
Die Dragqueens Dawn van Doom, Kay P. Rinha und Christal waren zweifelsohne der Hingucker am Eröffnungswochenende des Kissinger Sommers. Die bunte Truppe aus Berlin hatte sich unter die Gäste gemischt, Schokolade verteilt, beim Rave abgetanzt und war bereitwilliges Fotomotiv für viele. Im echten Leben heimsten die drei viele Komplimente für ihre fantasievollen Kostüme ein – im Netz wurden sie beleidigt. Nachgefragt: Wie war das Wochenende denn für Sie, Dawn van Doom?
Wie haben denn die Gäste des Kissinger Sommers auf Sie reagiert?
Dawn von Doom: Am Anfang bemerkten wir schon eine gewisse Scheu der Menschen. Sie musterten uns aus der Distanz, schauten verstohlen, machten heimlich Fotos. Ab dem Moment, als wir drei – Kay P. Rinha, Christal und ich – das bemerkten, sind wir offensiv auf die Menschen zugegangen, haben ihnen angeboten, doch ein Foto mit uns zu machen. Und als das die ersten taten, kamen immer mehr, die sich trauten. Zum Schluss kamen wir kaum noch von der Fotowand weg.

Ich habe Sie oft im Zwiegespräch gesehen. Um was ging es denn in den Gesprächen?
Die Leute hatten großes Interesse, vor allem, was unser Make up betrifft. Wie viel Zeit wir dafür benötigen, wollten sie vor allem wissen.
Und? Wie lange stehen Sie im Bad?
Für die Schmetterlingsverkleidung sind es tatsächlich vier Stunden, für die anderen Motive eher nur drei.
Ging es auch um die Kunstform der Dragqueen?
Ja, auch das wollten die Menschen wissen. Rückblickend waren die Reaktionen auf uns überwiegend positiv, allerdings nicht alle.
Was mussten Sie sich denn anhören?
Naja, es waren vor allem der Ton und Formulierungen wie „was seid ihr denn überhaupt“ oder „was soll das denn jetzt hier?“. Wenn wir dann erklärten, dass wir nur uns selbst darstellen und nichts anderes, da gab es schon mal Unverständnis oder einen abrupten Gesprächsabbruch. Eine Situation war sehr hässlich. Ich stand neben Kay. Eine Frau sagte zu uns: „Und was soll das jetzt darstellen? Dick und dünn, oder was?“ Aber Kay hat super pariert.
Wie hat sich Kay denn gegen die abwertende Äußerung, die sich auf sein Aussehen bezieht, gewehrt?
Kay ist da klasse und sagte „Ja, oder auch einfach fett“.
Das Selbstbewusstsein muss man dann haben.
Ja, das hat Kay glücklicherweise. Auch wenn auf einen abwertenden Kommentar 20 positive kommen, bin ich da immer im ersten Moment sprachlos, das muss sich erst setzen. In meiner kleinen, naiven Welt gibt es das nicht, da spricht man Menschen so nicht an, ganz einfach.
Leben Sie von Ihren Auftritten als Dragqueen?
Nein, das geht noch nicht. Seit einem Jahr trete ich öffentlich auf, unter anderem in der von kay mitorganisierten „Trash Deluxe“-Show in Berlin. Das ist eine offene Bühne für Drag und Burlesque. Die Show hält sich mittlerweile seit 13 Jahren, was im schnelllebigen Berlin wirklich eine kleine Sensation ist.
Es geht Dragqueens ja keineswegs darum, sich nur zu verkleiden, richtig?
Stimmt genau. Mein Drag ist keine Verkleidung, ich bin dann eine andere Person als mein Alltags-Ich. Es ist auf jeden Fall eine Kunstform, die traditionelle Geschlechterrollen entlarvt und gesellschaftliche Normen hinterfragt. Durch meine Optik spiele ich mit typischen Attributen, die die Gesellschaft als weiblich festgelegt hat. Ich als Mann hinterfrage mit meinem Kostüm: Warum soll das jetzt weiblich sein, nur weil ich als Mann das trage? Mein Kleid, meine künstlichen Fingernägel, mein Make up – nur, weil es gesellschaftlich als weiblich klassifiziert ist, muss das noch lange kein rein weibliches Attribut sein. Oder anders herum gefragt: Warum kann ich als Mann nicht selbst entscheiden, was ich als männlich betrachte? Das muss niemand anderer für mich entscheiden.
Wie sehr unterscheidet sich die Kunstfigur Dawn vom real existierenden, bürgerlichen Martin?
Dawn ist ein Teil von Martin, der ganz eigenständig existiert.

Und was macht Martin im normalen Leben?
Ich bin Kommunikationsfachmann, hauptsächlich im kulturellen Bereich.
Hat Dawn van Doom Vorbilder, beispielsweise Olivia Jones?
Tendenziell möchte ich gar nicht berühmt werden. Ich bin hauptsächlich eine Performance-Queen mit meinen Auftritten und Shows. Ich darf meine politische Kunstform auf die Bühne bringen – das sehe ich als Privileg und ist mein Fokus.
Ein Protest in Pumps gegen Konformismus?
Ja und ein. Ja, es ist Protest und der kommt oft auf Pumps dahergestöckelt. Aber das zeigt die Diversität der Szene nicht. Neben Drag Queens gibt es unzählige Drag-Kings, Drag-Creatures, die nichts menschliches mehr haben, nicht-binäre Performer:innen und …
…ganz schön kompliziert, diese Diversität. Früher war die Welt gefühlt und aus der Sicht einer Durchschnitts-Hete ein bisschen einfacher.
Ja, das kann ich verstehen. Aber ich verspreche Ihnen: Das lernen Sie noch. Das wird sich mit der Zeit geben und ist gar nicht so kompliziert.
Sie sind 27 Jahre alt. Was haben Ihre Eltern gesagt?
Ich habe das ganz große Glück, dass ich vom ersten Moment von meiner gesamten Familie unterstützt wurde. Trotzdem habe ich ihnen dieses Buch geschenkt: „Erklärs mir, als wäre ich 5: Gender, Diverstity und LGBTQIA*“ aus dem Riva-Verlag– ab da waren keine Fragen mehr offen. Als mein Vater seinen 60. Geburtstag groß feierte, trat ich als Dawn van Doom auf – alle waren hingerissen.
Was nehmen Sie mit, wenn Sie wieder nach Berlin fahren?
Dass es uns in Bad Kissingen unglaublich gut gefallen hat. Und diese Szene: Beim Rave im Kurtheater stand ich kurz draußen. Ein Mann kam raus und fragte, ob er mich umarmen dürfe. Dabei bedankte er sich bei mir. Er habe immer wieder Wochenenden in Berlin verbracht, um sich auszuleben und frei zu sein – und er war überglücklich, dass er das nun auch einmal in Bad Kissingen konnte. Das war einer die schönsten Momente des Wochenendes, denn es hat mir klargemacht: Genau dafür tue ich, was ich tue.
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