"Sie war warmherzig, großzügig, hatte einen pfiffigen Humor und hatte, auch wenn sie gern präsent war, eine gewisse Bodenständigkeit. Ich habe sie sehr gemocht", sagt der Bad Kissinger Künstler Lothar Gärtner, Weggefährte und Freund von Johanna Keul. "Ihr Charakter hat mich fasziniert. Die Begegnungen mit ihr waren ein Erlebnis."
Johanna Keul, geborene Licha, war Bad Kissinger Geschäftsfrau, langjährige Stadträtin, erste Kandidatin bei einer Bürgermeisterwahl in Bad Kissingen, zwölf Jahre lang dritte Bürgermeisterin als erste Frau in der Stadtgeschichte , Familienmensch, alleinerziehende Mutter und Oma mit Leib und Seele.
"Sie war nicht der Typ, der mitläuft, wenn, dann marschierte sie vorneweg", charakterisiert Michael Keul, ältester Sohn von Johanna Keul, schmunzelnd seine Mutter.
"Sie war eine starke, selbstbewusste Frau. Sie war das bestimmende Element in der Familie und fehlt uns als Mutter und als Oma." Sein jüngerer Bruder Christian Keul kann das nur bestätigen: "Sie war eine starke alleinerziehende Mutter und hat uns zu selbstständigen Kindern erzogen."
Fast Bad Kissingerin
„Wäre ich kein Winterkind, wäre ich eigentlich eine richtige Kissingerin“, hatte Johanna Keul einmal verlauten lassen. Ihre Mutter Johanna Licha, eine geborene von Rößler, betrieb das 1898 von Großmutter Franzi von Rößler in Bad Kissingen gegründete „Böhmische Spitzenlager Franzi von Rößler“, allerdings nur in der vier- bis fünfmonatigen Kursaison im Sommer.
Geboren wurde Johanna Keul im Januar 1940 in Weißensulz im Böhmerwald und wuchs in Bad Kissingen auf. Im Frühjahr 1945 verließ das fünfjährige „Hannerl“ zusammen mit ihrer Mutter die alte Heimat im heutigen Tschechien und kam über Umwege nach Bad Kissingen.
Nach der Schule in Bad Kissingen und Schweinfurt trat die 18-Jährige in die Fußstapfen ihrer Vorfahren und half im nun ganzjährig geöffneten „Spezialgeschäft in feinsten Handarbeiten“.
1961 heiratete sie und brachte zwei Söhne, Michael und Christian, auf die Welt. Kurze Zeit später ließ sie sich scheiden und übernahm 1974 nach dem Tod ihrer Mutter die Firma.
Alleinerziehend und Geschäftsfrau
"Das war damals natürlich nicht so einfach als alleinerziehende Mutter ein Geschäft zu übernehmen, aber sie hat sich ihren Erfolg von der kleinen Verkäuferin zur Unternehmerin erarbeitet", erzählt Christian Keul.
Das Geschäft habe immer alles dominiert, gemeinsame Urlaub gab es selten. "Einmal sind wir mit dem VW-Käfer in den Ski-Urlaub nach Sankt Moritz gefahren", erinnert sich Keul, "da hatten wir unsere Mutter zum ersten Mal zwei Wochen allein und sie hat dort als 33-Jährige das Skifahren gelernt."
Michael Keul ist ihr für die Freiheiten in seiner Kindheit dankbar: "Sie hat uns machen lassen und nicht irgendwo hineingezwängt." Schön findet er auch, dass seine Eltern nach der Scheidung weiterhin Kontakt hatten, er und sein Bruder die Schulferien beim Vater verbrachten und sie somit schon in den 70er Jahren eine gute Patchwork-Familie bildeten.
"Für die Kissinger war es schon kurios, als meine Mutter mit ihrem neuen Partner und meinem Vater zur Abifeier des Sohnes kam – da war sie unkonventionell."
In den folgenden Jahren baute sie ihr kleines Imperium mit 35 Mitarbeiterinnen immer weiter aus und erschloss sich neue Einkaufsquellen in Asien. Neben Bad Kissingen entstanden Filialen in Bad Brückenau, Bad Orb, Würzburg und kurzfristig in Wiesbaden.
Gründerin der DBK
1984 wurde sie Stadträtin zunächst für UdV/Bad Kissinger Neubürger. Unter dem Titel "Eine Frau, die ihren Mann steht" zog sie auf Anhieb als eine der wenigen Frauen in den Bad Kissinger Stadtrat ein.
1990 gründete sie zusammen mit dem Internisten Karl Lechmann die unabhängige Wählergemeinschaft Demokratische Bürger Kissingen (DBK). "Wenn meine Mutter nach ihren Hobbys gefragt wurde, antwortet sie: ‚Mein Golfplatz ist das Rathaus‘", berichtet Sohn Michael augenzwinkernd.
Sie habe ihre eigenen Vorstellungen gehabt und wollte sich von ihrem gesunden Menschenverstand leiten lassen und nicht von parteipolitischen Zwängen. Deshalb gründete sie die Wählergruppierung, die sich auf Lokalpolitik beschränkt. "Ihr politisches Schaffen galt nur Bad Kissingen", so Keul.
Erste Bürgermeisterin
Die "Frontfrau der DBK" kandidierte 1996 als erste Frau in Bad Kissingen als Oberbürgermeisterin. "Sie hat es geliebt im Mittelpunkt zu stehen, auch wenn sie wusste, dass sie keine Chance hatte. Aber für die Wählergruppierung DBK war es gut", erzählt der älteste Sohn.
Unter Oberbürgermeister Christian Zoll ( SPD ) und Bürgermeister Alfred Wacker ( CSU ) wurde Johanna Keul erste Bürgermeisterin in Bad Kissingen überhaupt.
In dieser Zeit lernte Lothar Gärtner Johanna Keul kennen. "Ich habe sie bei der Wahlkampftour begleitet, aber auch bei Tanzveranstaltungen, beim Rakoczy-Fest und Ausstellungen. Wir haben viel Zeit miteinander verbracht, viel geredet und viel gelacht", berichtet Gärtner. "Sie hat über den Tellerrand hinausgeschaut, war tolerant und hatte Verständnis für Andersdenkende. Sie passte in die Welt."
Als Mitglied und Gönnerin engagierten sie sich in vielen Verbänden und Vereinen, unter anderem in der Sudetendeutschen Landsmannschaft, beim Roten Kreuz und im Verband der deutschen Unternehmerinnen.
Ab 2008 First-Class-Oma
2008 wurde Johanna Keul aus dem Stadtrat verabschiedet und trug sich ins Goldene Buch der Stadt ein. Sohn Christian übernahm die Firma und Johanna Keul ging ganz in der Rolle der Oma auf. "Sie war eine First-Class-Oma, für die Enkel hat sie alles gemacht", erzählt Michael Keul.
Auch die letzten Jahren waren geprägt von großer Lebensfreude. "Überall da, wo Leben war, war meine Mutter. Natürlich hat sie unter den gesundheitlichen Einschränkungen gelitten, aber sie war immer geistig fit und wollte so lange wie möglich selbstbestimmt leben."
Am Vortag hatte sie noch mit ihrer jüngsten Enkelin Mensch-ärgere-Dich-nicht gespielt. Sie ist im Schlaf verstorben.