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Bad Kissingen
Bad Kissingen: Ehepaar aus USA auf den Spuren der jüdischen Verwandten
Gavin und Debbie Peacock - Stolperstein-Paten aus Kalifornien - besuchten Bad Kissingen, wo Debbies Ururgroßmutter und Urgroßtante lebten. Tante Else nahm sich im Ghetto Theresienstadt das Leben.
Debbie Peacock, geborene Lowe, mit Ehemann Gavin, sitzen neben dem Stolperstein von Urgroßtante Else Löwinsky       -  Debbie Peacock, geborene Lowe, mit Ehemann Gavin, sitzen neben dem Stolperstein von Urgroßtante Else Löwinsky
Foto: Sigismund von Dobschütz | Debbie Peacock, geborene Lowe, mit Ehemann Gavin, sitzen neben dem Stolperstein von Urgroßtante Else Löwinsky
Sigismund von Dobschütz
 |  aktualisiert: 30.10.2024 02:45 Uhr

Insgesamt 74 Stolpersteine verlegte der Kölner Künstler Gunter Demnig im Auftrag einer Initiative von Bad Kissinger Bürgerinnen und Bürgern in den zehn Jahren von 2009 bis 2018 zur Erinnerung an vom Nazi-Regime deportierte und ermordete jüdische Einwohner der Kurstadt vor deren jeweils letztem freiwillig gewählten Wohnsitz. Wie wichtig diese Aktion gerade für Angehörige nachfolgender Generationen ist, zeigt sich immer wieder bei deren Besuchen in Bad Kissingen.

So war es auch diesmal, als kürzlich das kalifornische Ehepaar Gavin (63) und Debbie Peacock (57) im Rahmen ihrer zweiwöchigen Deutschland-Reise für einige Stunden die Lebensstationen von Rosamunde Löwinsky (1861 bis 1940) und deren jüngster Tochter Else (1883 bis 1942) in Bad Kissingen aufsuchten.

Schon im Frühsommer 2016 war Gavin Peacock allein in die Kurstadt gekommen, um sich von Sigismund von Dobschütz , der im Herbst 2008 die Bad Kissinger Stolperstein-Initiative gegründet hatte, die Spuren der Löwinsky-Familie zeigen zu lassen. Familienforscher Peacock recherchierte damals über die Familie seiner Ehefrau Debbie, geborene Lowe, deren Großvater Walter Löwinsky und Enkel von Rosamunde Löwinsky nach seiner Emigration in die USA im Jahr 1931 seinen Namen hatte in Lowe ändern lassen.

Viele Familienmitglieder schon zu Besuch in der Kurstadt

Peacock war es auch, der 2016 die Patenschaft für den Stolperstein zur Erinnerung an Else Löwinsky übernommen hatte. Ihm folgten als Kissingen-Besucher im Herbst 2016 Jamie Lowe, Debbies Kusine, dann im Sommer 2017 deren Vater Stephen Lowe sowie im Herbst desselben Jahres noch Debbies Vater Peter Lowe.

Diesmal ließ sich nun Debbie Peacock in Begleitung ihres Mannes auf einem mehrstündigen Stadtrundgang die Lebensstationen ihrer Ururgroßmutter Rosamunde und deren Tochter Else zeigen.

Auf den Spuren der Ururgroßmutter

Schon bald nach 1900 muss die Berliner Familie Löwinsky mehrmals zur Sommerfrische in Bad Kissingen gewesen sein, weiß Gavin Peacock. Fest steht jedenfalls, dass Rosamunde Löwinsky, seit 1895 bereits verwitwet, während der Sommermonate 1913 in der Salinenstraße 11 gemeldet war. Auch im nächsten Sommer lebte sie dort, diesmal in Begleitung ihrer Tochter Else.

Im April 1915 übernahm Rosamunde als Hotelière den Betrieb des Hotels Herzfeld in der Maxstraße 9, heute das Vordergebäude des Hotels Bayerischer Hof. Als Besitzer war allerdings Gustav Löwinsky eingetragen, ein Bruder ihres verstorbenen Ehemannes Isidor.

"Eine sehr tatkräftige Frau"

 „Rosamunde muss wohl eine sehr tatkräftige Frau gewesen sein“, stellte Ururenkelin Debbie mit Blick auf das Haus voller Bewunderung fest, „Schließlich hat sie als Witwe ganz allein den Geschäftsbetrieb gemeistert.“ Unterstützt wurde die Hotelière nur von ihrer zeitlebens unverheiratet gebliebenen Tochter Else.

Ende 1920 gaben die beiden Löwinsky-Frauen das Haus in der Maxstraße auf, nachdem Rosamunde das aus mehreren Gebäuden bestehende Hotel Schmitt vom Eigentümer Hermann Schmitt im Marbachweg 2 erworben hatte. Am 1. Januar 1921 eröffneten die beiden Frauen dort ihr „Hotel Löwinsky“.

Zwölf Jahre später, als Rosamunde im Jahr 1932 im Alter von 71 Jahren in den Ruhestand gehen wollte, verkaufte sie das Hotel an die Süddeutsche Vermögensverwaltungsgesellschaft „Tutella“. Erste Gebäudeteile wurden bereits 1938, der Rest im Jahr 1960 abgerissen. Seitdem diente das freie Grundstück als Parkplatz dem Sanatorium Fürstenhof. Auf ihrem Stadtrundgang blieb Debbie Peacock nur noch ein zusammengefallenes, verrostetes Eingangstor als Erinnerungsstück an die damalige Zeit.

Nach Aufgabe des Hotels mieteten Rosamunde und Tochter Else eine Wohnung im Haus des jüdischen Kunsthändlers David Kugelmann in der Theresienstraße 2, das heute als Casa & Restaurant da Vito (Balthasar-Neumann-Promenade) firmiert.

Stolperstein an der Unteren Marktstraße

Nach dem Tod ihrer Mutter am 18. Dezember 1940, wechselte Tochter Else in das Wohnhaus des jüdischen Kaufmanns Samuel Hofmann in der Unteren Marktstraße 3, an dessen Stelle heute die Filiale der Merkur Bank steht. Am dort verlegten Stolperstein gedachten Debbie und Gavin Peacock ihrer Urgroßtante Else Löwinsky.

Freitod im Ghetto Theresienstadt

Sie war nach nur acht Monaten im Mai 1942 ins jüdische Altersheim in Würzburg verbracht und weitere vier Monate später am 23. September 1942 ins Ghetto Theresienstadt deportiert worden, wo sie schon drei Wochen später am 12. Oktober den Freitod wählte.

Der Rundgang durch die Stadt rief bei Debbie Peacock Erinnerungen an ihren geliebten Großvater Walter hervor, wie sie beim Essen im Restaurant da Vito erzählte – in jenem Haus also, wo 1940 ihre Ururgroßmutter Rosamunde gestorben war. „Er hat seit seiner Emigration niemals über Deutschland gesprochen. Aber er schwärmte für deutsche Opernmusik“, berichtet Enkelin Debbie. 

Erst als ihr Ehemann Gavin im Rahmen seiner Familienforschung beim Großvater nachfragte, holte dieser sein altes Fotoalbum heraus, zeigte Kissinger Ansichten und erzählte von seinen häufigen Besuchen als Kind mit Mutter Martha in den Sommerferien bei Großmutter Rosamunde in deren Hotel.

Bad Kissingen "glückliches Kapitel unserer Familiengeschichte"

„Mein Großvater hat sich in Bad Kissingen immer sehr wohl gefühlt“, erzählte Debbie nun mit Blick auf den blühenden Rosengarten. „Rosamundes Zeit in Bad Kissingen waren ein glückliches Kapitel unserer Familiengeschichte. Dies jetzt selbst zu erleben, macht auch mich glücklich“, beschrieb sie ihr Gefühl beim Abschied.

Hinweis: Die Lebensläufe von Rosamunde Löwinsky (1861 bis 1940) und Tochter Else (1883 bis 1942) sind im Internet im „Biografischen Gedenkbuch der Bad Kissinger Juden während der NS-Zeit“ zu finden: www.biografisches-gedenkbuch-bk.de

Hinweis: Der Autor dieses Textes, Sigismund von Dobschütz , hat im Herbst 2008 die Bad Kissinger Stolperstein-Initiative gegründet

 

Stolperstein zur Erinnerung an Else Löwinsky (1883-1942) vor dem Haus Untere Marktstraße 3, verlegt im Sommer 2016       -  Stolperstein zur Erinnerung an Else Löwinsky (1883-1942) vor dem Haus Untere Marktstraße 3, verlegt im Sommer 2016
Foto: Sigismund von Dobschütz | Stolperstein zur Erinnerung an Else Löwinsky (1883-1942) vor dem Haus Untere Marktstraße 3, verlegt im Sommer 2016
Debbie Peacock, geborene Lowe, am zerfallenen Eingangstor zum einstigen Hotel ihrer Ururgroßmutter Rosamunde Löwinsky, Marbachweg 2       -  Debbie Peacock, geborene Lowe, am zerfallenen Eingangstor zum einstigen Hotel ihrer Ururgroßmutter Rosamunde Löwinsky, Marbachweg 2
Foto: Sigismund von Dobschütz | Debbie Peacock, geborene Lowe, am zerfallenen Eingangstor zum einstigen Hotel ihrer Ururgroßmutter Rosamunde Löwinsky, Marbachweg 2
Historische Ansicht des einstigen Hotels Schmitt - ab 1921 Hotel Löwinsky – am Marbachweg 2       -  Historische Ansicht des einstigen Hotels Schmitt - ab 1921 Hotel Löwinsky – am Marbachweg 2
Foto: Sigismund von Dobschütz | Historische Ansicht des einstigen Hotels Schmitt - ab 1921 Hotel Löwinsky – am Marbachweg 2
Rosamunde Löwinsky mit ihrem Enkel Walter, dem Großvater von Debbie Peacock       -  Rosamunde Löwinsky mit ihrem Enkel Walter, dem Großvater von Debbie Peacock
Foto: Sigismund von Dobschütz | Rosamunde Löwinsky mit ihrem Enkel Walter, dem Großvater von Debbie Peacock
 
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