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Bad Kissingen
Gründe, Klinikkapazitäten, Behandlungsdauer: Ein Bad Kissinger Arzt über den Anstieg bei Depressionen
Die Zahl von Klinikaufenthalten wegen Depressionen steigt stark an. Erfahren Sie, wie die Heiligenfeld-Kliniken in Bad Kissingen damit umgehen und welche Rolle Alkohol spielt.
Immer mehr Menschen in Unterfranken erkranken an Depressionen.       -  Immer mehr Menschen in Unterfranken erkranken an Depressionen.
Foto: Symbolbild: Jonas Walzberg/dpa | Immer mehr Menschen in Unterfranken erkranken an Depressionen.
Amelie Walkenhorst
 |  aktualisiert: 19.03.2025 12:42 Uhr

Die Zahl der stationären Behandlungen wegen depressiver Episoden ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten um 77 Prozent gestiegen – von 147.800 Fällen im Jahr 2003 auf etwa 261.200 im Jahr 2023.

Laut Statistischem Bundesamt (Destatis) nahm die Anzahl solcher vollstationären Behandlungen das dritte Jahr in Folge zu. Auch im Vergleich zu 2022 konnte ein Anstieg von 3,6 Prozent verzeichnet werden.

Sven Steffes-Holländer ist der ärztliche Direktor der Heiligenfeld Kliniken.       -  Sven Steffes-Holländer ist der ärztliche Direktor der Heiligenfeld Kliniken.
Foto: Vincent Mosch | Sven Steffes-Holländer ist der ärztliche Direktor der Heiligenfeld Kliniken.

Verändertes Diagnoseverhalten und mehr gesellschaftliche Akzeptanz

Der 50-jährige Sven Steffes-Holländer ist seit acht Jahren in den Heiligenfeld-Kliniken tätig. Als ärztlicher Direktor ist er für acht Kliniken zuständig. Außerdem leitet er als Chefarzt seit ihrer Gründung die Heiligenfeld-Klinik Berlin. Er kann erklären, weshalb die Zahl der stationär behandelten Patienten vor allem in den letzten Jahren stark angestiegen ist.

„Ein erster Grund könnte eine höhere Sensibilisierung und damit einhergehend eine gesteigerte gesellschaftliche Akzeptanz, für das Thema sein.“ Der Chefarzt sieht einen klaren Zusammenhang zwischen Aufklärungskampagnen und dem gesteigerten Bedarf an stationären Behandlungen.

Gründe für die Zunahme psychischer Erkrankungen

„Früher blieben Depressionen länger unerkannt“, berichtet Steffes-Holländer. „Lange wurde die Erkrankung als nicht behandlungsbedürftig eingeschätzt. Mit den Jahren ist die Diagnose umfänglicher geworden. Durch eine gesteigerte Qualifikation, psychische Erkrankungen als solche zu diagnostizieren, kann ein früheres präziseres Erkennen ermöglicht werden.“

Ein stetig wachsendes Potenzial für psychische Belastungen, oft ausgelöst durch wirtschaftliche Unsicherheit, den Druck zur ständigen Erreichbarkeit und weitere emotionale Stressfaktoren stellen laut Steffes-Holländer wesentliche Gründe für die Zunahme psychischer Erkrankungen dar.

So lange dauert die Behandlung von Depressionen

Die Behandlungsdauer bei Depressionen liegt laut Steffes-Holländer bei sechs bis acht Wochen. „Vor 20 Jahren war diese noch deutlich länger. Aber durch den vermehrten Druck, vor allem durch Kassen und sonstige Kostenträger, wird diese immer kürzer.“

Die Behandlungsdauer bei Depressionen ist gemäß dem Statistischen Bundesamt fünfmal so lang wie bei anderen stationären Behandlungen. Sven Steffes-Holländer erklärt, dass es für Depressionen keine einfache Lösung gebe, etwa einen einfachen operativen Eingriff.

„Selbst bei einem simplen medikamentösen Eingriff durch die Einnahme von Antidepressiva kann es zwei bis vier Wochen dauern, bis die gewünschte Wirkung einsetzt“, so der Mediziner. „Genau deswegen erfordern Depressionen nachhaltige Lösungen – und diese benötigen eben Zeit.“

Kapazitäten und Erweiterung bei Heiligenfeld

Die Heiligenfeld-Kliniken in Bad Kissingen haben eine Auslastung von 100 Prozent (Stand März 2025). Aufgrund dessen nimmt die Fachklinik Heiligenfeld bevorzugt Menschen aus Bayern auf. Die Wartezeiten in den vier Kliniken in Bad Kissingen variieren je nach Kostenträger. Privatversicherte können in der Parkklinik zeitnah aufgenommen werden. 

Laut Steffes-Holländer wird eine Erweiterung der Kapazitäten bei weiterer anhaltenden Nachfrage in Erwägung gezogen, insofern es eine politische Zustimmung dafür gibt. Einen konkreten Zeitplan gibt es diesbezüglich aber noch nicht.

Teufelskreis Alkohol

Alkohol korreliert laut Steffes-Holländer häufig mit Depressionen. „Betroffene sehen oder haben keine andere Möglichkeit und nutzen die Droge als eine Art Selbstmedikation, um mit Gefühlen wie Stress oder Einsamkeit umgehen zu können.“

Im Jahr 2023 belief sich der Anteil der alkoholbedingten psychischen Erkrankungen laut dem Statistischen Bundesamt auf rund 22 Prozent der insgesamt rund 1,05 Millionen Krankenhausbehandlungen.

Die Heiligenfeld-Kliniken schreiben hierzu eine Abstinenz vor der Aufnahme vor. Je nach Schwere ist vorher eine Entgiftungsbehandlung nötig. Steffes-Holländer betont: „Eine Behandlung ist nicht effektiv und nachhaltig, solange Betroffene noch aktiv Alkohol konsumieren.“

Behandlung-Angebote und innovative Neuheiten

Die Heiligenfeld-Kliniken bieten Einzel- sowie Gruppenpsychotherapien an. Sie versuchen hier vor allem einen Fokus auf die Integration von achtsamkeitsbasierten Verfahren zu setzen. Patienten sollen dabei lernen, wie sie mit ihren Gedanken und Gefühlen umgehen können.

Zu den kreativen und körpertherapeutischen Angeboten gehören Tanztherapien, Naturtherapie sowie kunsttherapeutische Angebote. In der Sozialtherapie soll den Betroffenen unter anderem geholfen werden, sich wieder in den beruflichen Alltag einzugliedern.

Neu dazugekommen ist die tierbegleitete Therapie. „Diese bietet die Möglichkeit, sein eigenes Haustier im Zeitraum des Aufenthaltes mitzunehmen. Häufig wirken die Tiere als eine Art stabilisierender Faktor“, so der ärztliche Direktor. „Innovative Behandlungsmöglichkeiten wie die Online-Therapie können in unversorgten Gebieten eine gute Möglichkeit sein, Zeit bis zu einer stationären Aufnahme zu überbrücken.“

Prävention und Früherkennung

Steffes-Holländer schätzt die Verbreitung von Informationen über psychische Erkrankungen als den entscheidendsten Faktor für eine frühzeitige Erkennung und Aufklärung ein.

„Präventiv wirkt vor allem das Lernen und Lehren von Achtsamkeit“, findet der Chefarzt. Lehrkräfte spielen für ihn eine wichtige Rolle in der Aufklärung. Hierzu zählt vor allem das Lehren, wie die Schülerinnen und Schüler richtig mit ihren Gefühlen umgehen können. Auch Firmen sollten Kurse anbieten, um die Angestellten zu lehren, wie sie beispielsweise mit Stress oder anderen emotionalen Sorgen umgehen können.

Wirtschaftliche Belastung von Depressionen

Depressionen sind eine psychische Erkrankung, die in Deutschland häufig mit hohen Kosten verbunden ist. Insgesamt beliefen sich laut Destatis die Krankheitskosten für Depression im Jahr 2020 auf 9,5 Milliarden Euro. Auch hier mache sich ein exponentieller Anstieg bemerkbar. Zum Vergleich: Die Kosten lagen im Jahr 2015 bei 7,6 Milliarden Euro.

Die Kosten für Depressionsbehandlungen werden laut Helga Leirich, Pressereferentin der AOK Bayern, vollumfänglich vergütet. „Wir übernehmen diese, sofern die Versicherten bei zugelassenen Leistungserbringern gemäß Sozialgesetzbuch (SGB) V behandelt werden. Einschränkungen bestehen nicht. Eine Differenzierung nach Schweregrad erfolgt auch nicht.“

Versorgungslage in Deutschland

Leirich schätzt die Versorgungslage in Deutschland als gut ein. „Erhalten Versicherte keinen zeitnahen Termin bei einem Facharzt, kann der Hausarzt eine Überweisung mit Dringlichkeitsvermerk ausstellen. Die Kassenärztliche Vereinigung hat dann innerhalb von vier Wochen einen Termin beim Facharzt zu vermitteln.“

Angebote zur psychischen Gesundheit

Im Bereich betriebliche Gesundheitsförderung bietet die AOK Angebote zur psychischen Gesundheit in Betrieben an. Weitere Informationen gibt es unter www.aok.de und auf dieser Internetseite der AOK . 

Das AOK-eigene Produkt Moodgym ist eine Onlineplattform, die kostenlos als Hilfe zur Vorbeugung und Verringerung von depressiven Symptomen genutzt werden kann. Dieses Programm sollte allerdings nur als eine Ergänzung zur Selbsthilfe betrachtet werden. Weitere Infos: Moodgym

Darüber hinaus unterstützt die AOK Angehörige von an Depression Erkrankten .

Unabhängig davon gibt es in Bayern zahlreiche Selbsthilfeangebote zum Thema Depression. Hier finden Sie weitergehende Informationen dazu .

 
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