mediziner oft aus dem Ausland an, die zwar fachlich fit sind, aber bei denen es teilweise Sprachbarrieren mit den Patienten gibt.

Das Gesundheitssystem krankt daran, dass wir zu wenig ausbilden. Dass jemand ein Einser-Abitur haben muss, um einen Studienplatz zu kriegen, heißt nicht, dass er hinterher einen guten Arzt abgibt. Das gilt etwa bei der manuellen Geschicklichkeit. Einser-Abiturienten sind oft Theoretiker. Heutzutage muss aber nicht nur der Chirurg geschickt sein, sondern zum Beispiel auch der Internist. Lassen Sie einmal bei sich eine Magen- oder Darmspiegelung machen von einem Arzt, der zwei linke Hände hat. Es ist ein Problem, dass wir ärmeren Ländern die Ärzte abziehen, die dort gebraucht würden, und hier bilden wir keine aus.

Ein zweites Problem ist, dass aus wirtschaftlichen Gründen die medizinische Versorgung auf dem Land zurückgefahren wird, gerade bei der Schließung von Geburtsstationen.

Das ist richtig. Die öffentliche Hand ist oft nicht in der Lage, eine Klinik wirtschaftlich zu führen ohne Gewinnmaximierung, und die Konzerne zeigen ihr dann, wie Geld verdient wird. Da heißt es dann nur noch: Geburtshilfe ist teuer, also wird sie abgeschafft. Das ist dem Konzern egal, denn er muss ja seine Aktionäre bedienen.

Hätte die Politik die Schließung der letzten Geburtsstation im Landkreis verhindern können?

Was hätte die Politik machen sollen? Höchstens die Kosten übernehmen. Sie können den Betreiber nicht zwingen, Defizite zu machen. Es ist traurig, dass es das nicht mehr gibt, denn das treibt ja noch andere Blüten. Wenn eine Frau relativ schnell ein Kind kriegt, könnte sie zwar im Rettungswagen entbinden, aber man kann im Landkreis kein Krankenhaus mehr anfahren, wenigstens zur Zwischenhilfe. Man muss immer nach Schweinfurt oder Bad Neustadt. Es ist für mich eine ungute Entwicklung, dass es nur noch ums Geldverdienen geht.

Sie sind ein politischer Mensch: Was sagen Sie denn zum Nationalpark?
Also ich bin absolut dagegen.

Als passionierter Jäger und Naturschützer?

Auch. In erster Linie halte ich es aber für eine wahnsinnige Steuerverschwendung. Wozu brauchen wir einen Urwald? Den Wald, den wir haben, hat der Mensch gemacht, und wir sollten ihn schonend nutzen und nicht Bauholz aus Weißrussland importieren, wo dann Kahlschlag herrscht. Außerdem heißt es, dass der Nationalpark nicht gegen den Willen der Bevölkerung kommt, und die Bevölkerung in der Rhön ist absolut dagegen.

Zur Bundestagswahl im September: Was müssen die Abgeordneten machen, um die Situation für Ärzte zu verbessern?

Sie müssen zunächst einmal die ganze Geschichte entbürokratisieren. Das wird ja nicht weniger, sondern immer mehr. Der verwalterische Aufwand hält viele davon ab, sich niederzulassen. Ich glaube deshalb, dass medizinische Versorgungszentren die Lösung in Zukunft sein werden, in denen sich der Arzt einen Kaufmann einstellt, der die bürokratische Arbeit macht.


Serie

Vom beliebten Arzt über den Ex-Welthandballer und die Boat-People bis zur ehemals üppigen Kissinger Kinolandschaft: Zum 170. Geburtstag der Saale-Zeitung geht die Redaktion bis Ende des Jahres der Frage nach, was aus Menschen, Gebäuden und Gepflogenheiten von früher geworden ist. Die Serie erscheint alle zwei Wochen immer samstags. Im nächsten Teil am 15. Juli geht es um die alten Bonnländer.
 
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