"Die Bundesrepublik Deutschland und die Europäische Union sind kein Selbstzweck", sagte Prof. Dr. Peter M. Huber bei seinem Festvortrag zum 70-jährigen Bestehen der Bildungsstätte Heiligenhof in Bad Kissingen und ergänzt: "Staatliche Gebilde sind für den Menschen da, nicht umgekehrt!" Kritisch mit der europäischen Struktur und deren Abläufen, engagiert für die "EU als Garant für Frieden" und kompetent aufgrund zwölfjähriger Tätigkeit als Richter am Bundesverfassungsgericht - so präsentierte sich der Festredner als "EU-Experte" den 100 geladenen Gästen.
70 Jahre Heiligenhof unter der Trägerschaft der Stiftung Sudetendeutsches Sozial- und Bildungswerk sowie 20 Jahre Akademie Mitteleuropa - dies waren die Anlässe für die Festveranstaltung, zu der Dr. Günter Reichert die Gäste begrüßte. Die Bedeutung der Bildungsstätte erkenne man nicht nur an der langen Zeitdauer ihres Bestehens, sondern auch dank eines Blickes nach draußen: Dort entsteht zur Zeit ein Anbau mit Küche, Speisesaal und Seminarräumen, der den Heiligenhof mit seinen vielfältigen Angeboten in die Zukunft tragen werde.
"Die europäische Union ist für die Menschen da" - so die Thematik des Festvortrages und gleich zu Beginn kündigte Huber an, dass es eine Reflexion aus seinem zwölfjährigen Richteramt am Bundesverfassungsgericht werde, in dem er sich intensiv mit europäischen Entscheidungen befassen musste. "Die Intension aller europäischen Verträge ist die Frage, wie können die Menschen nach ihrer Fasson glücklich werden", so Dr. Huber. Doch dieser grundsätzlich positive Ansatz entspreche nicht mehr dem Status Quo: "Es gibt eine Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit." Beispielhaft nannte Dr. Huber den Brexit , der noch nicht verarbeitet sei und dessen Ursache er sowohl bei der britischen Elite als auch bei europäischen Entscheidungsträgern sieht.
Schlechtes Zeugnis für Geldpolitik
Unter anderem diagnostizierte er zudem ein "Vollzugs-Defizit", denn Normen werden nicht umgesetzt beziehungsweise seien nicht durchsetzbar. Als Beispiel nannte er die Flüchtlingsströme und das zugrunde liegende "Dublin-III-Abkommen", dass das Asylverfahren dem Land zuordnet, wo die Flüchtlinge ankommen.
Ebenso stellte er der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank ( EZB ) ein schlechtes Zeugnis aus - sowohl für die vergangenen Jahre als auch für die aktuelle Bekämpfung der Preissteigerungen. "Preisstabilität ist das wesentliche EZB-Ziel", so Hubers Diagnose, "jedoch ist die explodierende Geldpolitik inflationsfördernd gewesen".
"Brüssel und Luxemburg sind nicht Europa", so Hubers Statement. Vielmehr sei es "eine Blase, die nicht weiß, was bei den übrigen 450 Millionen EU-Bürgern los ist". Dies dokumentieren Umfragen, die eine Vertrauenskrise in Bezug auf die EU sehen, wenn nur noch ein Drittel der EU-Bürger Vertrauen in die Institution "Europäische Union" haben. Damit verbunden sei auch das "Gefühl, bei der EU geht es immer um Aufbruch, um das nächste Projekt". Beispielhaft nannte er die angestrebte Digitalisierung Europas, wobei "aber zu viele Baustellen zurückbleiben". Damit steige das Risiko, dass die EU zum Selbstzweck werde und immer da, wo "politische Herrschaft nicht mehr als legitim angesehen wird, verliert der Staat an Akzeptanz und es kommt zum Aufbegehren der Bürger".
Lösungsansätze sind vorhanden
Lösungsansätze sieht der Referent unter anderem im Subsidiaritätsprinzip, das den Ländern ein Maß an Selbstbestimmung lässt und die EU nur dort agiert, wo es die Staaten überfordert oder gemeinsames Handeln notwendig ist. Eine Flut von Rechtsvorschriften führe zum "Herzinfarkt des Rechtsstaates", so Hubers Überzeugung, und deshalb sollte man nur "Dinge regeln, die einen Mehrwert für den Menschen haben".
EU neigt zur Überregulierung
Daraus ergebe sich für alle Beteiligten eine "Win-Win-Situation", doch leider habe die EU eine Neigung zur Überregulierung und am Beispiel des Vergaberechts erkenne man: "Nichts wird erledigt." Den EU-Ländern gab er den Rat, die europäische Sichtweise bei ihren nationalen Entscheidungen im Blick zu haben. Trotz aller Kritik sei die Europäische Union unverzichtbar, so Hubers Fazit: "Sie ist Garant für Frieden und Wohlstand, auch wenn Verschleißerscheinungen erkennbar sind." Dank für den "engagierten und hochkompetenten Vortrag" kam von Hans Knapek, Vorsitzender des Sudetendeutschen Sozial- und Bildungswerks. Aus dem Gesagten lasse sich der Bildungsanspruch des Heiligenhofs ableiten. "Wir sollten konstruktiv um die Zukunft Europas ringen", meinte er.
Hintergrund: Was ist der Heiligehof eigentlich?
Der Heiligenhof
Rückblick: Im Jahr 1952 wurden der Heiligenhof und das umliegende Areal vom damaligen Verein "Sudetendeutsches Sozialwerk" erworben und im gleichen Jahr unter dem Motto "Sudetendeutsche Heimstätte europäischer Jugend" in Betrieb genommen. Schnell entwickelte sich der Heiligenhof zum Zentrum der Bildungsarbeit der Sudetendeutschen Jugend. Im Laufe der Jahrzehnte wurde er Stück für Stück um An- und Neubauten ergänzt sowie durch eine kontinuierliche Modernisierung den Anforderungen an eine moderne Bildungs- und Begegnungsstätte für alle Generationen angepasst. Parallel dazu erfolgte die Veränderung sowohl der Bildungsarbeit von der Heimat- zur Europakunde als auch der Zielgruppen weit über den Kreist der Heimatvertriebenen, Flüchtlinge und Spätaussiedler hinaus.
Mit vier Stichworten könnte man die 70-jährige Entwicklung auf dem Heiligenhof laut Flyer so umschreiben: Sudetendeutsche Persönlichkeitsbildung - Vermittlung der Demokratie - Überwindung der deutschen und europäischen Teilung - Begegnung mit den Nachbarn im östlichen Europa. Die Bildungsarbeit wurde durch die vor 20 Jahren erfolgte Gründung der Akademie Mitteleuropa e. V. ergänzt und professionalisiert, was zur Zukunftsaufstellung beigetragen hat.